Auf ein Wort mit Survival-Expertin Megan Hine
Auf ein Wort mit Survival-Expertin Megan Hine
 Datum: 16.04.2018  Text: Mirjam Milad 

Auf ein Wort mit Survival-Expertin Megan Hine

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Auf ein Wort mit Survival-Expertin Megan Hine

ZIELSETZUNG: ÜBERLEBEN

Sie ist stärker als 99 Prozent der Männer, sagt Bear Grylls. Er muss es wissen – schliesslich vertraut er ihr sein Leben an: Megan Hine, 33, Survival-Expertin, passt auf, während er vor der Kamera steht, leitet aber auch eigene Expeditionen. Kürzlich erschien ihr Buch «Mind of a survivor». Für den Outdoor Guide sprach sie mit Jake Taylor über ihre Arbeit als Frau in einer Männerdomäne.
Megan, wie sieht ein typischer Arbeitstag bei dir aus?
Meine Arbeitstage sind sehr unterschiedlich. In den Anfangsphasen einer Fernsehproduktion rede ich mit den Produzenten über ihre Ideen. Ich habe für viele Abenteuersendungen gearbeitet und etliche Expeditionen in der ganzen Welt geleitet. Dadurch kenne ich geeignete Gebiete und Ansprechpartner vor Ort. Ich stelle Optionen zusammen, die den Bedürfnissen der Produzenten entsprechen. Dann gehe ich raus und erkunde die Gegend. Oft verbringe ich Wochen alleine oder mit den Locals im Gelände, im Dschungel, der Wüste oder den Bergen. In einem nächsten Schritt begleiten mich der Regisseur und der leitende Produzent und wir finalisieren die Route und die Aufgaben. Sobald wir mit dem Filmen loslegen, übernehme ich die Verantwortung für die Sicherheit der Crew. Das bedeutet beispielsweise, gemeinsam mit dem Kameramann am Seil zu laufen oder zu klettern.

Bear Grylls ist ein grosser Fan von dir. Warum, denkst du, bewundert er dich?
Wir arbeiten seit mehr als zehn Jahren zusammen, waren auf der ganzen Welt zusammen unterwegs und sind ein eingespieltes Team. Gemeinsam haben wir harte Zeiten durchgemacht, waren extremen Wetterbedingungen ausgesetzt, sind ins Kreuzfeuer kämpfender Stämme geraten und politischen Unruhen entkommen. All das hat uns als Team gestärkt und uns gegenseitigen Respekt eingebracht.

Viele Menschen, die Bear Grylls und seine Survival-Sendungen aus dem Fernsehen kennen, sind vor allem davon fasziniert, dass jemand Skorpione isst oder Blut trinkt. Fällt es dir schwer, dich damit zu arrangieren?
Eigentlich nicht. Ich hatte niemals besonders viel Angst oder Ekel vor Schlangen, Spinnen oder so – bloss einen gesunden Respekt. Wahrscheinlich hat es auch eine Rolle gespielt, dass ich keine Mutter habe, die beim Anblick einer Spinne in der Badewanne zu schreien anfängt.

Survival ist eine Männerdomäne. Gibt es viele weibliche Bushcraft- und Survival-Expertinnen, die auf einem ähnlichen Level arbeiten wie du?
Ich kenne im internationalen Fernsehgeschäft keine andere Frau, die das Gleiche macht wie ich. Vielmehr ist es so, dass auch nur zwei oder drei Typen den gleichen Job wie ich hinter den Kulissen machen. Wenn man sich das vor Augen führt, bin ich gar nicht mal so in der Minderheit.
Auf ein Wort mit Survival-Expertin Megan Hine
Auf ein Wort mit Survival-Expertin Megan Hine
«Wenn man sich vor Augen führt, dass auch nur zwei oder drei Typen den gleichen Job machen wie ich, bin ich als Frau gar nicht mal so in der Minderheit.»
Was zeichnet eine Frau als Survival-Expertin aus – begegnet sie Herausforderungen anders als ihre männlichen Kollegen?
Ich kann nur für mich selbst sprechen, wie ich die Arbeit angehe und Leute führe. Wenn ich Menschen dazu bringen möchte, ihre Grenzen zu verschieben, baue ich eine emotionale Verbindung zu ihnen auf. Ich kümmere mich richtig um die Leute, mit denen ich arbeite, und beschütze sie. Ich höre mir ihre Sorgen an und leite sie dementsprechend. Sobald ich weiss, wie jemand tickt, kann ich das Beste aus ihm herausholen. Auf diese Weise schaffe ich es fast immer, dass meine Kunden ihre Ziele erreichen.

Wie gehen Männer mit deiner Führungsrolle um? Nehmen sie dich und deine Fähigkeiten ernst?
Es gibt schon manchmal Unstimmigkeiten – aber nicht nur mit Männern. Ich habe das Gefühl, jetzt wo ich älter bin, ist es einfacher. Als ich anfing, Expeditionen zu leiten, war ich Anfang zwanzig. Auf den Reisen war ich für Männer um die vierzig oder fünfzig verantwortlich. Da hiess es dann oft: «Was macht das junge Mädchen hier? Auf mich aufpassen? Das kann nicht sein.» Andererseits konnte ich so schon in jungen Jahren sehr viel Erfahrung sammeln. Durch die Menschen, die ich kennenlernte, habe ich aber auch wahnsinnig viele Chancen erhalten und Kontakte in der Branche knüpfen können. Sobald ich vor Ort war, haben die Leute gesehen, wozu ich fähig bin. Dann sind auch ihre Vorurteile verflogen. Mir widerstrebt es, den Leuten Sexismus zu unterstellen – das ist es meistens nicht. Oft sind Situation und Umgebung für die Leute ungewohnt. Ich denke, es ist wie mit allem im Leben: Es dauert eine Weile, bis sich Vorstellungen verändern.

Nehmen genauso viele weibliche wie männliche Personen an deinen Expeditionen teil?
Nein, typischerweise sind die Expeditionen immer noch sehr männerdominiert. Aber so langsam macht sich ein Wandel bemerkbar. Immer mehr Frauen interessieren sich für die Outdoor-­Branche, das finde ich sehr spannend. Warte ein paar Jahre und dann werden noch viel mehr Frauen draussen präsent sein. Ich glaube, es gibt bereits sehr viele aktive Frauen, die aber einfach nicht so in der Öffentlichkeit stehen.

Wie wird man eigentlich Survival-Expertin?
Jeder ist auf seine eigene Art und Weise ein Survival-Experte. Bei mir war es eine Verkettung von Zufällen. Ich bin schon früh zum Bergsport gekommen, habe mir auch mehr oder weniger durch meine Arbeit als Bergführerin mein Studium finanziert. Kurz vor meinem Uni-Abschluss hat mich dann der Zufall, oder das Schicksal,  zu einem Bushcraft-Vortrag geführt. Ich hatte davor noch nie etwas von Bushcraft gehört. Dem zuzuhören, wie er von der Arbeit mit Bäumen und anderen Pflanzen erzählte, vom Lernen von der Natur und unterschiedlichen Kulturen – das hat mir die Augen geöffnet. Ich habe erkannt, dass mir das gefehlt hat, und ich wollte Teil davon werden, obwohl ich damals nicht viel von der Natur wusste. Ich war dann ein paar Jahre als Auszubildende bei der Firma. Habe bei Expeditionen mitgearbeitet und Zeit mit indigenen Völkern verbracht und so gelebt wie sie. Dann habe ich Kunden begleitet und meine Kenntnisse im Dschungel, in der Wüste und vielen anderen Umgebungen eingesetzt.

Im Grunde genommen brauchen Leute in ihrem Alltag weder Bushcraft- noch Survival-Fähigkeiten. Warum ist beides trotzdem so beliebt?
Ein Grund ist, dass wir eigentlich noch nicht wir­klich an das Leben angepasst sind, das wir derzeit führen. Evolution braucht Tausende von Jahren. Vor noch nicht allzu langer Zeit haben wir Ackerbau betrieben und gar nicht so lange davor lebten wir in Höhlen. Stress und Furcht zum Beispiel sind sehr grundlegende Emotionen, bei denen es letztendlich nur um Schutz und Überleben geht. Wir ringen beispielsweise damit, einen Facebook-­Beitrag über das scheinbar perfekte Leben ­eines anderen zu sehen, und denken: «Oh, mein Leben ist Mist.» Das ruft ein Gefühl der Bedrohung hervor. Dein Gehirn kann das nicht von einer tatsächlichen Bedrohung unterscheiden.

Ein anderer Punkt ist, dass das, was wir in der Natur tun, Zeit in Anspruch nimmt. Es kann beispielsweise den ganzen Tag dauern, einen Unterschlupf zu bauen oder Essen aufzutreiben. Aber das ist sehr therapeutisch: Du legst dein Telefon weg und interagierst direkt mit anderen Leuten. Du trittst mit anderen Menschen in Kontakt und bist plötzlich Teil einer kleinen Gemeinschaft. Wir Menschen sind Herdentiere. Wir sind dazu gemacht, miteinander zu leben. Aber auch wenn wir in unserem Alltag darüber reden, als Team zu arbeiten, gibt es oft immer unterschwellig das Bedürfnis, es nach oben zu schaffen und sich mit Leuten zu umgeben, die einen voranbringen. Es ist echt selten, dass Leute ernsthaft gemeinsam auf ein Ziel hinarbeiten. In der Natur arbeitest du besser im Team, weil sich alle gegenseitig vertrauen und ihren «Stamm» voranbringen wollen.
Auf ein Wort mit Survival-Expertin Megan Hine
Auf ein Wort mit Survival-Expertin Megan Hine
«Es geht darum, was du aus der Angst machst. Darum, die Angst zu kontrollieren, nicht von der Angst kontrolliert zu werden.»
Du schreibst über ein Phänomen, das du als «­false epicness» bezeichnest, und die Gefahr, die von ihm ausgeht. Was genau meinst du damit?
Ich habe das als Reaktion auf viele Abenteuer-­Blogger geschrieben, die in Städten gross geworden sind. In London gibt es viele Abenteuer-Blogger. Wenn sich Leute in der Natur wiederfinden, ist das sehr positiv. Aber wenn sie andere dazu ermutigen, rauszugehen, ohne ihnen die nötigen Infos oder Ausrüstung an die Hand zu geben, ist das nicht gut. Da wird dann das Bild von einem perfekten Tag auf dem Snowdon in Wales geteilt – aber wie oft hat es denn am Snowdon perfektes Wetter? Bei Sonnenschein ist der Weg hoch und runter leicht, wahrscheinlich könnte man ihn sogar in Flip-Flops schaffen. Aber bei schlechtem Wetter, wenn die Sicht von einem auf den anderen Moment gegen Null geht, können sich Leute in Flip-Flops, die keine Erfahrung haben, schnell in einer lebensgefährlichen Situation wiederfinden. Das ist es, was ich nicht gut finde. Es gibt zertifizierte Guides und die kosten kein Vermögen. Buche einen Bergführer für einen Tag, geh mit ihm raus, löchre ihn mit Fragen und er wird dir helfen, dich zurechtzufinden. Er wird dir beibringen, was du anziehen solltest und warum. Wenn man sich an­schaut, wie häufig die Bergrettung gegenwärtig gerufen wird, dann ist das sicher auch eine Folge der sozialen Medien.

In welchen Situationen hast du selbst Angst?
Immer wenn ich draussen bin, habe ich Angst. Es würde mich beunruhigen, wenn ich keine hätte. Denn Angst lässt dich erkennen, dass sich etwas verändert hat oder du nicht sicher bist. Wenn ich keine Angst mehr hätte, wäre das sehr gefährlich und ich würde Risiken eingehen, die ich nicht unbedingt verstehe. Es geht vielmehr darum, was du aus der Angst machst. Darum, die Angst zu kontrollieren, nicht von der Angst kontrolliert zu werden. Die Umgebung, mit der ich immer zu kämpfen habe, sind Helikopter, die haben etwas Unnatürliches an sich … sie sollten einfach nicht in der Luft sein.

Was war die gefährlichste Situation, in der du dich jemals befunden hast?
Da gab es schon einige Situationen – in der Natur besteht immer ein Risiko, egal, in welchem Umfeld du bist. So sehr mein Job auch darauf aus ist, das Risiko zu minimieren, ich kann nicht alle Gefahren ausschliessen.

Entstehen die meisten gefährlichen Situationen eher durch das Verhalten der Leute als durch die Natur selbst?
Absolut. Klar, wenn du dich in einem instabilen Umfeld bewegst, können Gefahren entstehen. Aber wenn Menschen eine Situation nicht richtig verstehen oder falsch interpretieren, wissen sie nicht, was passieren wird – bis sie damit konfrontiert sind. Und dann müssen sie sehr, sehr schnell lernen.

Was hast du bei deinen Expeditionen immer dabei?
Einen Anzünder und Feuerstahl. Manchmal ist meine Ausrüstung umweltabhängig. Aber solange ich die richtigen Schuhe für die jeweilige Umgebung habe, ein Messer und meine zwei Arten, Feuer zu machen, bin ich recht glücklich.

Dein Partner ist ebenfalls Survival-Experte. Bleibt Platz für Romantik, wenn es ums Überleben geht?
Wenn wir zusammenarbeiten, bedeutet ­Romantik für mich, zu wissen, dass wir uns aufeinander verlassen können, komme, was wolle. Gerade wenn du unter Stress und in teilweise sehr gefährlichen Umgebungen arbeitest, ist es wundervoll, jemanden zu haben, der dich unterstützt. Dem du Sorgen offenbaren kannst, die du niemals mit deinen Kunden teilen würdest. Auf Expeditionen sind es die kleinen Dinge – ein Blick, eine Berührung, ein Lächeln –, die dich daran erinnern, dass du ein Team bist. Wir beide, mein Partner und ich, sind starke Charaktere und handeln jeder auf unsere Weise. Manchmal muss einer von uns zurücktreten, um den anderen strahlen zu lassen. Wir sind elf Monate im Jahr unterwegs, gemeinsam oder getrennt, das kann anstrengend sein. Wenn wir zusammen arbeiten, versuchen wir immer, ein paar Minuten jeden Tag für uns zu haben. Leichter gesagt als getan ...