Auszeit für die Seele – Mit Bike und Zelt durch die Lienzer Dolomiten
Auszeit für die Seele – Mit Bike und Zelt durch die Lienzer Dolomiten
 Datum: 15.04.2017  Fotos: Christoph Breiner 

Auszeit für die Seele – Mit Bike und Zelt durch die Lienzer Dolomiten

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Auszeit für die Seele – Mit Bike und Zelt durch die Lienzer Dolomiten
Jahrzehntelang hat man uns Mountainbikern eingebläut, mit möglichst wenig Ausrüstung unterwegs zu sein. Doch neuerdings scheren sich immer weniger Bergradler um solche Gebote. Sie ziehen mit Zelt und Schlafsack los ... und haben sogar noch Spass dabei. Ein Plädoyer für eine etwas andere Bike-Tour.
Määh, määh!» Auf der Suche nach dem perfekten Lagerplatz mit weichem, möglichst ebenem Untergrund für unsere Zelte begegnen uns die Hausherren der saftigen Bergwiesen. Eine Herde Schafe gesellt sich zu uns und kann ihre Verwunderung über die seltsamen Rösser aus Carbon und Aluminium nicht verbergen. Geradezu aufdringlich umrunden sie immer und immer wieder die Stelle, die wir für unser Basecamp ausgewählt haben. Letztendlich einigen wir uns im Guten, und die wolligen Gesellen schlagen einige Meter neben uns ihr Nachtlager auf. Gut, dass hier oben genug Platz für alle ist.

Als das Zelt steht, bewegen wir unsere müden Glieder noch 50 weitere Höhenmeter bergauf. Über unserem Nachtlager ragt das Böse Weibele auf – nein, keine entrüstete Dame, die uns für unser Vorhaben tadelt. Mit 2521 Metern Höhe ist dieser Gipfel der erste Höhepunkt unserer Tour. Für unseren Freund René, der aus Lienz in Osttirol stammt, ist es einer seiner Hausberge. Aus der Adlerperspektive scheint der Gipfel nur ein paar Steinwürfe entfernt von der Stadt. Und doch macht sich an diesem Abend so etwas wie wohlige Bergeinsamkeit breit.
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Zu dritt sind wir morgens losgeradelt, die Rucksäcke zum Bersten voll: Isomatte, Zelt, Schlafsack, Schlechtwetterkleidung, dazu das nötigste Ersatzmaterial und Werkzeug. Für zusätzliches Gewicht sorgen ein paar Rationen Käse, Jausenwurst, Speck und Brot, dazu Müesli- und Schoggiriegel gegen akute Hungeräste. Genug? Noch nicht ganz. Denn so nahe am Gipfel gibt es weder einen Bach noch eine Wasserleitung. Also hat jeder noch eine Trinkblase mit 1,5 Litern Wasser in den Rucksack gepackt.

Eine gute Idee? Wir haben minimalistisch kalkuliert. Doch schon nach wenigen Höhenmetern merken wir: So aufgeladen kann von gämsenartiger Leichtfüssigkeit keine Rede sein. Die Schwere des Rucksacks zieht die Motivation nach unten. Mit den in immer kürzerem Abstand über die Stirn perlenden Schweisstropfen zerrinnt der Enthusiasmus. Geduld! «Nicht die Bestzeit zählt, sondern das Erlebnis», rechtfertige ich die Plackerei vor meinen Kameraden. Alle 30 bis 40 Minuten legen wir eine kleine Pause ein. Mit jedem Tritt, mit jedem Stopp scheinen Tal und Alltag weiter entrückt.

Ganz bewusst haben wir uns zu diesem Trip auf der weniger bekannten österreichischen Seite der Dolomiten entschlossen. Und ganz bewusst schleppen wir den ganzen Krempel im Rucksack auf den Berg. Es ist nicht unsere erste Unternehmung dieser Art. Fünf Stunden später zeigt uns der Abend: Der Aufwand hat sich auch diesmal wieder gelohnt. Wir sitzen am Gipfel. Die Sonne versinkt mit atemberaubendem Farbenzauber hinterm Grat. Wieso wir all die Entbehrungen heute auf uns genommen haben, danach fragt jetzt keiner mehr. Wir wollen eintauchen in die Natur. Wie könnte das besser gehen als auf einer Tour mit ein paar Biwaknächten?

 Zelt und Schlafsack sind so etwas wie Erlebniskatalysatoren. Oben am Berg ist alles intensiver: das Licht, die Stille, die Geräusche, die Gefühle, die Gespräche. Das Zelt schützt nicht nur vor der kalten Nacht. Es schirmt uns auch ab von den Ablenkungen im Tal. Grillenzirpen statt Zappen vorm Fernseher. Mit den Kumpels die letzte Scheibe Brot teilen, statt bei der Bedienung das fünfte Bier zu ordern. Kein Social-Media-Geschnattere. Kein Handy. Keine Mails. Dafür reden. Zuhören. Ich schaue hinüber zu René und Christoph. «Eigentlich», denke ich, «ist genau das die Basis für starke und wahre Freundschaftserlebnisse.» Langsam beginnen wir zu frösteln. Trotzdem bleiben wir noch eine ganze Weile am Gipfel. Über dem Kreuz scheint der Mond. Die Sterne glitzern. Unten strahlt das Lichtermeer der Stadt.
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Biker-Biwaks – was ist erlaubt?
Mitten in der Natur zur biwakieren, ist ein unvergessliches Erlebnis. Doch nicht überall ist Biken und Campieren erlaubt. Für ein wirklich nachhaltiges und positives Erlebnis sollte man sich deshalb vor der Tour über die Route und mögliche Lagerplätze informieren.

Die Situation in der Schweiz
Wo darf biwakiert werden, wo nicht? Es gibt keine gesamtschweizerische Regelung, Kantone und Gemeinden erlassen dazu Verordnungen. Grundsätzlich ist Biwakieren im Notfall immer erlaubt. Ganz klar verboten ist Biwakieren in eidgenössischen Jagdbanngebieten, in den meisten Naturschutzgebieten, im Schweizerischen Nationalpark und in Biotopen. Übernachtungen einer kleinen Anzahl von Personen im Gebirge oberhalb der Waldgrenze sind in der Regel unproblematisch und werden geduldet.
Weitere Infos: www.sac-cas.ch/umwelt/naturvertraeglicher-bergsport/campieren-biwakieren.html

Die Situation in Österreich
Mountainbiken ist in Osttirol geduldet, sprich: nicht generell überall erlaubt, aber auch nicht unbedingt verboten. Für genaue Informationen zu einzelnen Gebieten empfiehlt es sich, die Tourismusverbände oder lokale Guides zu kontaktieren. Das Zelten im Wald ist in Österreich per Gesetz (§ 33/Forstgesetz) verboten. Ausnahme: mit ausdrücklicher Zustimmung des Grundbesitzers. Oberhalb der Baumgrenze beginnt die Zone des alpinen Ödlands. Dort sind die Regelungen von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich. Die Zustimmung des ­ Grundeigentümers ist in jedem Fall auch hier ratsam. In Tirol gelten folgende Regelungen: Das Tiroler Campinggesetz (2001) macht klar: Das Campieren ausserhalb von Campingplätzen ist verboten. Ausnahmen: das alpine Biwakieren «während eines kurzen, durch den Anlass gebotenen Zeitraumes» oder mit Zustimmung des Grundeigentümers.

Vorsicht, Feuer: Lager- und Grillfeuer im Wald sind verboten. Ausserhalb sollte man möglichst eingerichtete Feuerstellen oder geeignete Plätze am Wasser aufsuchen.
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Morgenstund’ hat schwarzes Gold im Mund

Irgendwann kriechen wir dann doch in unsere Schlafsäcke, fallen in einen tiefen, traumlosen Schlaf. – Ein leises Scheppern weckt mich. René hantiert mit dem Gaskocher und einem kleinen Kaffeekocher – der einzige Luxus, den wir uns hier oben gönnen. Der goldene Sonnenaufgang macht die Tasse, die mir René wenig später reicht, zur besten Portion schwarzen Goldes, die ich mir vorstellen kann. Welch ein Morgen! Ich möchte jetzt gegen kein Hotel der Welt tauschen. Während ich am Kaffee nippe, macht sich ein Ohrwurm in meinem Kopf breit. Ein Song der Band Silbermond: «Eines Tages fällt dir auf/Dass du 99 Prozent nicht brauchst/Du nimmst all den Ballast/Und schmeisst ihn weg/Denn es reist sich besser/Mit leichtem Gepäck ...»

Wir nutzen das Morgenlicht für die ersten Abfahrten. Singletrails wie aus dem Bilderbuch. Flowige, schnelle Abschnitte, dann steile, technisch interessante Passagen, steinige, schwierige Sektionen und klassische wurzelige Waldwege. So langsam haben wir uns auch an das zusätzliche Gepäck gewöhnt. Der Bike-Spass steigt. Wir können gar nicht genug davon kriegen. Abenteuer sind eben nicht immer nur mit grossen Expeditionen verbunden. Sie liegen vor der Haustür. Hier in Lienz genauso wie in Bern, Zürich, Luzern, Lausanne oder St. Gallen. Während einer kleinen Pause muss ich wieder an unsere Zeltnachbarn von heute Nacht denken, die Schafherde. Ja, man muss nur loslegen. Man sollte ein grobes Ziel haben, sich aber auch treiben lassen, die Überraschungen kommen dann ganz von selbst!

Die Sonne steht schon tief, als wir endlich genügend Trails gefressen haben. Im Tal rollen wir an der Drau entlang, bunkern im Vorbeifahren an einem Lebensmittelladen noch ein paar Biere und Würstli und steuern unseren Lagerplatz für die Nacht an. Während wir am Flussufer das Zelt aufbauen, denke ich, wie gut es ist, dieses Ding dabei zu haben. Es entschleunigt. Ganz automatisch. Es hilft enorm, wieder einen entspannten, natürlichen Lebensrhythmus zu finden. Bikepacking nennt man das auf Neudeutsch jetzt. Mir gefallen solche etikettierenden Ausdrücke nicht. Für mich ist es einfach eine faszinierende Facette. Eine von vielen tollen Möglichkeiten, mit dem Bike unterwegs zu sein.

Wir sammeln Holz, schnitzen Spiesse. Während ich vorsichtig puste, lodern aus ein paar glimmenden Spänen die ersten Flammen. Sind wir wirklich erst seit zwei Tagen unterwegs? Wir sind schon unglaublich tief abgetaucht: in die Natur, weg vom Alltag. Bike und Zelt, das ist eine gute Combo. Genau wie unsere Crew: René, Christoph und ich. Christoph angelt die im Fluss gekühlten Bierflaschen aus den Fluten. Das Lagerfeuer knackt, die flackernden Flammen lassen scherenschnittartige Schatten auf den Gesichtern tanzen. «Wie lautet die Formel für Glück?», frage ich. «Ganz einfach: Freunde + Berge + Mountainbike + Zelt = Glück.» Fast unbemerkt zischt eine Sternschnuppe über den Nachthimmel und verschwindet hinter den Bergspitzen. «Prost, Jungs!»
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Bikepacking – so klappt’s
1. Gewicht sparen
Konzentriere dich beim Packen auf leichte Ausrüstung und nimm nur das Nötigste an Verpflegung mit. Teilt Werkzeuge in der Gruppe auf. Ausnahme: Einen Ersatzschlauch sollte jeder dabei haben.

2. Energie sparen
Mehr Ausrüstung bedeutet mehr Gewicht. Das kostet Kraft. Deshalb locker angehen lassen, Pausen einplanen, die Energie gut einteilen. Energieriegel helfen durch Leistungslöcher.

3. Biwakieren
Suche dir rechtzeitig einen guten Platz für die Übernachtung. Bei Tageslicht ist das Camp schneller und leichter aufgebaut. Ausserdem bleibt mehr Zeit zum Regenerieren. Als Lagerplatz empfiehlt sich eine möglichst ebene, nicht zu harte und windgeschützte Fläche. Stirnlampe nicht vergessen!

4. Defensiv fahren
Mit dem zusätzlichen Gewicht ist mehr Vorsicht geboten. Nicht das Tempo zählt, sondern der Naturgenuss. Achtung: Mehr Gewicht am Rücken erfordert auch mehr Luftdruck! Sonst drohen platte Reifen.

5. Kleine Glücklichmacher
Ein klein bisschen Luxus darf sein. Kleinigkeiten können gerade nach oder vor anstrengenden Touren sehr motivieren. Ein Mini-Kaffeekocher zum Beispiel hebt schnell die Laune in der Gruppe.
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