Oskar Enander – Der Dirigent
Oskar Enander – Der Dirigent
 Datum: 15.11.2019  Text: Andreas Haslauer  Fotos: Oskar Enander 

Oskar Enander – Der Dirigent

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Oskar Enander – Der Dirigent
Es gibt Skifotografen. Und Oskar Enander. Für den Schweden steht nicht die Action im Vordergrund, sondern die Ästhetik, das Spiel von Licht und Schatten, die Landschaft. Das alles komponiert er wie ein Künstler. Dabei weiss er oft selbst gar nicht so genau, was auf den Bildern zu sehen ist. Denn Enander ist farbenblind.  
Eine grandiose Skisaison sollte es werden. Also kaufte sich Oskar Enander, damals 24 Jahre alt, im Sommer 2002 mit zwei Freunden einen alten VW-Bus und fuhr los. Von Göteborg nach St. Anton, 1667 Kilometer, mit 80 Sachen pro Stunde. Es dauerte. Kaum waren sie angekommen, wurden sie wieder verjagt. «Here! No! Camping!», lautete die klare Ansage des Dorfpolizisten. Die drei Jungs fuhren noch direkt in der Nacht weiter – nach Engelberg. «Ich hatte in einem Magazin was darüber gelesen, und wir dachten: Die haben dort wenigstens einen Campingplatz.» Enander verliebte sich sofort in die 5000-Seelen-Gemeinde, lernte wenig später eine hübsche Schweizerin namens Sandra kennen und beschloss, Engelberg zu seiner Basis zu machen, von der aus er mit seinen Kumpels die Alpen erforschte. Italien, Österreich, die Schweiz – sie reisten alles ab. Immer auf der Suche nach den besten Freeride-Gebieten. Und immer mit der gleichen Erkenntnis: An Engelberg kommt nichts ran. Keine Chance. No way! «Wir stellten schnell fest, dass es einfach nichts Vergleichbares gibt», sagt Enander. «Engelberg ist einzigartig.» Also blieb er einfach dort. Aus Wochen wurden Jahre. Und aus Oskar Enander, einem schwedischen Ingenieur, der nur ein wenig auf Skisafari gehen wollte, wurde einer der besten Skifotografen der Welt. Einige sagen sogar: der Beste!
Oskar Enander – Der Dirigent
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Oskar Enander – Der Dirigent
«Ich erkenne seine Bilder unter Tausenden. 
Für mich ist Oskar Enander der 
Peter Lindbergh der Skifotografie.»
(Ralf Jirgens)

Der Cover-Sammler

«Ich glaube, es gibt keinen Fotografen, dessen Bilder weltweit häufiger auf Titelseiten von Skimagazinen zu sehen waren, als die von Oskar Enander», sagt Roman Lachner, der Chefredakteur von «Prime Skiing», dem grössten Freeski-Magazin im deutschsprachigen Raum. Für Ralf Jirgens, den Herausgeber des Freeride-Magazins «Bergstolz», spielt Enander damit in einer eigenen Liga: «Ich erkenne seine Bilder unter Tausenden. Für mich ist Oskar Enander der Peter Lindbergh der Skifotografie.» Grosse Komplimente für einen Mann, der ohne grosse Pläne angefangen hat.

Seine ersten Ski-Fotos macht Oskar Enander mit dem Bruder seiner damaligen Freundin Sandra: Roman Marti. Gute Fotos, aber nichts, wovon man leben könnte. Im darauffolgenden Winter trifft er zufällig Gösta Fries, einen schwedischen Profi-Fotografen. Enander erinnert sich: «Ich stehe Februar 2003 mit meinem Foto-Rucksack an der Talstation am Lift. Genau in dem Moment steigt Gösta in den Lift und fragt, ob ich nicht mitkommen möchte. Natürlich wollte ich! Ich hielt mich tagelang im Hintergrund auf und knipste so ein bisschen mit.» Am letzten Shooting-Tag sitzen Gösta und Enander in einer kleinen Grotte, die über ihnen mit Eiszapfen übersät ist. Sie wissen, dass gleich Kalle Eriksson über die Grotte springen wird. Nur wo genau, das wissen sie nicht. Oskar hat das Glück, dass der Skifahrer genau über ihn drüberfliegt. Eine bessere Perspektive gibt es nicht. Das Foto schickt er – auf gut Glück – ans «Powder Magazine». Acht Monate später steht Oskar Enander in Aspen auf einer Bühne: Sein Eiszapfen-Shot wurde zum «Photo of the year» gekürt. «Es war wie im Film. Gösta bin ich bis heute unendlich dankbar, dass er mich, den unknown photographer, überhaupt mitnahm», sagt Enander. Sein Leben, so sagt er, ist seitdem ein Geschenk.

Als «schönsten Arbeitsplatz der Welt» bezeichnet der 41-Jährige seine Wahlheimat Engelberg. Mit dem Velo braucht er gerade mal fünf Minuten bis zur Talstation Titlis, wenige Minuten später steht er mittendrin im Schweizer Freeride-Mekka mit seinen spektakulären Offpiste-Abfahrten. Enander ist überzeugt: «Das, was für die Wellenreiter Hawaii ist, das ist für uns Freerider Engelberg.»

Künstler & Cover-Jäger

Oskar Enander, eigentlich studierter Ingenieur, gehört zu den weltbesten Skifotografen. Um ihn zu treffen, hat man daher nur zwei Möglichkeiten: entweder nach der Skisaison – oder davor. Der 41-jährige Schwede aus Göteborg lebt mit seiner Frau Silje sowie den Töchtern Filippa (2) und Emilia (5) in Engelberg.  Es gibt wohl keinen Fotografen, dessen Bilder häufiger auf Titelseiten von internationalen Skimagazinen zu sehen sind. Während viele seiner Kollegen häufig Adrenalin-getränkte Shots bevorzugen, steht bei Enander nicht die Action im Mittelpunkt. Er ist eben mehr Künstler als Knipser. Das Spiel von Licht und Schatten, die Ästhetik, das Panorama, der Tiefschnee – bei Enanders Bilder verschmilzt alles harmonisch und fliessend ineinander. Für seine Arbeit wurde er 2013 vom International Freeride Film Festival iF3 zum «European Photographer of the year» gewählt, zudem erhielt er mehrmals vom renommierten «Powder Magazine» aus den USA den Titel «Foto des Jahres».

Darauf steht die Outdoor-Branche. Die Liste derer, für die Oskar in den vergangenen Jahren die Kampagnen schoss, ist lang. Am längsten arbeitet der 41-Jährige mit der Skimarke DPS zusammen. Globale Aufmerksamkeit erlang der Schwede vor einigen Jahren durch den niederländischen Elektro-Riesen Philips. Weltweit waren Enanders Bilder zu sehen, als Kitzbühel-Sieger Daron Rahlves mit 4000-Watt-Dioden funkelnd wie ein Christbaum nachts durch den Tiefschnee schoss. Nun hat der nächste Fernseh-Hersteller sich in Oskars Fotos verliebt: Samsung. Der Elektronik-Konzern zeigt im «Art Mode»-Modus herausragende Bilder von Enander auf seinen TV-Bildschirmen der Serie «The Frame». Das lohnt sich. Versprochen!
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Ein bisschen «warmfahren»

Während er in Alaska die meisten Fotos aus dem Helikopter schiesst, entstehen in Engelberg fast alle Bilder vom Boden aus. Und das hat einen entscheidenden Vorteil: Er ist selbst im Schnee. Seiner Frau Silje, einer Norwegerin, mit der er zwei Kinder hat, erklärt Oskar das am Morgen immer so: «Schatz, ich muss jetzt gleich los, schliesslich muss ich mich noch ein bisschen einfahren.» Wenn die Foto-Sessions erst um elf Uhr beginnen, hat er noch gut zwei Stunden, um selbst ein paar schnelle Turns zu ziehen. So schafft es der «skandinavische Flachlandtiroler» (Enander über Enander) ziemlich perfekt, Hobby und Beruf zu vereinen. Mit ziemlich grossem Erfolg. Das liegt vor allem an seiner aussergewöhnlichen Bildsprache. «Das Spiel mit Sonne und Schatten ist schon ein gewisses Alleinstellungsmerkmal von mir», sagt er und erklärt: «Ich schaue mir die Geografie, die Sonne, die Berge, die Lichtverhältnisse an – dann versuche ich alles wie ein Dirigent miteinander zu verbinden. Wenn mir das gelingt, sind wie im Orchester alle glücklich: Streicher, Bläser, einfach alle.»

Journalist Roman Lachner beschreibt diesen Stil so: Nicht die Action des Athleten stehe im Vordergrund, sondern die Ästhetik des Augenblicks. Lachners Lieblingsbild stammt von einem Nordhang. «Ich schwöre: Da gab es nicht einen Sonnenstrahl. Er hat so lange gewartet, bis der Gegenhang für ganz kurze Zeit Licht auf seinen Nordhang reflektierte», sagt Lachner. «Das ist mehr als Fotografie. Das ist Kunst.» Für Lachner ist es daher kein Wunder, dass der Exil-Schwede ein Magazin-Cover nach dem anderen für die Ski-Magazine dieser Welt produziert. Enander sammelt nicht nur Cover wie andere Briefmarken, er gewinnt auch noch viele Preise. Das prestigeträchtige «Powder Magazine» wählte seine Bilder bereits mehrmals zum «Foto des Jahres», das Internationale Freeride Film Festival iF3 kürte ihn zum «European Photographer of the year 2013».
Oskar Enander – Der Dirigent
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Der Plan: shredden und Party

Dabei war das alles so nicht abzusehen. Erst mit 14 Jahren rutschte Oskar auf den ausrangierten Brettern seiner Cousins im schwedischen Sälen herum. Das Gebiet ist in etwa so steil wie in Engelberg der Übungshang für Kleinkinder. Das Gefühl für den Tiefschnee bekam Oskar erst während seines Ingenieur-Studiums. Von einem auf den anderen Tag war ihm nach dem Uni-Abschluss klar, dass er alles machen möchte, nur nicht jeden Morgen in eine Firma marschieren, acht Stunden schuften und abends wieder nach Hause zu fahren. Er wollte ein Ski-Bum sein, wenn auch nicht lange. Vielleicht nur so ein, zwei Jahre. «Den ganzen Tag durch den Schnee zu shredden, abends Vollgas Party zu machen – das finden wir Schweden als Lebenseinstellung gar nicht so schlecht», sagt Enander. Und lacht.

Natürlich ist er mittlerweile ruhiger geworden. Aber den ganzen Tag im Schnee ist er auch heute noch. Viele seiner Bilder macht Enander in Engelberg. Fast jeden Tag fährt er alleine oder mit einem Spitzen-Freerider hoch und schaut, was geht. Und an überragenden Skifahrern mangelt es in dem Freeride-Dorf nicht: Johan Jonsson verbringt jede Saison etliche Wochen in Engelberg, ebenso der Lokal-Matador Piers Solomon und Henrik Windstedt, der 2008 die Freeride World Tour gewann. Mit Windstedt arbeitet Enander am liebsten zusammen: «Er sieht wie kein anderer das Bild, das ich machen will, genauso vor Augen wie ich. Er weiss, wann er losfahren muss, er weiss auf den Zentimeter genau, wann der Schnee so stauben soll, damit am Ende alle glücklich sind.» Und wenn er mal nicht zu Hause fotografiert, dann zieht es ihn nach Haines, Alaska. Haines ist bekannt für Schnee und steile, spektakuläre Lines. Japan findet Enander hingegen gar nicht so gut wie viele andere Fotografen. «Der Schnee ist zwar wirklich der absolute Knaller, das Gelände ist aber bei Weitem nicht so sensationell und steil wie in Alaska.« Am liebsten ist er zu Hause, bei seiner Frau und den beiden Töchtern Filippa (2) und Emilia (5). Dort findet er in den Powder-Monaten, also Dezember und Januar, zwischen 11 und 15 Uhr das perfekte Sonne-Schatten-Schauspiel vor. Eigentlich dann, wenn kein Fotograf auf dieser Welt seiner Arbeit nachgehen würde, weil das Licht viel zu flach ist.
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«Die Fahrer funkelten wie Christbäume. Die schwierigsten Aufnahmen meines Lebens.»

Weltweite Aufmerksamkeit

Die Outdoor-Industrie liebt Enanders schwarz-weisse Meisterwerke. Er hat etliche der grossen Kampagnen in den vergangenen Jahren geschossen, unter anderem für Gore-Tex, The North Face und Atomic. Am längsten arbeitet er jedoch mit der Skimarke DPS zusammen. Die grösste Aufmerksamkeit hingegen erzielte er mit der globalen Philips-Kampagne. Überall auf der Welt sahen die Menschen seine Skifahrer, die mit 4000-Watt-Leuchten behängt, nachts im Tiefschnee durch die Bäume flitzen. Enander sagt: «Die schwierigsten Aufnahmen meines Lebens.» Knapp 5000 Kilo Gewicht musste die Crew jeden Abend auf den Berg schleppen, jede Nacht zwölf Stunden shooten. Das Problem: Die Skifahrer Eric Hjorleifson, Daron Rahlves & Co. strahlten, funkelten und blitzten wie Christbäume. Und er wusste oft gar nicht, auf welchen Punkt er seine Kamera scharf stellen sollte. Alles hat geleuchtet. Am Ende waren dennoch alle glücklich über die bunten Bilder. Auch Enander. Dabei wusste er selbst gar nicht so genau, was auf den Bildern eigentlich zu sehen war. Denn Enander ist farbenblind.   

Schon als fünfjähriger Knirps hatte er beim Malen ständig die Farben verwechselt. Seiner Mutter war klar: Der kleine Oskar kann einige Farben gar nicht erkennen. Ist das nicht ein Problem beim Fotografieren? Ganz und gar nicht, antwortet Enander. Er könne ja erkennen, dass es irgendeine Farbe sei, er wisse nur nicht, welche. Doch im Winter sei das alles kein Problem. Dann würden mit dem Sonne-Schatten-Spiel ohnehin nur die Farben weiss und blau dominieren – also weisser Schnee und blauer Schatten. Zu den Fahrern sagt er: «Leute, zieht bitte ein kräftiges Gelb oder ein sattes Rot an.» Der Kontrast sieht auf den Bildern immer besser aus – auch wenn er nicht genau weiss, wie.
Oskar Enander – Der Dirigent
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Beeinflusst die Farbenblindheit seinen Stil? Auf diese Frage hat er keine Antwort. «Ich war ja zuerst farbenblind, habe erst dann angefangen zu fotografieren.» Für ihn sei das ja alles normal. Im Sommer und vor allem im Herbst sei es hingegen mit den grünen und braunen Farben ein bisschen schwerer. Nichtsdestotrotz ist er davon überzeugt, dass auch seine Sommer-Bilder «ganz okay» seien. «Ganz okay» ist eine nette Beschreibung – und eine charmante Untertreibung. Für die Geschichte «Fange den Traum» mit den fluoreszierenden Skibildern im «National Geographic» bekam er einen fünfstelligen Betrag – der beste Magazin-Auftrag seines Lebens. Und Philips erlaubte ihm sogar nach Erscheinen der Kampagne, einige Bilder zu verwenden, die noch nicht veröffentlicht wurden. So etwas gibt es normalerweise nicht. Ausser bei Oskar Enander.  

Das geht bei seinem neuen Auftrag mit Samsung fast gar nicht. Der Grund: Seine Bergsport- und Outdoor-Bilder gehen seit Monaten um die Welt. Im «Art Mode»-Modus zeigt der Elektronik-Konzern Kunstwerke auf seinen TV-Bildschirmen der Serie «The Frame» und stellt Enander neben anderen Künstlern auf seiner Homepage vor. Viel besser kann es nicht laufen. Seine Fotos zieren die besten Ski-Magazine der Welt, die Marketing-Abteilungen reissen sich um ihn und die Jurys streiten nur noch darüber, welches seiner Bilder den nächsten Preis gewinnt.

Und was sagt er selbst dazu? «Die beste Entscheidung meines Lebens war, nicht als Ingenieur zu arbeiten.»


«Das Spiel mit Sonne und Schatten ist schon ein gewisses Alleinstellungsmerkmal von mir.»