Gravelbike oder Hardtail?
Gravelbike oder Hardtail?
 Datum: 02.09.2024  Text: Christian Penning  Fotos: Christian Penning 

Gravelbike oder Hardtail-Mountainbike?

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Gravelbike oder Hardtail-Mountainbike?

Gravelbike oder Hardtail-Mountainbike? Das ist eine Glaubensfrage, über die nicht nur die Form des Lenkers entscheidet. Wir lassen die beiden Velo-Typen der Schweizer Marke Price auf Schotterpisten und leichten Singletrails gegeneinander antreten. Wer hat die Nase vorne? 

Gravelbike oder Hardtail?
Gravelbike oder Hardtail?

Kopf-an-Kopf-Rennen: Gravelbikes und Hardtail-Mountainbikes lassen sich beide vielseitig einsetzen.

Hardtail-Mountainbikes wie das legendäre Specialized Stumpjumper haben vor gut 40 Jahren die Basis für den Erfolg des Mountainbikens als Breitensport gelegt. Gravelbikes gibt es unter dieser Bezeichnung erst seit etwas mehr als 20 Jahren. Dabei war schon die erste Tour de France im Jahr 1903 im Grunde ein Gravel-Rennen: Denn die 2428 Kilometer führten zum grossen Teil über nicht asphaltierte und holprige Strassen. Mittlerweile scheinen Gravelbikes beim Einsatz in leichtem Gelände in der Gunst der Käufer den Hardtail-Mountainbikes den Rang abzulaufen. Wo liegen die Vorteile von Hardtail-MTBs und Gravelbikes? Auf den ersten Blick sind beide Velo-Typen verblüffend ähnlich, sieht man vom Lenker ab. Doch es gibt entscheidende Unterschiede. 

Lenker und Cockpit – Kontrolle und Fahrgefühl 

Kraftvoll antreten. Tief über den Lenker gebeugt, wie beim Zielsprint eines Rennradrennens, schiesst Cristina auf der flachen Schotterpassage dahin. Drop-Bars im Rennrad-Stil (etwas breiter und mit nach aussen gezogenen Griffen für mehr Balance und Kontrolle im Gelände) sind das Markenzeichen von Gravelbikes. Der Lenker hat einen starken Einfluss aufs Fahrgefühl. «Drop-Bars sind top, wenn du schnell sein willst», meint Dominic. «Aber auf Singletrails mit steilen Passagen und schnellen Richtungsänderungen fühle ich mich mit dem geraden oder nur leicht gebogenen Lenker des Hardtail-MTBs deutlich wohler», schränkt Cristina ein. Kein Wunder, der MTB-Lenker ist noch breiter und liegt beinahe wie eine Balancierstange in den Händen. «Das gibt mehr Kontrolle beim Bremsen und Steuern. Gerade wenn es fahrtechnisch anspruchsvoller wird, tut man sich damit leichter», weiss Dominic. Zwar erlaubt der Gravel-Lenker mehr Griffpositionen, doch der längere Vorbau und die gestrecktere Fahrposition machen fahrtechnisch knifflige Passagen auf dem Gravelbike herausfordernder als auf dem Mountainbike. 

Gravelbike oder Hardtail?
Gravelbike oder Hardtail?

Der gerade Lenker des MTBs ist komfortabel und erlaubt eine gute Kontrolle.  

Gravelbike oder Hardtail?
Gravelbike oder Hardtail?

Der Rennlenker erlaubt eine aerodynamische Position und hohes Tempo auf ebenem Untergrund.  

So haben wir getestet

Um die Unterschiede abzuklopfen, haben wir uns bewusst zwei Testpersonen gesucht, die sowohl Mountainbike- als auch Rennrad-Hintergrund mitbringen. Cristina Dähler ist im Wallis zu Hause und sitzt entsprechend der Topografie am liebsten auf dem Enduro-Bike oder auf dem Rennrad. Dominic Grab ist ein versierter Mountainbiker und war als Nachwuchsfahrer Schweizer Meister im Cyclocross. Zusätzlich stand uns Christian Heule als Berater zur Verfügung. Er ist CEO des Schweizer Radsportspezialisten TST-GPR, ehemaliger Radprofi und mehrfacher Schweizer Meister im Cyclocross. Als Testbikes liessen wir auf Schotterwegen und flowigen Biketrails zwei Modelle der Schweizer Marke Price gegeneinander antreten: das Modell Price Gravel Alu und das Carbon MTB Hardtail Price XC Premium. 

Übersetzung – Fullspeed vs. Kletterqualitäten? 

«Bei hohem Tempo über längere Strecken hat das Gravelbike eindeutig die Nase vorne, nicht nur aerodynamisch», meint Dominic. Beide Velo-Typen kommen mit Einfach-Übersetzungen und einem 10-51 Ritzelpaket am Hinterrad. Das vordere Kettenblatt beim Gravelbike erlaubt mit 40 Zähnen mehr Druck und Speed. «Damit ist man auf steilen Anstiegen am Limit. Mit dem 32er-Kettenblatt des MTBs ist man deutlich kraftsparender aufgestellt.» 

Sitzposition – Vorteil Vario-Stütze 

Die Testrunde führt nun über ein paar Wellen auf einem gebauten Trail-Abschnitt. Ein Table, ein paar Anliegerkurven. Nachdem Dominic die Strecke auf dem Hardtail gefahren ist, wandert sein Daumen auch auf dem Gravelbike spontan dorthin, wo er den Hebel für die Vario-Sattelstütze gewöhnt ist. Fehlanzeige! Da ist nichts. Der Sattel bleibt oben, und Dominic hat mehr Mühe, ausbalanciert im Sattel zu bleiben. «Natürlich lassen sich solche Passagen auch ohne Vario-Stütze bewältigen. Es ist aber ungewohnt, wenn man als Mountainbiker die Vario-Stütze gewöhnt ist. Und wenn du den Rennlenker unten greifst und auf steilen Abfahrten das Gesäss weit oben ist, ist das sicher nicht die am besten kontrollierbare Fahrposition.» Gerade weniger versierte Offroad-Biker tun sich also mit dem Mountainbike leichter. Einige Gravelbikes kommen mittlerweile mit Vario-Sattelstütze – vermutlich ein Trend für die Zukunft.  

5 Fun-Facts

2. Mountainbikes mit Drop-Bars: Die ersten Mountainbikes in den 1970er-Jahren waren Hardtails – entwickelt aus modifizierten Beach-Cruisern. Das erste Hardtail in Massenfertigung: das Specialized Stumpjumper. In den Pioniertagen des Mountainbikens waren einige Fahrer wie Charly Cunnigham mit Drop-Bar-Rennlenkern unterwegs. 
 
2. Rennrad-Graveln: Rennrad-Fahrer und Mountainbike-Legende Tom Ritchey war schon in den 1970er-Jahren auf Gravel-Mission. «Unsere Trainingseinheiten führten regelmässig auf Schotterpisten durch die Santa Cruz Mountains. 240 Kilometer waren normal – auf Stahlrennrädern.» Vom Graveln sprach damals noch niemand. 
 
3. Start in Minnesota: Die US-Marke Salsa bringt 2012 das erste Velo unter der offiziellen Bezeichnung «Gravelbike» auf den Markt – das legendäre Gravel-Racebike Warbird. Auch die Gravel-Rennen haben ihren Ursprung in den USA.  
 
4. Gravel-Kult: Graveln ist Kult! Der wird gefeiert: in Hipster-Outfits im Retro-Look, mit einem eigenen Café-Kult (je abgelegener, desto besser; eigene Espresso-Röstungen) und bei gemeinsamen Ausfahrten und Bikepacking-Abenteuern. 
 
5. Underbiking: Mittlerweile haben selbst Enduro-Fahrer das Gravelbike entdeckt. Als Challenge, um auf Trails, die als zu langweilig gelten, den Untergrund zu spüren und ungefedert und mit den Dropbars aus der Komfortzone herauszufahren. 

Federgabel – das Komfort-Plus 

Rüttelnde Schotterpisten oder Wurzelpassagen auf Singletrails können ohne Federung ganz schön zermürben. Die Vibrationen kosten Kraft. Die Erschütterungen können auf Dauer zu Rücken- oder Gelenkschmerzen führen. «Je rauer der Trail, desto mehr spürst du die Vorteile einer Federgabel», sagt Dominic. Nachteil: «Die Federgabel ist deutlich schwerer», überlegt Cristina. «Und bei kraftvollen Antritten verpufft einiges an Energie.» Mit etwa 800 bis 1000 Gramm mehr schlagen leichte Mountainbike-Federgabeln im Vergleich zu Gravel-Starrgabeln zu Buche. Beim Gesamtgewicht differieren das getestete Gravel-Modell Price Gravel Alu (9,7 kg) und das MTB Price XC Premium (12,3 kg) um 2,6 Kilogramm – gerade bergauf ein deutlich spürbarer Unterschied. Mittlerweile gibt es auch Gravelbikes mit eingebauten Federungssystemen in der Gabel – ein weiterer Trend, der Gravelbikes und Hardtail-MTBs einander angleicht. Doch die Federwege von Gravel-Gabeln beschränken sich derzeit auf 30 bis 40 Millimeter im Gegensatz zu 100 bis 140 Millimeter bei Hardtails (110 mm beim Testbike). Christian Heule, ehemaliger Radquer-Profi und heute Geschäftsführer beim Fahrrad-Distributor TST-GPR AG hat deshalb noch einen alternativen Komfort-Tipp: «Die Mikrovibrationen kannst du filtern, indem du die Reifen mit etwas weniger Luftdruck fährst. Wegen der geringeren Reifenbreite ist der Spielraum bei Gravelbikes allerdings geringer als bei Mountainbikes.» Je breiter der Reifen, desto weniger Luftdruck wird benötigt. 

Gravelbike oder Hardtail?
Gravelbike oder Hardtail?

Während Gravelbikes in ebenem Gelände die Nase vorn haben, sind Mountainbikes noch geländegängiger und eignen sich auch für spielerische Action.

Reifen – Rollwiderstand vs. Grip 

Unterschiedliche Stärken und Schwächen haben die Reifen von Gravel- und Mountainbikes. «Die schmalen, schwächer profilierten Gravel-Reifen bieten spürbar weniger Rollwiderstand. Das spart Kraft», resümiert Cristina. «Doch Mountainbike-Reifen bieten aufgrund der grösseren Breite in Kurven eine grössere Auflagefläche und mehr Grip. Auf Trail-Passagen, matschigem Untergrund und steilen Abschnitten ein klarer Sicherheitsvorteil. Du hast das Bike besser im Griff.» Bezüglich der Pannensicherheit gib es kaum Unterschiede, ergänzt Christian Heule. «Vergleichbare Reifenmodelle verfügen in beiden Kategorien über die gleichen, stabilen Karkassen.» 

Gravelbike oder Hardtail?
Gravelbike oder Hardtail?

Die breiteren Reifen des MTBs (rechts) sorgen für besseren Grip auf rutschigen Trails, bedeuten aber mehr Rollwiderstand als Gravel-Reifen. 

Bremsen – mehr Kontrolle mit grösseren Scheiben 

Eine kurze, steile Abfahrt, am Ende eine 90-Grad-Kurve. Jetzt sind gute Bremsen gefragt. «Abgesehen von den Bremsgriffen kann ich im leichten Gelände keine grossen Unterschiede feststellen», meint Cristina. Beide Velo-Typen sind mit Scheibenbremsen ausgestattet. Die Bremsscheiben am Mountainbike sind grösser (180 mm vorne, 160 mm hinten) als die am Gravelbike (160 mm vorne, 140 mm hinten). «Bei langen, steilen Abfahrten kann deshalb die Bremskraft bei Gravelbikes allerdings leiden, gerade wenn man auch noch einiges an Gepäck dabei hat und das Gesamtgewicht hoch ist. Die Bremsen können überhitzen», schränkt Dominic ein. «Die Hersteller haben das Problem erkannt», weiss Christian Heule. Die künftigen Generationen von Gravel-Gabeln werden stabiler konstruiert und serienmässig mit grösseren Bremsscheiben ausgerüstet als die heute üblichen 160/140 mm. 
 

Fahrverhalten – optimiert für unterschiedliche Terrains 

Schon nach wenigen Testrunden steht für Cristina fest: «Gravelbike und Hardtail-MTB haben ihre klaren, festgelegten Terrains, in denen sie ihre Stärken ausspielen. «Gravelbikes sind ideal für wechselnde Untergründe: Strasse, Schotter, leichte Waldtrails.» «Mountainbikes spielen ihre Qualitäten auf losem, wurzeligem und matschigem Untergrund und fahrtechnisch anspruchsvolleren Trails aus. Auch fahrtechnisch weniger versierte Fahrer und Fahrerinnen kommen damit besser klar», fasst Dominic seine Eindrücke zusammen.  

Vielseitigkeit – Vorteil GravelBike 

Zu welchem Velo würden die Testpersonen greifen, wenn sie sich für eines entscheiden müssten? Gravelbike oder Mountainbike-Hardtail? Cristina zeigt aufs Gravelbike. «Unterm Strich ist die Vielseitigkeit für mich entscheidend. Ich kann damit in leichtem Gelände fahren, kann aber auch Rennrad-Touren unternehmen – ohne grosse Abstriche.» Dominic nickt und deutet ebenfalls aufs Gravelbike: «Ich bin noch nie zuvor beide Bike-Typen im direkten Vergleich gefahren», meint er. «Jetzt ist mir klar, weshalb Gravelbikes so im Trend liegen: Sie sprechen viele Zielgruppen an und eignen sich ausser für extremes Terrain für fast alles.» In der Tat ist das der Trumpf der Gravelbikes: Sie sind auf leichten Singletrails genauso zu Hause wie auf Schotter- und Asphaltstrassen. Auf der Fahrt zum Einkaufen bewähren sie sich ebenso wie auf mehrtägigen Radtouren mit Gepäck. «Und mit einem zweiten Laufradsatz lassen sie sich ruckzuck in ein vollwertiges Rennrad umbauen», ergänzt Christian Heule.  

Fazit

Hardtail-MTBs und Gravelbikes sind beide geländetauglich, jedoch für unterschiedliche Terrains optimiert. Bei der Wahl kommt es neben dem bevorzugten Gelände stark darauf an, welche Fahrtechnik-Skills der Fahrer oder die Fahrerin mitbringen.