Klettersteigset Test 2021
Auf eisernen Wegen
Das Begehen von Klettersteigen erfreut sich in der Schweiz seit Jahren zunehmender Beliebtheit. Mit den steigenden Nutzerzahlen wächst auch das Angebot an Klettersteigsets. Der Outdoor Guide hat in Verbindung mit dem Outdoor Content Hub hat 12 aktuelle Modelle getestet und liefert die Hintergrundinformationen zum Trendthema Via Ferrata.
Fotos: Solveig Eichner
Fotos: Solveig Eichner
SO HAT DER OUTDOOR GUIDE GETESTET
Wir haben die zwölf Produkte im Klettersteig Känzele im österreichischen Bregenz einem realistischen Praxistest unterzogen. Dabei wurde ein Rundkurs gewählt, im Rahmen dessen die Produkte in allen relevanten Klettersteigsituationen geprüft wurden: Aufstieg in der Vertikalen, Aufstieg in einem Überhang, Abstieg in der Vertikalen, Traversieren in der Horizontalen, Umhängen mit maximaler Spannweite. In einem standardisierten Fragebogen erfassten alle Tester*innen individuell ihre Testeindrücke. Nach Abschluss der Tests wurde in der Gruppe eine Abschlussdiskussion geführt im Rahmen derer die verschiedenen Klettersteigsets beurteilt und benotet wurden. Jedes Produkt wurde auf einer Präzisionswaage gewogen.
Mehrfaches Materialversagen, eine beachtliche Rückruf-Historie und eine – nicht mehr ganz so – neue Norm: In den letzten zehn Jahren hat das Thema Klettersteigset bei Herstellern, Normprüfern und Endkonsumenten immer wieder für Unruhe gesorgt. Um die aktuellen Standards und Anforderungen an ein Klettersteigset zu verstehen, lohnt sich daher ein Rückblick: Bis vor einigen Jahren gab es am Markt zwei Klettersteigsysteme: Modelle mit einer Reibungsplatte und solche mit Bandfalldämpfer. Bei ersterem verläuft das Seil durch eine Metallplatte, welche die Sturzenergie durch Reibung abbaut. Diese Modelle werden inzwischen allerdings nicht mehr hergestellt: Zum einen ist das Ansprechverhalten nicht ideal - also der Zeitpunkt, ab welchen das System im Sturzfall abbremst. So kann die maximale Kraft, die beim Sturz auf den Körper wirkt – der sogenannte Fangstoss – sehr gross werden und eine immense Belastung für den Körper darstellen. Zum anderen kam es 2013 zu einem vorsorglichen Rückruf der Klettersteigsets mit Reibungsplatten: »Das Zusammenspiel aus Verschleiss und Versteifung des Bremsseils und damit höherer Reibung und höheren Fangstosswerten, bei gleichzeitigem Festigkeitsverlust des Bremsseils durch Gebrauch und Alterungseinflüsse, konnte zu einem Komplettversagen des ganzen Systems führen«, erklärt Julia Janotte von der DAV-Sicherheitsforschung.
Norm- und Grenzwerte
Die aktuell geltende Norm (EN 958:2017) erlaubt nur noch Klettersteigsets mit Bandfalldämpfer. Sie verlängern und dämpfen den Bremsweg durch das Aufreißen eines vernähten oder verwobenen Bandmaterials. Mit der neuen Norm hat sich aber auch bei diesen Modellen einiges verändert. Früher wurde der dynamische Falltest einzig mit einer 80 kg schweren Stahlmasse durchgeführt. So brauchte es in der Praxis eine gewisse Kraft, bis die Nähte des Bandfalldämpfers aufrissen, um den Bremsweg von 1,2 Metern auszunutzen. Eine Person mit nur 40 kg Körpergewicht konnte im schlimmsten Fall den Bandfalldämpfer gar nicht auslösen. Das ist nicht nur ungünstig, sondern durch die abrupte Abbremsung und den enormen Fangstoss auf den Körper sogar lebensgefährlich. Seit 2017 wird der Normsturz daher mit 40- und 120-kg-Gewichten durchgeführt, wobei der Fangstoss maximal 3,5 kN (bei 40 kg) bzw. 6 kN (bei 120 kg) betragen darf. Ein Kilonewton (kN) entspricht der Belastung von 100 kg. Zusätzlich wurde die Bremslänge des Bandfalldämpfers auf 2,2 Meter verlängert. »Damit deckt die Norm einen grösseren Gewichtsunterschied ab – nur bei Personen unter 40 oder über 120 Kilogramm bleibt es kritisch«, so Julia Janotte.
Mit der Norm EN 958:2017 ist außerdem ein Zyklustest zum Standard geworden. Nach einem tödlichen Absturz vor zehn Jahren, bei dem beide elastischen Arme gerissen sind, wurden knapp 30 verschiedene Klettersteigsets zurückgerufen – der bisher größte Rückruf der Bergsportgeschichte. »Die Problematik hing mit der Webkonstruktion zusammen: Die elastischen und tragenden Fasern waren direkt miteinander verwoben. Durch die ständige Dehnung und Belastung wurden die tragenden Fasern auf Dauer geschwächt«, fasst Julia Janotte zusammen. Das heutige Testverfahren streckt und entlastet die Lastenarme 50.000 Mal, was in etwa dem Lebenszyklus eines Klettersteigsets entspricht. Anschließend müssen die Arme noch eine Mindestfestigkeit von 12 kN aufweisen. Darüber hinaus wird der Bandfalldämpfer auch im nassen Zustand geprüft: »Ein weiterer Unfall zeigte nämlich, dass Nässe die Festigkeit des Bandfalldämpfers beeinträchtige«, erklärt die Sicherheitsexpertin. »Die meisten Hersteller verarbeiten deswegen Polyester oder Dyneema-Polyester Gemische, bei denen die Wasseraufnahme der Fasern geringer ist.« Und generell gilt natürlich: Sobald ein Bandfalldämpfer aufgerissen ist, ist er unwiederbringlich zerstört – das Klettersteigset muss dann ersetzt werden.
Zusammengefasst reduzieren Klettersteigsets der aktuellen Norm die Sturzbelastung, insbesondere bei leichten Personen. Was aber keineswegs heisst, dass ein Sturz am Klettersteig leichtfertig riskiert werden sollte. Ein Klettersteigset ist eine Notfallausrüstung. Es soll – wie ein Airbag im Auto – im Notfall Leben retten.
Zusammengefasst reduzieren Klettersteigsets der aktuellen Norm die Sturzbelastung, insbesondere bei leichten Personen. Was aber keineswegs heisst, dass ein Sturz am Klettersteig leichtfertig riskiert werden sollte. Ein Klettersteigset ist eine Notfallausrüstung. Es soll – wie ein Airbag im Auto – im Notfall Leben retten.
Ausstattung und Überprüfung
Der Aufbau eines Klettersteigsets ist stets identisch: Mit einer fixen, kurz abgenähten Bandschlinge wird das Set per Ankerstich im Anseilring des Klettergurts befestigt. Es folgt das Herz des Sets, der Bandfalldämpfer, ehe sich das Set Y-förmig in die beiden Lastenarme verzweigt. Ein Arm verbleibt immer am Drahtseil, während der andere Arm umgehängt wird. Dabei sind die elastischen Lastarme mittlerweile zum Standard geworden: »Sie sind kürzer und so vom Handling leichter«, fügt Julia Janotte hinzu. Der Test zeigt: Je kürzer die so genannte Hängelänge ist, desto besser und sicherer ist das Handling, insbesondere in vertikal verlaufenden Steigen. Bei den Klettersteigkarabinern gibt die Norm Modelle mit automatischer Verschlusssicherung vor. »Zudem müssen sie fest am Klettersteigset verbunden sein, sodass ein Austausch durch den Anwender nicht möglich ist.« Spielraum gibt es hingegen bei Form, Öffnung und Größe: Und gerade hier zeigten sich in unserem Praxistest grosse Unterschiede in der Handhabung. Ist die Öffnungsweite des Karabiners gross und die Griffposition ergonomisch so geformt, dass die Finger beim Einhängen nicht im Weg sind, erleichtert dies das Umhängen enorm und erhöht damit auch die Sicherheit. Stichwort Einfachheit: Gerade für Kinder oder Personen mit kleinen Händen sind Karabiner mit Ballen-Daumen-Öffnung zu empfehlen.
Bei der Wahl des Gurtes kommt es ebenfalls auf die eigenen Vorlieben an. Zulässig sind alle Gurte der Norm EN 12277. Ambitionierte Klettersteiggeher bevorzugen ultraleichte Hochtourengurte, die klein verstaubar sind und viel Bewegungsfreiheit garantieren. Der deutsche Hersteller Edelrid bietet mit dem getesteten J-Star Comfort sogar eine Gurte mit integriertem Klettersteigset an, in dem der Bandfalldämpfer bereits in den Beinschlaufen verarbeitet ist. Ein feines Feature, das ein Klettersteigset bedienfreundlicher macht, ist ein Drehgelenk zwischen Einbindeschlaufe und Lastarmen. Es verhindert ein Verdrehen der Arme beim Umhängen sehr effektiv.
Bei der Wahl des Gurtes kommt es ebenfalls auf die eigenen Vorlieben an. Zulässig sind alle Gurte der Norm EN 12277. Ambitionierte Klettersteiggeher bevorzugen ultraleichte Hochtourengurte, die klein verstaubar sind und viel Bewegungsfreiheit garantieren. Der deutsche Hersteller Edelrid bietet mit dem getesteten J-Star Comfort sogar eine Gurte mit integriertem Klettersteigset an, in dem der Bandfalldämpfer bereits in den Beinschlaufen verarbeitet ist. Ein feines Feature, das ein Klettersteigset bedienfreundlicher macht, ist ein Drehgelenk zwischen Einbindeschlaufe und Lastarmen. Es verhindert ein Verdrehen der Arme beim Umhängen sehr effektiv.
Sicherheit zuerst
Klettersteige können sehr kraftraubend sein. Was liegt da näher, als sich mal eben »in die Arme zu setzen«, um für einen Moment zu verschnaufen? Doch Achtung: Der untere Grenzwert, ab dem ein Bandfalldämpfer aufzureißen beginn, liegt bei 1,3 kN, also ca. 130 Kilogramm. »Wenn sich eine schwere Person mit etwas Schwung reinsetzt, dann wird der Bandfalldämpfer schon teilausgelöst«, warnt Julia Janotte. Bereits bei einer Teilauslösung muss das Set zwingend ersetzt werden. »Viele Modelle haben deswegen ein integrierte Rastschlaufe. Eine separate 60 cm Bandschlinge, die mittels Ankerstich in den Anseilring des Klettergurtes eingebunden wird, ist allerdings genauso ausreichend«, so die Empfehlung des DAVs.
Ab wann ein Klettersteigset ausgedient hat, ist in der Gebrauchsanweisung des Herstellers nachzulesen. Wichtig ist, auf Verschleißpuren zu achten, etwa aufgepelztes Material, oder funktionsbeeinträchtigte Karabiner. Außerdem sollte ein Klettersteigset stets im Fachhandel gekauft werden: »Auf keinen Fall Gebrauchtware und Achtung vor Angeboten nicht zertifizierter Sets im Internet«, warnt die Expertin. Deswegen ist es wichtig auf die CE-Kennzeichnung zu achten. Auch im Fachhandel lohnt sich ein genaues Hinschauen: Das Herstellungsdatum sollte möglichst aktuell sein, damit das Set lange im eigenen Gebrauch sein kann.
Ab wann ein Klettersteigset ausgedient hat, ist in der Gebrauchsanweisung des Herstellers nachzulesen. Wichtig ist, auf Verschleißpuren zu achten, etwa aufgepelztes Material, oder funktionsbeeinträchtigte Karabiner. Außerdem sollte ein Klettersteigset stets im Fachhandel gekauft werden: »Auf keinen Fall Gebrauchtware und Achtung vor Angeboten nicht zertifizierter Sets im Internet«, warnt die Expertin. Deswegen ist es wichtig auf die CE-Kennzeichnung zu achten. Auch im Fachhandel lohnt sich ein genaues Hinschauen: Das Herstellungsdatum sollte möglichst aktuell sein, damit das Set lange im eigenen Gebrauch sein kann.
Innovationen und Zubehör
Mit dem »Boom« des Klettersteiggehens hat sich im letzten Jahrzehnt das Material immens weiterentwickelt. Gleichzeitig bieten Hersteller immer mehr Zusatzausrüstung oder spezielle Produkte für mehr Sicherheit an: Skylotec hat beispielsweise mit dem von uns getesteten Rider 3.0 ein Set mit einer Stahlseilklemme im Angebot, die wie eine automatische Rücklaufsperre funktioniert: »Die mitlaufende Klemme wird ins Drahtseil eingehängt und läuft nach vorne mit. Bei einem Sturz blockiert die Rücklaufsperre und verhindert so, dass der Kletterer bis zu letzten Zwischensicherung zurückfällt«, erklärt Skylotec-Category Managerin Anne Leidenfrost: »Dadurch verkürzt sich die Sturzstrecke deutlich und der Fangstoss wird geringer.« Wer mit Kindern unterwegs ist, oder eine ungeübte Person in einer schwierigen Passage nachsichern möchte, für den hat Edelrid ein kluges Sicherungsset entwickelt: Das Via Ferrata Belay Kit besteht aus einer Sicherungsplatte mit automatischer Rücklaufsperre und einem 15 Meter langen Einfachseil. »Der Vorteil ist, dass der Vorsteiger keine besonderen Sicherungstechniken beherrschen muss, etwa HMS-Knoten. Dank Farbcodierung lässt sich das Belay Kit nämlich intuitiv bedienen«, erklärt Sebastian Straub von Edelrid. Wichtig sei aber, dass beim Nachsichern das Seil zum Nachsteiger stets straff gespannt bleibt, damit ein Sturz praktisch verunmöglicht wird.
Neben dem Klettersteigset gehört ein Kletterhelm zur obligatorischen Schutzausrüstung. Wichtig sind außerdem Handschuhe, um Verletzungen durch beschädigte Drahtseile zu vermeiden – zumal sie für guten Grip am Stahlseil sorgen. Beim Schuhwerk sind Modelle mit fester Sohle vorteilhaft, sonst wird das Stehen auf den Eisenleitern, Stiften und Trittstufen schnell unangenehm und ermüdend.
Neben dem Klettersteigset gehört ein Kletterhelm zur obligatorischen Schutzausrüstung. Wichtig sind außerdem Handschuhe, um Verletzungen durch beschädigte Drahtseile zu vermeiden – zumal sie für guten Grip am Stahlseil sorgen. Beim Schuhwerk sind Modelle mit fester Sohle vorteilhaft, sonst wird das Stehen auf den Eisenleitern, Stiften und Trittstufen schnell unangenehm und ermüdend.
SO HAT DER OUTDOOR Guide BEWERTET
Jedes Klettersteigset wurde anhand der Praxistests in den folgenden Kategorien bewertet. 1 Punkt ist dabei der theoretisch schlechteste Wert, 10 Punkte der Maximalwert.
Ein-/Ausbinden 1 Punkt: völlig mühsam und friemelig 10 Punkte: super einfach & simpel
Bedienkomfort der Karabiner 1 Punkt: unergonomisch und mühsam 10 Punkte: sehr einfach und intuitiv
Verdrehneigung der Arme 1 Punkt: neigt massiv zum verdrehen 10 Punkte: die arme sind immer perfekt »sortiert«
Hängelänge 1 Punkt: sehr langer Arm, nicht in Griffweite 10 Punkte: ultrakurz und immer gut erreichbar
Sicherheitsdetails 1 Punkt: keine sicherheitsrelevanten Zusatzfunktionen 10. Punkte: zahlreiche überzeugende sicherheitsrelevante Zusatzfunktionen wie Rastschlaufe, Sicherheitsindikator am Bandfalldämpfer, Blockierfunktion
Gewicht 1 Punkt: massiv übergewichtig 10. Punkte: himmlisch leicht
Hier gehts zu den 12 Testmodellen.
Ein-/Ausbinden 1 Punkt: völlig mühsam und friemelig 10 Punkte: super einfach & simpel
Bedienkomfort der Karabiner 1 Punkt: unergonomisch und mühsam 10 Punkte: sehr einfach und intuitiv
Verdrehneigung der Arme 1 Punkt: neigt massiv zum verdrehen 10 Punkte: die arme sind immer perfekt »sortiert«
Hängelänge 1 Punkt: sehr langer Arm, nicht in Griffweite 10 Punkte: ultrakurz und immer gut erreichbar
Sicherheitsdetails 1 Punkt: keine sicherheitsrelevanten Zusatzfunktionen 10. Punkte: zahlreiche überzeugende sicherheitsrelevante Zusatzfunktionen wie Rastschlaufe, Sicherheitsindikator am Bandfalldämpfer, Blockierfunktion
Gewicht 1 Punkt: massiv übergewichtig 10. Punkte: himmlisch leicht
Hier gehts zu den 12 Testmodellen.