Sicher auf Tour – Lawinensicherheit
Sicher auf Tour – Lawinensicherheit
 Datum: 15.10.2018  Text: Manuel Genswein 

Sicher auf Tour – Lawinensicherheit

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Sicher auf Tour – Lawinensicherheit
Detaillierte Tourenplanung per Smartphone, leichtere Airbag-Systeme, schnellere LVS-Geräte: Die Sicherheitsausrüstung für Freerider und Tourengeher wird immer besser. Doch auch die innovativsten Teile schützen nach wie vor weder vor leichtsinniger Planung oder falscher Handhabung noch vor Übermut.
Die unberührte Schneedecke funkelt in der Sonne, die Bäume sind in dickes Weiss gehüllt. Im Aufstieg muss man kräftig durch den Tiefschnee spuren. Egal, dafür sind wir ja gleich die Ersten, die vom Gipfel durch den jungfräulichen Powder surfen können. Am Grat pfeift uns der Wind um die Ohren. Was hatte noch mal das Bulletin gemeldet? Gespannter Dreier? Egal, nichts wie rein in diesen Hang, über die Wechte gedroppt, ein langer Schwung und …. Bumm!

So plakativ formuliert, so drastisch kann sich der Powdertraum in ein Horrorszenario verwandeln. Daher ist die richtige Vorbereitung für den Spass und die Sicherheit eines Freeridetages oder einer Ski- oder Snowboardtour essenziell. Stimmt das Tagesziel mit dem Können der Teilnehmer, der Gruppengrösse und den aktuellen Verhältnissen überein? Liegen die anvisierten Abfahrten und Aufstiege bezüglich der Geländewahl tatsächlich im Komfortbereich aller Teilnehmer? Denn für die meisten Skifahrer oder Snowboarder liegt der Spassfaktor «offpiste» nicht im 40°-Absturzgelände. Doch nur zu oft werden aus Prestigegründen Abfahrten oder Gipfelziele gewählt, welche nicht nur ein deutlich erhöhtes Restrisiko mit sich bringen, sondern, Hand aufs Herz, mehr Angst als Spass machen. Bereits auf dem Weg zum Tourenziel oder beim Zustieg zur Hütte gilt es daher zu überprüfen, ob die tatsächlichen Verhältnisse auch wirklich mit der Tourenplanung daheim und den dabei getroffenen Annahmen und Vorhersagen übereinstimmen – oder ob allenfalls besser ein Alternativziel ausgewählt wird. Die Überprüfung der äusseren Umstände, aber auch des Zustands der Gruppe, ist ein ständiger Prozess, welcher erst mit der Rückkehr ins Tal abgeschlossen ist.
Mountain Safety
Was ist der effektivste Weg der LVS-Suche, welcher am effektivsten zu sondieren? MountainSafety.info hat sich zur Aufgabe gemacht, eine internationale Wissensbasis für alpine Sicherheit zu entwickeln. Projektpartner sind der Internationale Bergführerverband (IFMGA), die Internationale Kommission für Alpine Rettung (ICAR) und, als wissenschaftliches Mitglied, das WSL-Institut für Schnee und Lawinenfoschung SLF sowie die Kooperation mit der Union Internationale des Associations d’Alpinisme (UIAA). Zu den Hauptzielen von MountainSafety.info zählt unter anderem, das existierende Wissen zu sammeln und nutzbar zu machen, sowie weitere Inhalte auf Basis wissenschaftlicher Beweise zu entwickeln und dieses Wissen mit einer standardisierten Fachterminologie in so vielen Sprachen wie möglich bereitzustellen.

Weitere Informationen unter mountainsaftey.info

Funktionscheck vor dem Start

Ein Lawinenverschüttetensuchgerät (LVS) mit drei Antennen und einer Markierfunktion, eine Lawinensonde mit mindestens 240 Zentimetern Länge und eine Metallschaufel stellen heute den Mindeststandard der persönlichen Ausrüstung für die Kameradenrettung. Seit dieser Saison sind, nach vier Jahren intensiver Labor- und Feldtests, die ersten Schaufeln mit dem neuen Safety-Label der UIAA am Markt erhältlich. Des Weiteren sind ein Airbag-System sowie ein Helm sinnvolle Zusätze für einen wirkungsvollen Schutz im Falle eines Sturzes oder Lawinenabgangs. Vor dem Start der Tour ist die Überprüfung der LVS aller Teilnehmer auf ihre korrekte Funktionsweise mittels Gruppentest obligatorisch. Hat sich eben erst eine neue Gruppe formiert, lohnt es sich, den doppelten Gruppentest anzuwenden. Dabei wird sowohl die SEND- als auch die SEARCH-Funktion aller Teilnehmer und des Gruppenleiters überprüft wird. Zudem ist der Gruppentest gleichzeitig eine letzte Möglichkeit, kurz zu prüfen, ob alle essenziellen Ausrüstungsgegenstände dabei sind – und er erfordert zumindest eine minimale Interaktion jedes Teilnehmers mit seinem LVS. Für einen zuverlässigen Gruppentest soll eine Distanz von einem Meter zwischen Teilnehmer und Gruppenleiter eingehalten werden, wobei die Teilnehmer circa drei Meter voneinander entfernt sind, um eine gegenseitige Beeinflussung der Geräte zu vermeiden. Beachten Sie die herstellerspezifischen Angaben. Für Ausbilder empfiehlt sich im Weiteren die «Avalanche Transceiver App», die Informationen zu sämtlichen Geräten am Markt mit ihren Kernfunktionen einfach, übersichtlich und jederzeit offline abrufbar macht.
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Das Graben frisst die meiste Zeit

Kommt es trotz sorgfältiger Tourenplanung und aktivem Risikomanagement zu einem Lawinenunfall, zählt jede Minute, um das Überleben der Kameraden zu sichern. Während in den ersten 18 Minuten noch 85 bis 90 Prozent der Verschütteten überleben, stürzen danach die Überlebenschancen jede einzelne Minute um zwei bis drei Prozent ab. Nach bereits 35 Minuten kommt für circa 70 Prozent aller Verschütteten jede Hilfe zu spät. Das Überleben in einer Lawine ist nach diesem Zeitraum nur mit freien Atemwegen möglich. Allein die beste Ausrüstung rettet kein Leben, wenn ihre Anwendung vorgängig nicht mehrmals geübt wurde. Während die Entwicklung der LVS-Geräte in den vergangenen 20 Jahren sehr grosse Fortschritte in der Benutzerfreundlichkeit gebracht hat und die Suchzeiten heute nur noch einen sehr kleinen Teil der Gesamtrettungszeit ausmachen, bleibt das Ausgraben immer noch harte Knochenarbeit. Das Graben erfordert jedoch nicht nur Muskeleinsatz, sondern auch eine gute Arbeitstechnik und Koordination in der Gruppe, was durch die Schneeförderbandmethode (siehe Abbildung) ermöglicht wird. Mit der richtigen Technik können so auch weniger starke Personen den Verschütteten schnell und kraftsparend ausgraben. Kaufen Sie sich hierzu keine allzu grosse Schaufel! Eine mittlere Schaufelblattgrösse, jedoch zwingend mit einem Teleskopstiel, ist für die Mehrheit der Wintersportler die beste Wahl. Denn ein grosses Schaufelblattvolumen überfordert die meisten Kameraden- und Profiretter und führt zu einer vorschnellen Ermüdung. Erhöht man dagegen die Schaufelfrequenz mit einem etwas kleineren Schaufelblatt, erreicht man mehr. Ein ebenfalls interessanter Aspekt: Die abgewinkelte Hack- und Räumfunktion führt in der Lawinenrettung nicht zu dem in der Werbung versprochenen Zeitgewinn. Im Gegenteil, das Werkzeug verliert in dieser Form nur an seiner universellen Einsatzfähigkeit. Bei weichem Schnee bewegt der Retter mit langen Paddelbewegungen viel mehr Schnee und kann jederzeit, ohne umzubauen, wieder etwas härteren Schnee in Blöcke stechen.
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Reanimation mit Beatmung

Folgt der Retter beim Graben direkt der Sonde, so ist es unmöglich, den Verschütteten zu verpassen! Wird der Verschüttete sichtbar, arbeiten (falls vorhanden) möglichst zwei Retter direkt vorne am Patienten. Die Atemwege müssen so schnell wie möglich freigelegt werden. Denn der Lawinenpatient hatte, wenn überhaupt, nur ein sehr geringes Luftvolumen zur Verfügung. Zudem kommt es in kürzester Zeit zu einer starken Atemdepression durch das vom Verschütteten selbst produzierte CO2. Der Effekt ist identisch zu dem Versuch, sich eine kleine Plastiktüte vor das Gesicht zu halten und nur daraus ein- und auszuatmen. Können die Retter beim Verunfallten keine Atmung mehr feststellen, beginnt mit dem Freilegen des Kopfes sofort die Herz-Lungen-Wiederbelebung mit fünf Atemstössen. Im Unterschied zu den heute gültigen Regeln bei der Reanimation für Laienretter, ist für einen Lawinenpatienten die Beatmung aufgrund der vorangegangenen Atemdepression zwingend erforderlich. Neben dem versierten Umgang mit der persönlichen Sicherheitsausrüstung ist die schnelle und geübte Reaktion unmittelbar nach dem Stillstand der Lawine also von fundamentaler Bedeutung: nicht nur über «Leben und Tod» des   verunfallten Tourenpartners, sondern insbesondere auch darüber, ob dieser nach dem Unfall ein normales Leben weiterführen kann – oder ob aufgrund einer Hirnschädigung massive Folgen für die weitere Lebensqualität zu befürchten sind. Die beste Prävention vor einem Lawinenunfall bleibt daher neben der seriösen Vorbereitung eine ständige, sich kritisch hinterfragende Selbst- und Lagebeurteilung auf Tour.
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Die Nachfolgerin der iProbe One ist eine Sonde mit elektronischem Sensor. Dieser unterstützt und beschleunigt das Sondieren durch eine optische (leuchtende LEDs) und akustische (Piepton) Trefferanzeige. Um bis zu 60 Prozent sagt Hersteller Pieps. Der in der Sondenspitze integrierte LVS-Empfänger lokalisiert jedes normgerecht sendende LVS-Signal (457 kHz). Beim Spannen der Sonde wird diese automatisch aktiviert. Nähert sich die iProbe im Schnee dem Verschütteten auf unter 50 Zentimeter, leuchten beide LEDs in Kombination mit einem Dauerton. Verfügt der Verschüttete über ein Pieps-LVS mit iProbe-Support, wird dieses in den Sleep-Modus versetzt, sodass die Retter bei einer Mehrfachverschüttung sofort weitersuchen können. Entfernt man die Sonde, beginnt das Gerät nach fünf Sekunden wieder zu senden. Die Sonde besteht aus Aluminium, die Segmente verfügen über eine Zentimeter-Anzeige. Verfügbar ist die iProbe II in den Längen 220, 260 und 300 cm bei einem Packmass von 47,6 cm. Eine AA-Batterie mit einer Lebensdauer von 125 Stunden versorgt die Sensorik mit Strom.

Digitaler Suchhund
Pieps
«iProbe II»
390, 430, 470 g
Längen: 220, 260, 300 cm
CHF 220.– (220 cm)
pieps.com
Die Ortovox Kodiak ist eine langjährig bewährte Lawinenschaufel. Blatt und Schaft sind aus gehärtetem und eloxiertem 6061 Aluminium. Das Blatt hat eine geschärfte Schneide und eine hohe Seitenwand. Gut 3,1 Liter Volumen Schnee lassen sich so mit einem Hub bewegen. Der ovale Teleskop-Schaft rastet wie das Blatt automatisch per Klick-Arretierung ein. Ein Handgriff genügt, um das Blatt um 90° zu drehen und die Räumfunktion zu aktivieren. So weit, so bekannt. Verfügt die normale Kodiak über einen stabilen D-Griff, kommt die neue Saw-Version mit einem T-Griff, der sich (Überraschung!) als Griff der im Schaft versteckten Schneesäge entpuppt. So ist die Kodiak nicht nur ein robustes Arbeitstier, um schnell und effektiv einen Verschütteten auszugraben, sondern wird auch zum Meister für fein geschnittene Schneeblöcke, für professionelle Schneeprofile oder auch zum Bau eines Iglus.

Scharfe Maschine
Ortovox
«Kodiak Saw»
790 g
CHF 149.–
ortovox.com
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Der Scott Backcountry Patrol AP 30 ist der erste Lawinenrucksack mit dem neuen Alpride E1 Airbag-System. Dieses benötigt zur Auslösung weder eine Kartusche noch Akkus: Die Auslösung erfolgt mechanisch, der Kompressor samt Ventilationssystem wird per Superkondensator-Technologie angetrieben. Diese ist leichter als Batterien und funktioniert bei Temperaturen zwischen -30 bis +50 Grad Celsius. Die Kondensatoren haben eine Lebensdauer von mehr als 500‘000 Ladungen. Das heisst, der 150-Liter-Airbag kann zu Trainingszwecken quasi unbegrenzt oft ausgelöst werden. Das 1280 Gramm leichte E1-System kann entweder per USB oder über zwei AA-Batterien geladen werden und ist innerhalb kurzer Zeit wieder voll funktionsfähig. Scott sichert zwei Auslösungen zu, bevor das System erneut geladen werden muss; ohne ist es bis zu drei Monaten einsatzbereit. Ansonsten hat der Patrol AP 30 alles, was es für ein Freeride-Abenteuer braucht: A-Frame und diagonale Skibefestigung, Snowboard-Befestigung, Pickelhalterung, Kompressionsriemen und 30 Liter Packvolumen.  

Elektrischer Lebensretter
Scott
«Backcountry Patrol AP 30»
2670 g (Rucksack & Airbag)
CHF 1099.–
scott-sports.com