Flowige Trail-Tour oder wilder Enduro-Ritt? Unser MTB-Test 2024 in Finale Ligure zeigt, dass die Kategorien der Trail- und Enduro-Bikes immer mehr verschmelzen. Wir verraten, wie ihr trotzdem den Überblick behaltet, damit der Mix zur Delikatesse nach eurem Geschmack wird.
Darf’s ein wenig Federweg sein? Die Bikes im Test
«Was hätten sie denn gern?» Ein bisschen gleicht die Wahl des Traum-Bikes im Fachgeschäft oder Webshop dem Einkauf im guten Feinkostgeschäft. «Darf’s ein bisschen mehr (Federweg) sein?» Oder: «Noch zwei Scheiben Trail(-Eigenschaften), ein Stück Enduro(-Fahrwerk) – oder doch lieber 200 Gramm weniger (Rahmengewicht)?» Ein bisschen hiervon, ein wenig davon. Individualität und Vielseitigkeit sind Trumpf. Ein Trend, der schon seit Jahren existiert und von den Herstellern immer weiter vorangetrieben wird. Gut, wenn man genau weiss, was man will. Oder wenn man die Möglichkeit, hat, die entsprechenden Bikes selbst zu testen. Weniger gut ist, wenn man von dem vielfältigen Angebot überwältigt ist – was leicht passieren kann. Für den Mountainbike-Test 2024 standen uns folgende Bikes zur Verfügung:
• Orbea – Occam SL M10
• Scor – 2030 GX
• Scott – Ransom 900 RC
• Specialiced – S-Works Epic 8
• Transalpes – C2 Enduro
• Trek – Slash 9.8 GX AXS T-Type
Testen mit Meerblick – Trail-Spass auf den Strecken von Pietra Ligure.
Die Zeiten sind längst vorbei, in denen man sein Mountainbike mehr oder weniger blind anhand einer propagierten Bike-Kategorie kaufen konnte. Und ehrlich gesagt, wahrscheinlich hat es diese Zeiten nie gegeben. Denn wo Trail-Bike draufsteht, steckt längst nicht immer ein lupenreines Trail-Bike drin. Und bei Enduro-Bikes ist das nicht anders. Es gibt nicht das «eine» Trail-Bike. Jeder Hersteller definiert die Kategorien seiner Bike-Kollektion anders, legt andere Schwerpunkte, stattet sein Trail-Bike-Modell mit unterschiedlichen Features und Eckdaten aus. Am Ende zählt das Gesamtpaket. Und natürlich spielt es auch eine Rolle, wie gut das Mountainbike zum individuellen Fahrstil und bevorzugten Einsatzgebiet passt. Es lohnt sich definitiv, sich nicht nur für eine Bike-Kategorie zu entscheiden, sondern sich das Bike-Modell seiner Wahl genau anzusehen.
Deshalb versuchen wir in den BORN MTB-Tests, jedes Bike – egal ob Fully oder Hardtail – immer möglichst individuell zu beschreiben und zu charakterisieren. Einen Vergleichstest streben wir schon wegen der Preisspanne der getesteten Modelle nicht an. Das teuerste Bike in diesem Test kostet 9999 CHF (Scott Ransom RC), das günstigste 5999 CHF (Orbea Occam SL M10). Alles keine Billig-Bikes – doch ein Preisunterschied von 4000 CHF macht sich natürlich nicht nur in der Komponentenliste auf dem Papier bemerkbar, sondern schlägt sich auch in den Fahreigenschaften und meist auch beim Gewicht nieder.
Schon seit Jahren gibt es am Bike-Markt zwei Trends: Einerseits immer mehr Spezialisierung, andererseits den Trend zu mehr Vielseitigkeit. Gleichzeitig ist die Bandbreite an Fahreigenschaften und Einsatzmöglichkeiten innerhalb einer Bike-Kategorie enorm gross. Bei der Auswahl an Testbikes für den aktuellen Biketest in Finale Ligure zeigte sich klar: die Hersteller legen 2024 ihren Schwerpunkt auf Vielseitigkeit.
Genau deshalb fährt man nach Finale: spassige Trails und die Möglichkeit, das gesamte Jahr biken zu können.
Echte Alleskönner: Welche Eigenschaften bringen Trail-Bikes mit?
Trail-Bikes zeichnen sich als Multitalente aus. Der Federweg liegt in der Regel zwischen 120 und 140 Millimeter. Damit positionieren sie sich zwischen abfahrtsorientierteren Enduro-Bikes mit Federwegen um die 160 Millimeter und den auf schnellen Vortrieb ausgelegten Kategorien XC-Race-Bikes, Marathon-Bikes bzw. Down-Country-Bikes mit 100-120 Millimeter Federweg. Dank griffiger Reifen und serienmässiger Teleskop-Sattelstützen lassen sich auch technisch anspruchsvolle Abfahrten bewältigen. Allerdings bieten die Fahrwerke nicht so viel Federweg- und Sicherheitsreserven wie die von Enduro-Bikes. Die Stärke von Trail-Bikes liegt in einem ausgewogenen Kompromiss aus guten Klettereigenschaften bergauf und soliden Abfahrtsqualitäten. Entsprechend moderat sind die Rahmengeometrien ausgelegt. Sie eignen sich hervorragend für abwechslungsreiche Mountainbike-Touren. Die meisten Trail-Bike-Modelle sind auch eine gute Wahl für Alpenüberquerungen oder andere alpine Mehrtagesrouten. Und selbst den einen oder anderen Abstecher in den Bike-Park stecken moderne Trail-Bikes weg – allerdings sollte man damit nicht unbedingt die ruppigsten Downhill-Strecken oder die höchsten Kicker ansteuern.
Vor- und Nachteile moderner Trail-Bikes:
Vorteile
• extrem gute Alleskönner
• sehr gut für lange Touren oder Alpenüberquerungen
• niedriges Gesamtgewicht
• guter Vortrieb
Nachteile
• fährt weniger gut bergab als ein Enduro
• kostet bergauf mehr Kraft als ein Race-Bike
• ist nicht für grosse Sprünge ausgelegt
Eine Macht im Downhill: So sehen moderne Enduro-Bikes aus
Ich geb‘ Gas, ich will Spass! Typische Enduro-Bikes sind eine Macht im Downhill. Ausgestattet mit widerstandsfähigen Komponenten, sehr griffigen Reifen, sattem Federweg und abfahrtsorientierten Rahmengeometrien, machen Enduros auch knackige Abfahrten zum Genuss. Mit 160 bis 180 Millimeter Federweg an der Gabel und am Heck, taugen Enduro-Bikes auch hervorragend für den Einsatz in Bikeparks. Im Gegensatz zu reinen Downhill-Bikes lassen sie sich bergauf deutlich effizienter und kraftsparender treten. Doch Bergsprints wird man mit den meisten Enduro-Bikes nicht gewinnen. Im Vergleich zu den meisten Trail-Bikes erkauft man sich die guten Downhill-Qualitäten mit höherem Gewicht und weniger spritzigen Uphill-Qualitäten. Doch Fahrer und Fahrerinnen, die ohnehin am liebsten auf anspruchsvollen Trails bergab unterwegs sind, liegen mit einem Enduro-Bike goldrichtig. Wozu gibt es schliesslich Bike-Shuttles oder Lifte, mit denen sich die Uphill-Höhenmeter entspannt zurücklegen lassen?
Vor- und Nachteile moderner Enduro-Bikes:
Vorteile
• sehr gute Downhill-Qualitäten
• ideal für Shuttle-Touren oder Mix-Touren mit Bergbahnunterstützung
• hohe Sicherheitsreserven
• gut für sehr raues Gelände
• für grosse Sprünge und Bikeparks geeignet
Nachteile
• bergauf meist kraftraubender als Trail-Bikes
• meist schwerer als Trail-Bikes
• bisweilen weniger agil und wendig als Trail-Bikes
Geo und Geld: So viel kostet die Vielseitigkeit im MTB-Test
An welchen Schrauben drehen die Hersteller nun, um Trail-Bikes noch abfahrtstauglicher zu machen und Enduro-Bikes bergauf mehr Push zu verleihen? Einer der Schlüssel ist die Rahmengeometrie. Der Trend zu Extremen scheint momentan allerdings vorbei, was Winkel- und Rohrlängen der Rahmen betrifft. Vielmehr ist auch hier eine Fusion von Merkmalen zu beobachten, die bislang für einzelne Kategorien typisch waren. Manche Trail-Bikes bieten mittlerweile flache Lenkwinkel, wie sie bislang eher bei Enduro-Bikes zum Einsatz kamen. Für seine Enduro-Bikes hat sich so mancher Hersteller die Masse von Trail-Bikes zum Vorbild genommen. Steile Sitzrohrwinkel zum Beispiel, um das Pedalieren möglichst effizient zu gestalten.
Ein weiterer Punkt, die Bikes vielseitiger zu gestalten, ist das Gewicht. Wenn es darum geht, ein Trail-Bike auf die Räder zu stellen, das auch bergab die Augen seiner Piloten glänzen lässt, dürfen es schon mal griffigere Enduro-Reifen sein, stabilere Laufräder und etwas mehr Federweg – auch wenn solche Massnahmen das Gesamtgewicht etwas nach oben treiben. Der Preisanstieg der letzten Jahre scheint insgesamt vorerst gedämpft. Teils nicht geleerte Lager zum Saisonende haben die Hersteller wohl zu einer moderateren Preispolitik bewogen.
29-Zoll-Laufräder und integrierte Designs
Für gutes Geld gibt es allerhand High-Tech-Bauteile. Elektronische Schaltungen sind weiter im Kommen. Doch die klassische Schaltung mit Zügen ist längst noch nicht tot. Letztendlich ist die Schaltungsfrage auch eine Preisfrage. Elektronische Schaltungen sind immer noch teurer. Ein klarer Trend ist auch in Sachen Laufräder im MTB-Test 2024 erkennbar: 29 Zoll hat sich endgültig durchgesetzt. 27,5 Zoll kommt nur noch als Mullet- bzw. Mixed-Setup zum Einsatz. Die Roll-Eigenschaften und die Fahrstabilität auf dem Trail sind einfach überragend. Und längst sind wendige Bikes mit 29-Zoll-Laufrädern auch keine Ausnahme mehr.
Schwer angesagt sind integrierte Designs: Schalt- und Bremszüge, die aufgeräumt im Rahmen verlaufen, sind bei High-End-Bikes Standard. Auch wenn so mancher Schrauber darüber fluchen mag – optisch und reinigungstechnisch ist das eine saubere Lösung. Auch ein Staufach im Unterrohr für Werkzeug, Riegel oder eine dünne Windjacke im Unterrohr ist fast schon Pflicht. Die Mini-Kofferraum-Varianten werden immer geräumiger und funktioneller. Auch im Vorbau oder in Lagern und Achsen integrierte Mini-Tools sind ein gängiges Gadget.
Am Ende eines jeden Tests werden die Bikes gehegt und geplegt.
Die Highlights im Test um die besten Fullys 2024
Auf die Spitze treibt Scott die Integration beim neuen Enduro Ransom 900 RC. Wie bereits bei vielen anderen Scott Modellen ist der Dämpfer nun auch bei der Enduro-Linie in den Rahmen integriert. Fast automatisch ergibt sich durch dieses «Versteck» im stabilen Tretlagerbereich des Rahmens ein tiefer Schwerpunkt – ein klares Plus bei Ritten auf fordernden Enduro-Kursen.
Dass man als versierter Fahrer für spielerische Rides auf technisch anspruchsvollen Trails nicht unbedingt ein Enduro-Bike mit viel Federwegen benötigt, zeigt Scor mit dem 2023 GX (hinten 120, vorne 140 Millimeter Federweg). Die verspielte Trail-Maschine überzeugt auch bergab. In die gleiche Kerbe schlägt Orbea mit dem Occam M10 SL (140 mm Federweg). Es bietet gerade für lange Touren einen beeindruckend breiten Spagat aus starkem Vortrieb bergauf und sehr soliden Abfahrtsqualitäten. Als Universal-Enduro mit attraktivem Gewicht (13,6 kg) überzeugt das Transalpes C2 Enduro – und ist damit ebenfalls ein Kandidat für ausgedehnte alpine Touren.
Falls du auf der Suche nach einem E-MTB bist, können wir dir unseren «E-MTB Test 2024: Die elektronischen Überflieger im Praxistest» ans Herz legen. Jede Menge E-Power und viel Trail-Spass.