Training im Kopf – Motivation & Aufmerksamkeit
Training im Kopf – Motivation & Aufmerksamkeit
 Datum: 15.05.2018  Text: Mila Hanke 

Training im Kopf – Motivation & Aufmerksamkeit

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Training im Kopf – Motivation & Aufmerksamkeit
Für mehr Erfolg und Spass im Sport macht mentale ­Stärke oft den entscheidenden Unterschied, bei Profi- wie bei Hobbysportlern. Im zweiten Teil unseres Schwerpunkt-­Themas gibt Sportpsychologin Mila Hanke gemeinsam mit anderen Experten praktische Tipps zum Ausprobieren: für eine motivierende Zielsetzung, gebündelte Konzentration – und einen positiven Umgang mit Verletzungen.
«Als ich zu Beginn meiner Karriere zum ersten Mal das Wort ‹Mentaltraining› hörte, klang das für mich wie ‹Yoga› vor 20 Jahren: Man weiss, dass es das gibt – aber man glaubt nicht, dass es wirklich was bringen kann.» Der Schweizer Chrigel Maurer ist der Star der internationalen Gleitschirm-Szene. Dreimal gewann der 35-Jährige den Weltmeistertitel und  fünfmal die «X-Alps», eines der härtesten Abenteuerrennen der Welt: von Salzburg nach Monaco, nur per Gleitschirm und Berglauf, rund zwei Wochen und mehr als 1000 Kilometer auf und ab über die Alpen. «Erst als sich mein Weg Jahre später mit einem Sportpsychologen kreuzte, habe ich gemerkt, wie wichtig der mentale Faktor für mich ist», so Maurer. Seit rund 15 Jahren ist der Adelbodener Gleitschirm-Profi und hat schon so ziemlich alles erreicht, was man erreichen kann. «Um auch weiterhin ganz vorne mitzufliegen, ist für mich mittlerweile die Motivation das A und O», sagt Maurer. «Und: die passende Strategie, um meine Ziele strukturiert anzugehen.»
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Die Motivationshand

Wer für ein Ziel täglich hart trainieren muss oder unterwegs ans Aufgeben denkt, dem kann helfen, vorab die persönlichen ­Motivationsquellen für sein Projekt zu reflektieren: Warum will ich dieses Ziel erreichen? Um mir einen persönlichen Traum zu erfüllen? Anerkennung zu gewinnen? Medienaufmerksamkeit zu erlangen? Will ich besser sein als andere? Oder vor allem Spass haben und das Erlebnis geniessen? Lege deine Hand auf ein Blatt Papier, umrande sie mit einem Stift und schreibe an jeden Finger die Motivationsfaktoren, die dich persönlich antreiben. Um dich immer wieder selbst an diese Bausteine zu erinnern, hefte das Papier zu Hause an einen Spiegel, an die Wand des Trainingsraums, habe es auf Tour im Rucksack, nehme es mit zum Rennen o. Ä. Je intensiver du diese Faktoren verinnerlichst, desto leichter und schneller lassen sie sich ­abrufen, wenn du in ein Motivationsloch rutschst.

Motivation & Zielsetzung

Eine psychologische Grundregel lautet: Hinter langfristiger Motivation und Erfolg im eigenen Tun steht immer die richtige Zielsetzung. Doch die ist nicht selbstverständlich. «Viele Sportler scheitern, weil sie ihre Ziele falsch formulieren», erklärt der Schweizer Sportpsychologe Thomas Theurillat, der auch Chrigel Maurer betreut. Wer zum Beispiel als Kletterer beschliesst: «Diesen Sommer will ich eine 8a-Route klettern» – der setzt sich ein sogenanntes Leistungsziel. Und wer sich als Mountainbiker vornimmt: «Beim nächsten Rennen will ich aufs Podium!», pusht sich mit einem Ergebnisziel. Beide Zielformen können langfristig als übergeordnete Motivationsquelle anspornen, etwa um regelmässig zu trainieren oder Diät zu halten. «In der konkreten Situation – am Wandfuss oder vor dem Start – sind sie aber für die meisten Sportler zu abstrakt und erzeugen zu grossen Druck», erklärt Sportpsychologe Jan Rauch von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Die Folge: Entweder man verkrampft dermassen in Kopf und Körper, dass man im entscheidenden Moment «versagt». Oder es schwindet die Motivation, sich trotz Widrigkeiten duchzukämpfen.

Tatsächlich erreichen auch viele Profisportler ihr Ziel gerade dann nicht, wenn sie im Kopf extrem auf das Endresultat fixiert sind. «Es ist ein psychologischer Trick, Ergebnis- oder Leistungsziele in kleine Zwischenziele mit ganz konkreten Handlungsschritten aufzuteilen», betont Coach ­Theurillat. Denn jedes Zwischenziel für sich ist deutlich einfacher, schneller und mit weniger Energieaufwand zu erreichen als das grosse Ganze. Das hat auch Chrigel Maurer erlebt und gelernt. «Als ich mich zum ersten Mal für das ‹X-Alps›-Rennen qualifiziert habe, hatte ich zwar den Traum, zu gewinnen – aber eigentlich war mir gar nicht klar, wie ich ein so komplexes Projekt überhaupt bewältigen kann.» Gemeinsam mit Theurillat hat er dann das 1000-Kilometer-Abenteuer in überschaubare Etappen zerlegt, auf die er sich taktisch, mit Konditionstraining und mental vorbereiten konnte. Für den Gleitschirm-Profi bedeutete das zum Beispiel: In der aufwendigen logistischen Planung von Monat zu Monat zu denken, beim Training von Tag zu Tag und mitten in dem 11-tägigen ­Rennen oft nur von Stunde zu Stunde. Resultat: Im Juli 2017 landete er zum fünften Mal als Erster und «X-Alps»-Sieger  in Monaco.

Ebenso kann es Hobbykletterern oder -Mountainbikern helfen, eine anspruchsvolle Route oder einen Trail in «Mini-Etappen» zu unterteilen. Das heisst: Statt sich das Mantra vorzusagen «Ich werde heute diese Wand durchsteigen!» oder «Ich will heute endlich diesen Trail schaffen!», konzentriert man sich nur auf das direkte nächste Handlungsziel.  Zum Beispiel: «An dieser Schlüsselstelle ­werde ich besonders auf meine Fusstechnik ­achten.» Oder: «In der Spitzkehre fokussiere ich nur auf meine Blickrichtung.» «Indem man immer nur den nächsten Schritt im Kopf hat, gelangt man wie auf einer Leiter Stufe für Stufe zu seinem Endziel», erklärt Sportpsychologe Rauch. «Gerade weil es mental nicht im Vordergrund stand.»

In Sachen Ziel-Formulierung können Sportler zudem noch etwas anderes falsch bzw. richtig machen. «Oft beschäftigt uns, was wir NICHT wollen und wir haben ein sogenanntes Vermeidungsziel im Sinn», erklärt Psychologe Theurillat. Zum Beispiel: «Ich will an dieser Schlüsselstelle nicht stürzen.» «Bewegungsabläufe werden aber sehr stark über innere Bilder gesteuert», erklärt ­Theurillat. «Und wer an ‹nicht stürzen› denkt, hat automatisch eine Sturzszene im Kopf.» Deshalb hat es einen erstaunlich grossen Effekt, ein Vermeidungsziel in ein positives umzuformulieren. Also statt «Ich will nicht stürzen» besser:  «Ich werde diese Schlüsselstelle konzen­triert meistern». Und sich genau diese Formulierung auf Tour in Gedanken vorzusagen oder vorab zu Hause auf eine Karteikarte zu schreiben und im Rucksack dabeizuhaben. Was banal klingt, hat überraschende Wirkung. «Mit grosser Wahrscheinlichkeit sieht man sich dann vor seinem innere Auge die Stelle bewältigen», so Theurillat. «Und der Körper wird den eigenen Bewegungsablauf automatisch an diese Bild-Vorgabe anpassen.»
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Übungskasten «Wenn …, dann …»-Strategien

Um die Motivation auch dann aufrechtzuerhalten, wenn es nicht läuft wie geplant, helfen sogenannte «Wenn …, dann …»-Strategien. Notiere im Vorfeld, wann unterwegs welche Hürden auftreten könnten (z. B. ein steiler, rutschiger Downhill auf der Bikestrecke, eine feuchte Schlüsselstelle in der Kletterroute, eine Gegenwindpassage beim Berglauf …) – und was genau du dann tun kannst, um diese Situation zu meistern. Zum Beispiel: «Wenn es beim Berg-Rennen regnet und ich den Biss verliere, konzentriere ich mich nur noch auf die Startnummer der Läuferin vor mir» Oder: «Wenn ich an der Schlüsselstelle im Überhang Angst bekomme, atme ich tief durch und kon­zentriere mich nur auf die Grifftechnik der rechten Hand.» Lese diese «Wenn …, dann …»-Strategien im Alltag und vor der Tour so oft wie möglich durch, um sie zu verinnerlichen. So entsteht ein grundlegendes Sicherheits­gefühl, weil du für potenzielle ­Motivationslöcher schon im Vorfeld eine Strategie parat hast.

Konzentration & Aufmerksamkeit

Egal, ob kniffliger 5-Minuten Downhill- oder gerölliger 5-Stunden-Berglauf: Konzentration ist im Sport eine weitere mentale Schlüsselfähigkeit. «Sich nicht von Konkurrenten, dem Wetter oder dem eigenen Übermut ablenken zu lassen, war auch für mich früher leichter gesagt als getan», erzählt Gleitschirm-Profi Maurer. Seine persönliche Lösung: eine Checkliste, immer sichtbar auf seinem Handydisplay oder einem Klebestreifen am  Jackenärmel. «Aus dem Training wusste ich, welche Faktoren für meine Kräfteeinteilung während des rund zweiwöchigen ‹X-Alps›-Rennens entscheidend sind», erklärt Maurer. Zum Beispiel: In Lauf-Passagen nicht schneller als 10 km / h, alle 30 Minuten etwas essen und trinken, nicht mehr als 800 Höhenmeter pro Stunde. Für ihn sei es wichtig, die Aufmerksamkeit immer wieder bewusst auf diese Strategie-Fakten zu lenken. «Und dafür ist der visuelle Erinnerungstrick eine tolle Hilfe.»  

Auch Hobby-Outdoorsportlern sollte bewusst sein, dass Konzentration nicht automatisch da ist, wenn man sie braucht. «Viele geben in einer stressigen Jobwoche Vollgas und ziehen dann ohne Pause am Samstag in aller Frühe los», betont der Münchner Sportpsychologe Kai Engbert. «Die Folge: Dem Gehirn stehen deutlich weniger Aufmerksamkeitsreserven zur Verfügung – das Risiko für Fehler und Unfälle nimmt zu.» Auch unterwegs achten die meisten Bergsportler eher auf die müden Muskeln als auf einen müden Kopf. Gerade in Gruppen verlieren so viele aus dem Blick, ob sie wirklich noch aufmerksam genug sind für den vereisten Gipfel beim Bergsteigen oder die letzte steile Passage des Mountainbike-Trails.
Die 4 Formen der Aufmerksamkeit
Bergsportler sollten erkennen, worauf ihr «Aufmerksamkeits-Scheinwerfer» gerade gerichtet ist – und ob diese «Richtung» ihnen gerade hilft oder sie ablenkt.
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Scheinwerfer

Und auch wenn die Konzentrationsspeicher noch voll sind, nehmen die wenigsten wahr, worauf die eigene Aufmerksamkeit eigentlich gerade ­gerichtet ist. «Je nach Sportart, Situation und Persönlichkeit kann die eine oder die andere ‹Richtung› aber die Leistungsfähigkeit fördern oder schwächen», erklärt Sportpsychologe Engbert. Stellt man sich die eigene Konzentration vor wie einen Scheinwerfer, kann sie entweder nach aussen auf die Umgebung gerichtet sein oder nach innen auf die eigenen Gedanken und Gefühle. Zudem kann der Scheinwerfer «das grosse Ganze» beleuchten oder nur die Details. Daraus ergeben sich die vier Kombinationsmöglichkeiten «aussen – weit», «innen – weit», «aussen – eng» und «innen – eng». Die Grafiken auf S. 126 veranschaulichen den Unterschied. «Sportler sollten erstens in der Lage sein, diese Ausrichtung jederzeit wahrzunehmen», betont Engbert. «Zweitens beurteilen können, ob dieser Fokus ihre Leistung gerade pusht oder hemmt. Und drittens schnell zwischen den verschiedenen Schweinwerfer-­Einstellungen wechseln können, damit sie das Beste aus dem Moment herausholen und keine Fehler machen».
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«Ablenkung, bitte draussen bleiben!»

Konzentration bedeutet auch, mental vollkommen im Hier & Jetzt zu sein. In anspruchsvollen Situationen gilt es, Gedanken  an die Vergangenheit («Vor­hin bin ich auch schon mit dem Hinterrad weggerutscht  …») und an die Zukunft («Wenn ich jetzt stürze, werde ich mich verletzen») komplett auszu­blenden. Nur der Moment zählt. Dabei können kurze Selbstinstruktionen helfen. Das sind Schlagworte wie etwa «Fokus!», «Jetzt!» oder «Hepp!» – ausgesprochen oder nur gedacht. Jeder Sportler kann selbst testen, welches Wort für ihn am besten als Konzentrationssignal funktioniert. Um auf Tour schnell und automatisch die gewünschte «Aufmerksam­keitsbündelung» auszulösen, sollte man den Wort-Einsatz auch im Training oder Alltag üben, etwa wenn im Jobstress die ­Gedanken springen. Wem visuelle ­Erinnerungen helfen, der kann sein Fokus-Stichwort auch auf eine Karteikarte schreiben, an den Computer heften und beim Sport im Rucksack dabei haben. Ein einfacher Trick sind ­kleine farbige Aufkleber, beispielsweise am Bike-Lenker oder auf der Trinkflasche. So kann allein der Blick auf einen blauen Punkt zum Symbol für  «Konzentrier dich!» werden.
4 Tipps für eine bessere Konzentration auf anspruchsvollen Touren

DEN KOPF «VERSORGEN»

Klingt banal, wird aber oft vergessen: genügend Schlaf vorab und unterwegs regelmässig essen und trinken. Wenn das Gehirn nicht genügend Energie und Flüssigkeit bekommt, sinkt die Aufmerksamkeitsleistung rapide.

STRESSFAKTOREN VERMEIDEN
 z. B. Hektik / Verspätung bei der Anfahrt, unvoll­ständige ­Ausrüstung, Gruppe, die konditionell / technisch nicht zusammen­passt, privaten oder beruflichen Stress im ­Vorfeld u. Ä. 

MENTALE PAUSEN EINLEGEN
Bei längeren Touren Rastmomente und leichtere Passagen nutzen, um sich auch mental «zu erholen». Den Blick in die Ferne schweifen lassen oder kurz die Augen schliessen, auf die ruhige, tiefe Atmung konzentrieren, Muskeln lockern, Musik hören o. Ä. Stundenlange Dauerkonzentration ist unmöglich, der Versuch ermüdet und erhöht das Risiko für Fehler und Verletzungen.

KONZENTRATIONS-PUSH AUF DIE SCHNELLE
Tief und laut ein- und ausatmen, Körperspannung herstellen (z. B. Handflächen zusammenpressen, Fäuste abwechselnd ballen und öffnen oder mit den Fingern schnipsen) «Konzentrationsscheinwerfer» bewusst ausrichten (s. Grafiken): Worauf liegt mein Fokus gerade? Ist er jetzt für meine Leistung förderlich oder störend? Sollte ich ihn umlenken? 

FOKUS-SCHLAGWORT
um vollkommen im Moment zu bleiben

UND WIE MACHT IHR DAS?

Der Outdoor Guide fragt – zwei Profis antworten
Wie wichtig ist der «mentale Faktor» in deinem Sport?
Nino Schurter: Gerade bei grossen Meis­ter­schaften ist er oft entscheidend. Viele Mountainbiker können in wichtigen Rennen ihr Potenzial nicht abrufen, weil sie sich im Kopf selbst im Weg stehen.
Nina Caprez: Für mich ist der wichtigste mentale Faktor, dass das Herz voll dabei ist, bei  allem, was ich tue. Ich muss Leidenschaft für meinen Traum empfinden – dann kann ich auch mit einem harten Trainingsweg und Rückschlägen umgehen.  

Hast du schon mal mit einem Mentaltrainer zusammengearbeitet?
Nino Schurter: In der Junioren-National­mannschaft hatten wir einzelne Kurse. Seitdem nutze ich manche Übungen eigenständig, z. B. das Visualisieren. Das heisst, ich «fahre» technische Schlüsselstellen immer wieder und wieder vor meinem inneren Auge ab.
Nina Caprez: Nein – aber das liegt nur daran, dass ich intuitiv für mich alleine mentale Methoden gefunden habe, die mir sehr helfen. 

Ihr habt als Profisportler schon sehr viel erreicht. Wie motiviert ihr euch weiterhin?
Nino Schurter: Indem ich mir immer neue Ziele setze. Die Heim-WM in Lenzerheide im Sommer 2018 ist für mich z.B. ein besonderer Ansporn. Zudem möchte ich den Franzosen Julien Absalon eines Tages in puncto Weltcupsiege einholen.
Nina Caprez: Mich motivieren faszinierende Routen am Fels – nicht das Wettkampfklettern an Plastikgriffen. Nicht der Vergleich mit anderen treibt mich an, sondern die Auseinandersetzung mit meinen Stärken und Schwächen mitten in der mächtigen Natur – und die Freiheit, darin meinen eigenen Weg zu finden.

Als mentale Motivationshilfe gelten kleine Zwischenziele auf dem Weg zu einem grösseren Traum. Nutzt ihr diese Methode?
Nino Schurter: Für mich sind gerade Mini-­Ziele für jede Trainingseinheit sehr wichtig. Ich trainiere z. B. immer mit einem Powermeter. So kann ich jede einzelne Session bewerten – und das Erreichte gibt mir Motivation und Selbstvertrauen für spätere Wettkämpfe. Ein Trainingsziel wäre z. B. eine Minute lang eine Leistung von 730 Watt zu treten.
Nina Caprez: Innerhalb einer Route denke ich immer nur an den nächsten Zug, also an das nächste kleine Handlungsziel. Nie an das grosse Ganze oder schon im Voraus an die Schlüsselstelle, die erst in 20 Metern kommt. So meistere ich eine Route wie Stufen einer Leiter. 

Eure Sportarten erfordern enorme Konzentration. Habt ihr Tricks, um sie zu stärken oder wachzurufen?
Nino Schurter: Während eines Rennens erinnere ich mich immer wieder daran, aufmerksam zu bleiben – indem ich mir das selbst zuspreche, laut oder im Kopf. Um vor einem Start voll zu fokussieren und z. B. Medienwirbel auzublenden, hilft mir ein simples Vorbereitungsritual: Rucksack packen, Schuhe, Helm, Brille und Trikot rauslegen, Nummer montieren.
Nina Caprez: Ich versuche, immer 100 Prozent im Moment zu sein. Dazu gehört auch, Umstände zu ­akzeptieren, wie sie sind. Wind, Regen, eine Passage, die mich mehrmals abwirft – so was bringt meinen Fokus nicht durcheinander. Und wenn ich privat oder beruflich Stress habe, dann gehe ich gar nicht erst klettern.
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NINO SCHURTER

Der Schweizer Mountainbiker Nino Schurter gewann Bronze, Silber und Gold bei Olympia und ist sechsfacher Weltmeister. Seit er mit 23 Jahren als jüngster Fahrer in der Geschichte den Weltmeister-Titel in der Elite-Kategorie ­gewann, gilt er als Dauerfavorit der ­Szene. Als seine Stärken sieht der 31-Jährige technische Abfahrten, schnelle Starts – und seine mentale Fitness. Als seine Schwäche: Ungeduld. 

nsracing.ch

NINA CARPEZ

Nina Caprez kehrte mit 21 dem Wettkampfklettern den Rücken. Seitdem gehört die heute 31-jährige Schweizerin zu den wenigen Frauen weltweit, die im alpinen Sportklettern im obersten Schwierigkeitsgrad erfolgreich sind. 2011 meisterte sie z. B. als erste Frau die Route Silbergeier (8b+) im Bündner Rätikon. Ninas Pläne für 2018: ein Projekt im Libanon mit ­syrischen Flüchtlingen (www.ninacaprez.ch/something-­to-offer/) und eine Expedition an den Trango Tower in Pakistan.

ninacaprez.ch
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RAUS AUS DER OPFERROLLE

Verletzungen schlagen vielen Sportlern «auf die Psyche». ­Sportpsychologin ­Romana Feldmann über mentale ­Hilfestellungen und die körperliche Krise als persönliche Chance.
Frau Feldmann, wenn sich Sportler verletzen, fallen viele erst mal in ein psychisches Loch. Warum?
Nach einer Verletzung überrumpelt die Betroffenen meist eine Mischung aus verschiedensten Gefühlen: Wut, Verzweiflung, Enttäuschung, Hilflosigkeit und Angst. Plötzlich entpuppt sich der immer funktionierende Körper als Illusion – das kann ein Grundvertrauen erschüttern. Dazu kommt, dass es bei diversen Verletzungen keine Richtlinien gibt, wie lange der Heilungsprozess dauert. Auch das Aushalten dieser Ungewissheit ist sehr belastend. Oft suchen Sportler in Verletzungsphasen zum ersten Mal die Unterstützung eines Sportpsychologen, weil sie plötzlich merken, wie sehr sie das Erlebnis psychisch mitnimmt. 

Wer normalerweise jede freie Minute in die Berge stürmt, fühlt sich auf einmal, als sei er nicht mehr er selbst …
Besonders im Profisport, aber auch bei manchen Hobbysportlern, lösen Verletzungen oft Identitätskrisen aus. Denn es bricht ein wesentlicher Pfeiler ihres Selbstbildes weg: Wer bin ich überhaupt, wenn ich keinen Sport machen kann? Was macht mich sonst noch aus als Persönlichkeit? Wichtig ist: nicht in die Opferrolle zu verfallen, sondern sich so schnell wie möglich auf die eigenen Ressourcen zu konzentrieren. Also bewusst zu reflektieren: Gibt es noch ­andere Quellen für Spass, Anerkennung oder soziales Miteinander in meinem Leben, die ich jetzt «anzapfen» kann? Habe ich Interessen, die ich wegen des Sports vernachlässigt habe? Wollte ich nicht schon immer mal Spanisch lernen? Welche Freundschaften möchte ich intensivieren, welches Ehrenamt könnte mir Spass machen?  

Wie wichtig sind konkrete Zielsetzungen, um die Rehaphase zu überstehen?
Die meisten Verletzten fühlen sich zunächst dem Schicksal hilflos ausgeliefert. Der erste Schritt ist, die Situation zu akzeptieren und dann die eigene Handlungsfähigkeit ­zurückzuerlangen. Konkrete Zwischenziele stärken das Gefühl, den eigenen Zustand selbst beeinflussen zu können. Sie können z. B. helfen, sich für die Rehaphase zu motivieren und so schneller wieder fit zu werden. Also am besten mit dem Physiotherapeuten konkret planen und notieren: Wenn ich jeden Tag xy Beinpressen und xy Minuten Stabilitätsübungen mache, dann darf ich in xy Wochen die Gewichte steigern, in xy Wochen wieder aufs Laufband usw. 

Wie lässt sich der durcheinandergewirbelte Alltag neu sortieren?
Wenn verletzte Sportler zu Hause hocken, fehlt ihnen oft jegliche Struktur. Sie sollten sich einen ganz konkreten Tages- und Wochenplan aufschreiben, sich selbst Aufgaben geben und dafür feste «Termine» machen: Wann gehe ich zur Physio, wann mache ich Kräftigungsübungen zu Hause, wann treffe ich welche Freunde, um unter Leute zu kommen? Und strikt abhaken, ob man diese Aufgaben erledigt hat. Das gilt übrigens auch für Erholung und Entspannung. 

Erholung, wenn man sich eh nicht ­bewegen kann? Das klingt nach einem seltsamen Rat.
Ist es aber nicht. Eine Verletzung ist Stress für den Körper und die Psyche. Alltags­routinen, Selbstständigkeit und normales Sozialleben sind aus der Bahn geworfen. Man muss für jede Kleinigkeit Hilfe organisieren, den All­tag umplanen, weil man für jede Tätigkeit viel länger braucht – das alles ist anstrengend, auch im Kopf. Deshalb ist es so wichtig, auch Zeit für Erholung einzuplanen. Das können ganz ­verschiedene Dinge sein: sich mit Freunden oder bisherigen Trainingspartnern fürs Kino, Konzert oder zum Kochen treffen. Zeit in der ­Natur. Oder auch Entspannungsübungen von Autogenem Training bis Yoga. 

Wie komme ich aus der Opferrolle und der «Alles ist scheisse»-Perspektive heraus?
Der Trick ist: Die Wahrnehmung umlenken. Zum Beispiel, indem man jeden Abend drei Dinge in ein Heft notiert, die an diesem Tag schön waren – obwohl man keinen Sport machen konnte. Das ist für leistungsorientierte Sportler oft schwierig. Aber es lohnt sich, bewusst darauf zu achten: einen Spaziergang mit dem Partner gemacht. Einen interessanten Artikel gelesen. Im Park gesessen und die Sonne genossen. Wenn man diese Dinge bewusst aufschreibt, macht das objektiv nachlesbar, dass gar nicht «alles scheisse» ist. Und die Aufgabe sorgt automatisch dafür, dass man sich darum kümmert, dass die Seiten nicht leer bleiben. 

Was meint der sportpsychologische Ansatz «Jede ­Verletzung ist auch eine Chance»?
Dahinter steht die Idee der «­secondary gains» – dem Gewinnbringenden auf den zweiten Blick. Viele Sportler erzählen rückblickend, dass sie in einer langen Verletzungsphase viel über sich selbst gelernt haben. In diesem Prozess kann sportpsychologisches Coaching viel anstossen. Einige Betroffene haben z. B. gelernt, andere Methoden zum Stressabbau zu finden als Sport. Oder sie haben ihre Prioritäten im Leben reflektiert – und sind berufliche oder private Veränderungen angegangen, zu denen es ohne die Verletzung nicht gekommen wäre.  

Romana Feldmann
Sportpsychologin aus Küsnacht
romanafeldmann.ch