Alpe Adria Trail: Eine Fernwanderung vom Grossglockner an die Adria
Alpe Adria Trail: Eine Fernwanderung vom Grossglockner an die Adria
 Datum: 15.04.2020  Text: Ludwig Bestler  Fotos: Ludwig Bestler 

Meer in Sicht – Eine Fernwanderung vom Grossglockner an die Adria

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Meer in Sicht – Eine Fernwanderung vom Grossglockner an die Adria
Der Alpe Adria Trail verbindet zwei Sehnsuchtsorte: die Berge und das Meer. Dazwischen liegen 750 Kilometer Weg, auf denen man mehr findet als Natur, Kultur und kleine Abenteuer am Wegesrand. Etwa die Erkenntnis, dass Weitwandern müde macht – und viel Kraft gibt.
Alpe Adria Trail: Eine Fernwanderung vom Grossglockner an die Adria
Alpe Adria Trail: Eine Fernwanderung vom Grossglockner an die Adria
Italien, der Strand von Duino. Das Meer, endlich. In meinen Klamotten stehe ich bis knapp unter den Knien in der Adria – die Wanderschuhe in der Hand, gedankenverloren. Ein paar kleine graue Fische interessieren sich für die Haut an meinen Füssen. Mit dem Tape lösen sich auch die Reste aufgescheuerter Blasen. Kleine Überbleibsel einer grossen Tour. Ich suche Halt auf den glitschigen, von Algen bewachsenen Steinen. Das kühle Salzwasser, die müden Muskeln: Ich war schon so oft am Meer – noch nie hat es sich so gut angefühlt. Dieses Gefühl und den Ausblick habe ich hart erkämpft. Zu Fuss. Auf dem Alpe Adria Trail vom Grossglockner ans Meer, zusammen mit meinem besten Kollegen Ben.
Alpe Adria Trail: Eine Fernwanderung vom Grossglockner an die Adria
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Alpe Adria Trail: Eine Fernwanderung vom Grossglockner an die Adria
Alpe Adria Trail: Eine Fernwanderung vom Grossglockner an die Adria
Alpe Adria Trail: Eine Fernwanderung vom Grossglockner an die Adria
Alpe Adria Trail: Eine Fernwanderung vom Grossglockner an die Adria

Der Weg zum Trail

Licht aus, Tür zu, Feierabend. Wie jeden Tag. Von Montag bis Freitag grüsst Ben an seinem Arbeitsplatz das Murmeltier. Er kann es nicht mehr sehen. Und das schon nach gerade einmal fünf Monaten in seinem eigentlichen Traumjob bei einem grossen Autohaus: inklusive leitender Position, sehr gutem Gehalt, allen möglichen Vorzügen. Doch der Stress und der Druck äussern sich immer stärker – durch Rückenschmerzen, Schlaflosigkeit und ein ausgebranntes ­Gefühl. Genau in dieser Zeit kam ich nach einer ähnlichen Erfahrung im Job von einer Neuseeland-­Reise zurück. Drei Monate Auszeit, zu Fuss, nur mit Rucksack, Zelt, vier Unterhosen und irgendwann durchlöcherten Socken – von Süd nach Nord, kreuz und quer, völlig entspannt, den Kopf frei von jeglichen Verpflichtungen. Unsere Lebenslagen hätten unterschiedlicher kaum sein können. Er, der gut bezahlte Autoverkäufer, müde und leer. Ich, nun selbstständig, erholt und frei. Ein paar lange Abende mit intensiven Gesprächen später ist sich Ben sicher: «Ich zieh’ die Notbremse.» Von Vollgas auf vier km/h Durchschnittsgeschwindigkeit. Er will wandern. Weg vom Autohaus, hin zur Ruhe. Und ich begleite ihn. Warum auch nicht?

Die Kraft von Fernwanderwegen ist nicht erst seit dem Hype um einen auf dem Jakobsweg umherpilgernden Hape Kerkeling bekannt. Menschen suchen zu Fuss seit jeher nach irgendeiner Form von Hilfe. Egal, ob es um die Vergebung von Schuld und Sühne geht oder um die Sehnsucht nach Einfachheit und Entschleunigung. Ben will zum Runterkommen nicht um die halbe Welt fliegen, sondern auf seiner Wanderung die Alpen mit dem Meer verbinden. Weitwanderwege gibt es viele: Wir durchforsten Führer und Plattformen im Internet. Der Plan nimmt Gestalt an: Alpe Adria Trail. Start: Grossglockner. Ziel: Muggia. Der gesamte Strecke führt auf 37 Etappen mit 750 Kilometern durch Kärnten, Slowenien und Italien. Auf dem Weg ans Meer nehmen wir uns nur einen Teil davon vor und wollen mithilfe des Shuttle-Angebots möglichst viel von den drei Ländern, ihren Landschaften und Kulturen erleben.
«Ich zieh’ die Notbremse. Von Vollgas auf vier km/h Durchschnittsgeschwindigkeit.»
Alpe Adria Trail: Eine Fernwanderung vom Grossglockner an die Adria
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Fremdkörper

Mitte September, Kaiser-Franz-Josefs-Höhe. Die Bustüren öffnen sich, und ein Schwall vor allem älterer Touristen entlädt sich in 2369 Metern Höhe. Und wir mittendrin. Der Himmel strahlt in tiefem Blau, keine Wolke in Sicht. Im Schatten des höchsten Bergs Österreichs stehen wir auf dieser Aussichtskanzel, die grösser ist als ein Fussballfeld. Vor uns der mächtige Grossglockner, hinter uns ein fünfstöckiges Parkhaus mit 700 Stellplätzen. Selbst unter der Woche ist hier oben ganz schön was los, Massen strömen zwischen Besucherzentrum, Souvenirshop und Fotospot. Nur wir fühlen uns wie Fremdkörper, passen mit unseren schweren Rucksäcken nicht so recht ins Bild. Ein schnelles Erinnerungsfoto – und los! Schnell gelangen wir über die Treppen hinab zur Pasterze. Die heissen Sommer haben dem grössten Gletscher Österreichs gewaltig zugesetzt. Jedes Jahr verliert er mindestens 50 Meter an Länge. In den vergangenen 150 Jahren ist so eine Fläche von über 30 Quadratkilometern geschmolzen. Zurück bleibt der Sandersee im Gletschervorfeld und das Kerbtal, dem die erste Etappe unseres Wegs folgt. Keine Frage, der Start unserer Tour im Nationalpark Hohe Tauern ist imposant, dennoch beschäftigen uns diese deutlich sichtbaren Auswirkungen der ­Klimaveränderung und der Eingriff der Menschen in die Natur.

Auf der ersten Etappe hält der Trail, was er verspricht: Er bringt uns runter, körperlich und geistig. Die knapp 1100 Höhenmeter Abstieg aus der alpinen Bergwelt um den Grossglockner ins kleine Bergsteigerdorf Heiligenblut mit dem von Weitem sichtbaren spitzen Kirchturm der Wallfahrtskirche St. Vinzenz. Als wir am späten Nachmittag ankommen, sind wir platt und positiv gestimmt. So wie nach einer der vielen Wochenendtouren in den heimischen Bergen. Doch es fühlt sich anders an. Tag eins ist geschafft und wir sind gespannt, was uns erwartet.
Land und Leute strahlen soviel Gelassenheit aus, dass sogar Einheimischen das slowenische Wort für Hektik fremd vorkommt. «Vrvež» kann sowieso niemand richtig aussprechen.

Alltagsmodus

«Ihr seids ned die Erstn», beruhigt uns Shuttlefahrer Peter, während er uns durchs Mölltal kutschiert. Er fügt hinzu: «Die wenigst’n marschier’n den Weg komplett. Vielleicht fünf Prozent.» Der drahtige Kärntner vom Millstätter See ist Mitte 60, macht seinen Job aus Leidenschaft und kennt den Alpe Adria Trail, seit dieser im Jahr 2012 eröffnet wurde. Wenn sich einer auskennt, dann er. Wir sitzen schweigend auf der Rückbank und wissen nicht so recht, wie wir uns fühlen sollen. Zum ersten Mal erreichen wir unser Etappenziel nicht zu Fuss. «Im Jahr fahr’ i die Streck’ bestimmt 1000 Moi. Rentner, Touristen, Alpe-Adria-­Wanderer – bei mir sitzt ois im Bus», erzählt Peter weiter. Klar, die wenigsten Menschen haben die Zeit, alle 37 Etappen am Stück zu gehen. Dennoch: draussen, unabhängig und frei sein wollen, um sich dann ins Shuttle setzen – so recht will das nicht in unseren Kopf. Wir fühlen uns wie kleine Betrüger, die sich selbst betrogen haben. So sind wir ganz froh, als wir wieder das Gewicht der Rucksäcke auf den Schultern spüren. 

Wir streifen das Nordufer des Millstätter Sees. Nach Tagen auf einsamen Wegen fällt uns der Trubel des 6000-Einwohner-Ortes Seeboden richtig auf. Wir beobachten amüsiert das geschäftige Treiben am Seeufer, sind mittendrin und gehören doch nicht richtig dazu. Es ist Zeit, weiterzuziehen, hinein in die Nockberge in Richtung Millstätter Alpe. Auf den 20 Kilometern zum Etappenziel steigt der Weg sanft an, zuerst durch den Wald und dann über offene Alpen mit Tiefblick auf den Millstätter See. Schritt für Schritt finden wir zurück in den mittlerweile gewohnten Rhythmus. Am Abend erreichen wir die unscheinbare Alexanderhütte, ein kleiner bewirteter Berggasthof mit Schlafmöglichkeiten. Ein fast schon kitschiges Postkartenmotiv, idyllisch an der Hangkante gelegen mit freiem Blick auf den Millstätter See. Durch die dunklen Holzbalken wird die Hütte in der Dämmerung fast unsichtbar. Innen erwartet uns eine kleine Gaststube samt noch kleinerer Küche. In ihr werkelt Hüttenwirtin Uschi. «Jetz miasts eich a bissl schicka, mim Ess’n bestell’n», drängelt sie die späten Gäste mit einem ­Lächeln – herzlich, aber resolut: «Wissts, i muas glei nunta ins Dorf». Zum Glück ist es nicht schwierig, schnell etwas zu finden. Der Hunger ist gross, die Speisekarte übersichtlich. Mit dem, was dann kurze Zeit später vor uns steht, hätten wir nicht gerechnet: In einem kleinen Emailletöpfchen mit ordentlich Patina dampft die beste Kaspressknödelsuppe unseres Lebens. Die Brühe schmeckt kräftig nach frischen Bergkräutern, der heisse Käse aus der hütteneigenen Sennerei zerläuft auf der Zunge. Satt und selig klettern wir wenig später in unser kleines Zimmer über dem Stall. Ich schlafe, Ben schläft. Kaputt, erfüllt, ohne Rückenschmerzen.
Alpe Adria Trail: Eine Fernwanderung vom Grossglockner an die Adria
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Alpe Adria Trail: Eine Fernwanderung vom Grossglockner an die Adria

Das Duell

Offiziell schlängelt sich der Alpe Adria Trail auf 22 Etappen durch Kärnten, bis er am Jepzasattel die Grenze zu Slowenien passiert. Hier führt der Trail eine längere Zeit entlang des Grenzkamms, bis man südlich von Kranjska Gora in den Triglav Nationalpark eintaucht – benannt nach dem höchsten Berg des Landes, dem 2864 Meter hohen Triglav. Leider fehlt uns auf dieser Tour die Zeit, den Kalkstein-Riesen und Bergsteiger-Magneten genauer zu erkunden. Wache hält im einzigen Nationalpark Sloweniens der Sage nach Zlatorog, das Goldhorn. Der weisse Gamsbock mit den goldenen Hörnern hat die Aufgabe, die Schätze der Natur vor der Gier der Menschen zu bewahren. Und auf 838 Quadratkilometern Fläche gibt es einiges, was sich zu schützen lohnt. Der Trail führt durch einsame Täler, entlang smaragdgrüner Bergseen mit Blick auf die schroffen Kalkgipfel der Julischen Alpen. Es ist allerdings nicht nur die Natur, die uns berührt, sondern es sind auch die Menschen. Land und Leute strahlen eine Gelassenheit aus, dass sogar den Einheimischen das slowenische Wort für Hektik kaum über die Lippen kommt. «Vrvež» kann sowieso niemand richtig aussprechen. Ganz ohne «Vrvež» kommt zumindest Janko aus, der Besitzer unserer Unterkunft in Trenta. Seine Arbeit lässt er mit einem Schlag links liegen, als er erfährt, dass wir ursprünglich aus Bayern, seiner Meinung nach «der Heimat des Bieres», kommen. Wir haben noch nicht einmal unsere Rucksäcke abgesetzt, da sind wir schon Protagonisten einer slowenischen Bierverkostung. Rotes gegen grünes Etikett, Union versus Laško. Es wird ein hart umkämpftes Duell, ausgefochten bis tief in die Nacht.

Dementsprechend hart ist der nächste Morgen. Zumindest die frischen Temperaturen erleichtern uns zum Glück den Start in den Tag. Das Tal der Soča wartet. Der Fluss schimmert in verführerischem Türkis. Mit seinen Stromschnellen zwischen den unzähligen Trögen und Kolken ist er ein Hotspot für Kajakfahrer. Vom Ufer aus beobachten wir noch etwas unbeholfene Einsteiger-Gruppen und elegante Weisswasser-Experten. Die Soča – beziehungsweise der Isonzo, wie der italienische Teil heisst – gilt als einer der schönsten Flüsse Europas. Und gleichzeitig als einer der tragischsten Orte der europäischen Geschichte. Denkmäler und Infotafeln erinnern hier noch heute an die grösste Bergschlacht im Ersten Weltkrieg.
Wir umarmen uns, stehen einfach nur da. Müde, glücklich, zufrieden.
Alpe Adria Trail: Eine Fernwanderung vom Grossglockner an die Adria
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Zukunft: ungewiss

Italien, Endspurt. Der letzte Teil des Trails führt uns durch das Friaul, vorbei an Weinhängen und Zypressen, durch verschlafene Dörfchen. In Doberdò del Lago geniessen wir die letzte Mittagspause unserer Wanderung. Entspannt lungern wir auf dem Randstein vor einem kleinen Tante-Emma-Laden. Vor uns haben wir ein Luxusmenü auf dem Boden ausgebreitet: mit Parmesanbroten, Salami und schwarzen Oliven. Wir essen und beobachten das Treiben auf dem kleinen Marktplatz. Doch mit dem Glockenschlag um zwölf sind die Strassen wie leergefegt. Siesta in Bella Italia. Ich nutze die Stille. Kurz vor dem Ende unseres Abenteuers frage ich Ben zum ersten Mal nach der Zukunft: «Was machst du eigentlich, wenn wir wieder zu Hause sind?» Keine Antwort. Stattdessen lächelt er – und zuckt mit den Schultern. Kurze Zeit später blicken wir von einem Hügel aus zum ersten Mal auf das Meer. Das Ende ist nah. Östlich von Monfalcone erreichen wir Duino. Hier ist für uns Schluss. Am Strand, wo das Wasser unsere müden Füsse umspült, ist unsere Ziellinie. Wir umarmen uns, stehen einfach nur da. Müde, glücklich, zufrieden. Was morgen ist, wissen wir noch nicht. Ausser, dass wir wie die Tage zuvor unsere Wanderschuhe schnüren werden. Und dann zur Bushaltestelle gehen.
Der Alpe Adria Trail kompakt
Der Trail führt durch Österreich, Slowenien und Italien, vom Grossglockner an das adriatische Meer. Dabei verknüpft er Wanderwege, die schon lange bestehen und hervorragend ausgebaut sind. Für die Pflege und Instandhaltung sind die jeweiligen Alpenvereine der Länder (ÖAV, CAI und PZS) verantwortlich. Der Alpe Adria Trail verbindet drei verschiedene Kulturen und die ­wunderschöne Natur der Alpen-Südseite.


STARTORT
Kaiser-Franz-Josefs-Höhe, Grossglockner

ZIELORT
Muggia, italienische Adria

ETAPPENANZAHL GESAMT
37

GESAMTLÄNGE
750 Kilometer

UNTERKÜNFTE
Entlang des Trails stehen eine Vielzahl an Hotels, Pensionen, Hütten oder Jugendherbergen bereit, die alle auf die Bedürfnisse von Weit­wanderern ausgerichtet sind.

PLANUNG UND BUCHUNG
Über das Buchungscenter des Alpe Adria Trails kann eine individuelle Reise zusammengestellt werden.

SHUTTLE-ANGEBOT
Mit dem «Green-Spirit-Paket» lassen sich manche Etappen umweltfreundlich mit gebuchten Zug-Transfers überspringen. Zudem werden in den Unterkünften «Null Kilometer Gerichte» serviert – aus fair und regional produzierten Lebensmitteln. Grundsätzlich ist die Planung des Alpe Adria Trails völlig flexibel. Man kann überall in den Trail einsteigen, ihn überall beenden, es gibt sogar einen Transportservice für das Gepäck.

BESTE WANDERZEIT
Eine Begehung des Alpe Adria Trails ist fast das gesamte Jahr möglich. Nur die Wintermonate eignen sich aufgrund der Höhenlagen im Grossglockner-Gebiet nicht. Auf der Internetseite des Trails gibt es eine tagesaktuelle Übersicht zu den Bedingungen an den jeweiligen Etappenorten.

INFORMATIONEN
alpe-adria-trail.com oder in der App des Trails