Alles Kopfsache – Mentaltraining für Outdoorsportler 1/2 - Nervosität und Angst
Mentaltraining kann Sportlern helfen, im entscheidenden Moment die beste Leistung abzurufen. Was unter Profis anerkannt ist, betrachten viele Hobbysportler eher skeptisch.
Outdoor Guide Autorin und Sportpsychologin Mila Hanke erklärt gemeinsam mit verschiedenen Experten, wie auch Outdoorsportler von den Methoden profitieren können – für mehr Sicherheit, Erfolg und Spass am Berg.
Outdoor Guide Autorin und Sportpsychologin Mila Hanke erklärt gemeinsam mit verschiedenen Experten, wie auch Outdoorsportler von den Methoden profitieren können – für mehr Sicherheit, Erfolg und Spass am Berg.
Yannick ist ein durchtrainierter und technisch erfahrener Kletterer – trotzdem scheitert er in seinem Projekt immer wieder an demselben Überhang. Urs war immer der mutig-wilde Mountainbiker – doch nach einem Sturz bekommt er plötzlich an Trailpassagen Panik, die er früher locker hinuntergerast ist. Und Sabine, eine ehrgeizige Bergläuferin und haushohe Favoritin beim Meisterschaftsrennen – gibt plötzlich auf, als sie unerwartet für einige Kilometer zurückliegt.
Eigentlich ist es paradox. Spontan würde fast jeder Sportler zustimmen: «Klar, wenn's drauf ankommt, entscheidet der Kopf.» Egal, ob bei Wettkämpfen oder Freizeit-Herausforderungen, ob beim Bergsteigen, Klettern, Biken oder auf Skitour. Dennoch investieren fast alle Sportler viel Zeit und Geld in alle anderen Faktoren, die zu ihrer Leistung beitragen: ihre Kondition, Technik, Taktik und Ausrüstung. Aber nichts in ihre mentalen Fähigkeiten.
«Provokant gesagt: Es ist auch einfacher, jeden Tag Klimmzüge zu trainieren oder sich eine noch 100 Gramm leichtere Funktionsjacke zu kaufen, als sich mit dem eigenen Umgang mit Leistungsdruck oder Angst auseinanderzusetzen», bringt Thomas Theurillat den Widerspruch auf den Punkt. Der Psychologe und Coach aus Matten bei Interlaken hat u. a. mit dem Profi-Paraglider und mehrfachen X-Alps-Sieger Christian Maurer und dem Extrembergsteiger Roger Schäli zusammengearbeitet.
Dabei spielt der mentale Faktor gerade im Outdoorsport auch im Hobbybereich eine entscheidende Rolle. So betont Jan Rauch, Vizepräsident der Swiss Association for Sport Psychology (SASP) und Dozent für Sportpsychologie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften: «Wenn zum Beispiel einem Tennisspieler oder Fussballer im entscheidenden Moment die Konzentration fehlt, dann geht es im Stadion ‹nur› um Sieg oder Niederlage – in den Bergen aber möglicherweise um Verletzungen oder gar tödliche Unfälle. Deshalb sollte ‹draussen› auch jeder Hobbysportler Verantwortung für seine mentale Fitness übernehmen.» Als praktische Hilfestellung schreibt Rauch gerade an einer «Kleinen Mental-Fibel» für Bergsportler, gemeinsam mit einer Alpinistin. Sie soll im Frühjahr 2018 im Verlag des Schweizer Alpen Clubs erscheinen.
Angst- und Nervositätsblockaden, Konzentrationsprobleme, Motivationslöcher, falsche Zielsetzungen oder der Umgang mit Verletzungen: Sportpsychologisches Training und Coaching kann in vielen Situationen sinnvoll sein. Einzelsportler können genauso davon profitieren wie Mannschaften oder Gruppen – schliesslich ist man in den Bergen meist im Team unterwegs. Zudem kommen viele psychologische Stolpersteine des Einzelnen überhaupt erst in Gruppen zum Vorschein. So gerät mancher Bergsportler zum Beispiel nur in angstauslösende Situationen, weil er sich mit anderen vergleicht und mithalten will. Und gemeinsame Entscheidungsprozesse können die persönliche Risikoeinschätzung vernebeln» – etwa bei Skitouren (siehe dazu auch Artikel «Gruppenpsychologie – Zusammen sind wir stark» im Outdoor Guide Sommer 2014). Die folgenden Seiten zeigen Beispiele, wann und wie sportpsycholgisches Training Einzelsportlern helfen kann – in diesem ersten Teil bezogen auf das Oberthema «Nervosität und Angst». In einem zweiten Teil im Outdoor Guide Sommer 2018 wird es um die Themen «Konzentration/Aufmerksamkeit», «Motivation/Zielsetzung» sowie «Verletzungskrisen» gehen. Und: Die Beispiele sollen mit verbreiteten Vorurteilen aufräumen. «Sportpsychologisches Training ist keine Psychotherapie!», stellt Romana Feldmann klar, die als selbstständige Sportpsychologin in Küsnacht arbeitet und zum Vorstand der SASP gehört. «Wir vermitteln ganz praktische Methoden, damit Sportler ihre Leistung besser abrufen können, oder helfen mit Coaching in sportlichen Krisen.» Ebenso wichtig: Wie bei körperlichem Training oder Physiotherapie kommt nur heraus, was man selbst an Zeit und Konsequenz hineinsteckt. Der Münchner Sportpsychologe Kai Engbert bringt es auf den Punkt: «Von nix kommt kein Waschbrettbauch. Und auch keine mentale Stärke.»
Eigentlich ist es paradox. Spontan würde fast jeder Sportler zustimmen: «Klar, wenn's drauf ankommt, entscheidet der Kopf.» Egal, ob bei Wettkämpfen oder Freizeit-Herausforderungen, ob beim Bergsteigen, Klettern, Biken oder auf Skitour. Dennoch investieren fast alle Sportler viel Zeit und Geld in alle anderen Faktoren, die zu ihrer Leistung beitragen: ihre Kondition, Technik, Taktik und Ausrüstung. Aber nichts in ihre mentalen Fähigkeiten.
«Provokant gesagt: Es ist auch einfacher, jeden Tag Klimmzüge zu trainieren oder sich eine noch 100 Gramm leichtere Funktionsjacke zu kaufen, als sich mit dem eigenen Umgang mit Leistungsdruck oder Angst auseinanderzusetzen», bringt Thomas Theurillat den Widerspruch auf den Punkt. Der Psychologe und Coach aus Matten bei Interlaken hat u. a. mit dem Profi-Paraglider und mehrfachen X-Alps-Sieger Christian Maurer und dem Extrembergsteiger Roger Schäli zusammengearbeitet.
Dabei spielt der mentale Faktor gerade im Outdoorsport auch im Hobbybereich eine entscheidende Rolle. So betont Jan Rauch, Vizepräsident der Swiss Association for Sport Psychology (SASP) und Dozent für Sportpsychologie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften: «Wenn zum Beispiel einem Tennisspieler oder Fussballer im entscheidenden Moment die Konzentration fehlt, dann geht es im Stadion ‹nur› um Sieg oder Niederlage – in den Bergen aber möglicherweise um Verletzungen oder gar tödliche Unfälle. Deshalb sollte ‹draussen› auch jeder Hobbysportler Verantwortung für seine mentale Fitness übernehmen.» Als praktische Hilfestellung schreibt Rauch gerade an einer «Kleinen Mental-Fibel» für Bergsportler, gemeinsam mit einer Alpinistin. Sie soll im Frühjahr 2018 im Verlag des Schweizer Alpen Clubs erscheinen.
Angst- und Nervositätsblockaden, Konzentrationsprobleme, Motivationslöcher, falsche Zielsetzungen oder der Umgang mit Verletzungen: Sportpsychologisches Training und Coaching kann in vielen Situationen sinnvoll sein. Einzelsportler können genauso davon profitieren wie Mannschaften oder Gruppen – schliesslich ist man in den Bergen meist im Team unterwegs. Zudem kommen viele psychologische Stolpersteine des Einzelnen überhaupt erst in Gruppen zum Vorschein. So gerät mancher Bergsportler zum Beispiel nur in angstauslösende Situationen, weil er sich mit anderen vergleicht und mithalten will. Und gemeinsame Entscheidungsprozesse können die persönliche Risikoeinschätzung vernebeln» – etwa bei Skitouren (siehe dazu auch Artikel «Gruppenpsychologie – Zusammen sind wir stark» im Outdoor Guide Sommer 2014). Die folgenden Seiten zeigen Beispiele, wann und wie sportpsycholgisches Training Einzelsportlern helfen kann – in diesem ersten Teil bezogen auf das Oberthema «Nervosität und Angst». In einem zweiten Teil im Outdoor Guide Sommer 2018 wird es um die Themen «Konzentration/Aufmerksamkeit», «Motivation/Zielsetzung» sowie «Verletzungskrisen» gehen. Und: Die Beispiele sollen mit verbreiteten Vorurteilen aufräumen. «Sportpsychologisches Training ist keine Psychotherapie!», stellt Romana Feldmann klar, die als selbstständige Sportpsychologin in Küsnacht arbeitet und zum Vorstand der SASP gehört. «Wir vermitteln ganz praktische Methoden, damit Sportler ihre Leistung besser abrufen können, oder helfen mit Coaching in sportlichen Krisen.» Ebenso wichtig: Wie bei körperlichem Training oder Physiotherapie kommt nur heraus, was man selbst an Zeit und Konsequenz hineinsteckt. Der Münchner Sportpsychologe Kai Engbert bringt es auf den Punkt: «Von nix kommt kein Waschbrettbauch. Und auch keine mentale Stärke.»
Der Raum des Moments
Um Angst auslösende Gedanken zu unterbrechen und
Nervosität auslösende Reize auszublenden (wie etwa Zuschauer, Konkurrenten etc.), lassen sich persönliche «Stopp-Schlagworte» nutzen (siehe Mental-Übung «Selbstgesprächsregulation», S. 140). Oder aber man schottet sich von den Störfaktoren mit einem «inneren Bild» ab. So kann man sich zum Beispiel jeden einzelnen Zug einer Kletterroute oder Abschnitt eines Mountainbiketrails auch als «gläsernen Raum» vorstellen – den man betritt und dessen Türen man vor, hinter und neben sich jederzeit bewusst schliessen oder öffnen kann. Alles Ablenkende und alle negativen Gedanken bleiben «ausgeschlossen», die Aufmerksamkeit liegt nur auf dem Hier & Jetzt – etwa dem nächsten klettertechnischen Handlungsschritt, um diesen einen Zug zu meistern. So kann z. B. ein Kletterer seine Fallangst kontrollieren und sich «einen Moment-Raum nach dem anderen» die Wand hinaufbewegen.
Nervosität auslösende Reize auszublenden (wie etwa Zuschauer, Konkurrenten etc.), lassen sich persönliche «Stopp-Schlagworte» nutzen (siehe Mental-Übung «Selbstgesprächsregulation», S. 140). Oder aber man schottet sich von den Störfaktoren mit einem «inneren Bild» ab. So kann man sich zum Beispiel jeden einzelnen Zug einer Kletterroute oder Abschnitt eines Mountainbiketrails auch als «gläsernen Raum» vorstellen – den man betritt und dessen Türen man vor, hinter und neben sich jederzeit bewusst schliessen oder öffnen kann. Alles Ablenkende und alle negativen Gedanken bleiben «ausgeschlossen», die Aufmerksamkeit liegt nur auf dem Hier & Jetzt – etwa dem nächsten klettertechnischen Handlungsschritt, um diesen einen Zug zu meistern. So kann z. B. ein Kletterer seine Fallangst kontrollieren und sich «einen Moment-Raum nach dem anderen» die Wand hinaufbewegen.
Die Yerkes-Dodson-Kurve:
der Zusammenhang zwischen Leistung und Anspannung
der Zusammenhang zwischen Leistung und Anspannung
Studien belegen, dass sowohl zu viel als auch zu wenig körperliche und mentale Anspannung (also «Nervosität») die Leistung mindern. Die optimale Leistung erbringen viele Sportler ungefähr auf mittlerem Level. Welche Mischung aus Anspannung und Entspannung ideal ist, kann sich aber je nach Persönlichkeit, Sportart und Anforderungssituation etwas nach links oder rechts verschieben. Im sportpsychologischen Training lernen Sportler z. B., dieses Optimum für sich herauszufinden und es eigenständig zu erzeugen.
Nervosität und Angst
«Je mehr ich trainiere, Angst und Nervosität in den Bergen zu kontrollieren, desto mehr trainiere ich, gefährlicher zu leben», der Zürcher Sportpsychologe Jan Rauch fasst zusammen, warum das Thema Angstbewältigung im Outdoorsport immer eine Gratwanderung ist. Weil Risikosportarten reale Gefahren bergen, sind Nervosität und Angst hier – anders als etwa bei einem Leichtathletikwettkampf oder auf dem Fussballplatz – oft nicht mentale Schwäche, sondern berechtigt (siehe auch Interview Höhenangst S. 142). So ist auch das Ziel von Mentaltraining nicht, sich diese Gefühle vollkommen abzutrainieren. «Auch vermeintlich angstfreie Superhelden wie etwa der US-amerikanische Free-Solo-Kletterer Alex Honnold, haben und brauchen diese Emotion», betont der Münchner Sportpsychologe Kai Engbert. Profis wie Honnold trainieren allerdings seit Jahren «Vollzeit» ihre Kondition, Technik und Routenwahl und haben zudem eine enorme Routine im Umgang mit Risikosituationen. «Wer eine 40plus-Stunden-Woche arbeitet und am Wochenende ab und zu klettern geht, hat einfach objektiv x-fach weniger Erfahrung als ein Alex Honnold», erklärt Engbert die Diskrepanz. «Deshalb darf man Ausnahmesportler wie ihn auch
nicht als Vergleichsmassstab für die eigenen Ängste nehmen.»
Ebenso sollte jeder Sportler wissen: Angst und Nervosität stehen der eigenen Leistung nicht per se im Wege. «Es ist ein Trugschluss zu denken: Ich klettere die schwere Route besser, wenn ich weniger angespannt, sondern total locker drauf bin», sagt Bergsport-Coach Thomas Theurillat. «Wie Schauspieler brauchen auch Sportler eine gewisse Portion Lam-
penfieber, um wirklich gut zu sein.»
Tatsächlich haben Wissenschaftler schon in den 80er-Jahren in Studien entdeckt, dass die Leistung von Sportlern abfällt, wenn sie entweder zu wenig körperlich aktiviert sind oder zu stark. Mit welcher optimalen Mischung aus Anspannung und Lockerheit man seine bestmögliche Leistung abrufen kann, ist je nach Persönlichkeit und Situation unterschiedlich – liegt aber ungefähr in der Mitte (siehe «Yerkes-Dodson-Kurve» S. 136). In den Sport-Alltag übersetzt, bedeutet dieses Studienergebnis einen Perspektivwechsel, der allein schon viel Druck nehmen kann: Ich muss Angst und Nervosität nicht als «Feind» ansehen, den es gilt, vollkommen niederzukämpfen. Sondern kann beides als Energiequelle betrachten, die Aufmerksamkeit, Reaktionsvermögen und Körperspannung steigert und so meine Leistung fördert – wenn ich lerne, sie im für mich idealen Mass zu halten (siehe auch «Nervositäts-Flamme», links).
Sportpsychologisches Training kann bei dieser «Aktivierungssteuerung» dreifach helfen: Erstens, um herauszufinden, welches Anspannungslevel in welcher Situation für mich das optimale ist (z. B. beim Einstieg in den schweren Biketrail nicht zu mittagsmüde, aber auch nicht zu aufgesputscht, bei der steilen Bergfahrt möglichst «energiegeladen-angeheizt» usw.). Zweitens, um bewusst wahrzunehmen, ob meine Anspannung in Bezug auf dieses optimale Level gerade «drüber» oder «drunter» ist. Drittens, um mit Entspannungstechniken oder Akivierungsübungen unterwegs das genau jetzt passende Level selbstständig herbeizuführen.
Über die Aktivierungssteuerung hinaus helfen vielen Sportlern die zwei als Übungen beschriebenen Mentaltechniken besonders gut, um Nervosität und Angst im Zaum zu halten: das Visualisieren (Mental-Übung 1/2 ,S. 138), die Selbstgesprächsregulation (Mental-Übung 2/2 S. 140) und das Sportler-Interview (S. 144).
Mehr sportpsychologische Methoden zu den Themen Konzentration, Motivation, Zielsetzung und Verletzungskrisen lesen Sie im Outdoor Guide Sommer 2018!
nicht als Vergleichsmassstab für die eigenen Ängste nehmen.»
Ebenso sollte jeder Sportler wissen: Angst und Nervosität stehen der eigenen Leistung nicht per se im Wege. «Es ist ein Trugschluss zu denken: Ich klettere die schwere Route besser, wenn ich weniger angespannt, sondern total locker drauf bin», sagt Bergsport-Coach Thomas Theurillat. «Wie Schauspieler brauchen auch Sportler eine gewisse Portion Lam-
penfieber, um wirklich gut zu sein.»
Tatsächlich haben Wissenschaftler schon in den 80er-Jahren in Studien entdeckt, dass die Leistung von Sportlern abfällt, wenn sie entweder zu wenig körperlich aktiviert sind oder zu stark. Mit welcher optimalen Mischung aus Anspannung und Lockerheit man seine bestmögliche Leistung abrufen kann, ist je nach Persönlichkeit und Situation unterschiedlich – liegt aber ungefähr in der Mitte (siehe «Yerkes-Dodson-Kurve» S. 136). In den Sport-Alltag übersetzt, bedeutet dieses Studienergebnis einen Perspektivwechsel, der allein schon viel Druck nehmen kann: Ich muss Angst und Nervosität nicht als «Feind» ansehen, den es gilt, vollkommen niederzukämpfen. Sondern kann beides als Energiequelle betrachten, die Aufmerksamkeit, Reaktionsvermögen und Körperspannung steigert und so meine Leistung fördert – wenn ich lerne, sie im für mich idealen Mass zu halten (siehe auch «Nervositäts-Flamme», links).
Sportpsychologisches Training kann bei dieser «Aktivierungssteuerung» dreifach helfen: Erstens, um herauszufinden, welches Anspannungslevel in welcher Situation für mich das optimale ist (z. B. beim Einstieg in den schweren Biketrail nicht zu mittagsmüde, aber auch nicht zu aufgesputscht, bei der steilen Bergfahrt möglichst «energiegeladen-angeheizt» usw.). Zweitens, um bewusst wahrzunehmen, ob meine Anspannung in Bezug auf dieses optimale Level gerade «drüber» oder «drunter» ist. Drittens, um mit Entspannungstechniken oder Akivierungsübungen unterwegs das genau jetzt passende Level selbstständig herbeizuführen.
Über die Aktivierungssteuerung hinaus helfen vielen Sportlern die zwei als Übungen beschriebenen Mentaltechniken besonders gut, um Nervosität und Angst im Zaum zu halten: das Visualisieren (Mental-Übung 1/2 ,S. 138), die Selbstgesprächsregulation (Mental-Übung 2/2 S. 140) und das Sportler-Interview (S. 144).
Mehr sportpsychologische Methoden zu den Themen Konzentration, Motivation, Zielsetzung und Verletzungskrisen lesen Sie im Outdoor Guide Sommer 2018!
Mental-Übung 1/2
Visualisierung von Schlüsselstellen
Vielen Sportlern hilft es, sich den optimalen Bewegungsablauf bildlich vorzustellen, um sich an eine angstauslösende Schlüsselstelle in Gedanken zu gewöhnen und sie dann später besser zu meistern.
Schliesse die Augen und versuche zunächst, dich in deiner Vorstellung mit allen Sinnen in die angstauslösende Situation zu begeben: Was siehst, hörst und riechst du? Wie reagiert dein Körper? Welche Gefühle kommen auf? Versuche dann, dir detailliert und Schritt für Schritt die «Lösung» vorzustellen: Welcher technische Bewegungsablauf und welcher mentale Zustand wäre nötig, um diese Passage sicher zu schaffen? Zum Beispiel beim Klettern: «Konzentration auf ruhige, tiefe Atmung, erst rechten Fuss mit Druck nach a, dann linke Hand nach b, Körperschwerpunkt verschieben, Aufmerksamkeit nur im Moment, Vertrauen in meine Fähigkeiten, körperlich angespannt, aber nicht blockiert.» Je öfter, regelmässiger und konsequenter du Vorstellungstraining betreibst und einsetzt (z. B. mit einem Trainingstagebuch), desto mehr kannst du davon profitieren. Üben solltest du es auch im Alltag zu Hause, damit sich die Technik automatisiert (z. B. für eine bereits bekannte Kletterpassage täglich morgens und abends fünf Minuten drei Wiederholungen oder am Vorabend einer Tour 20 Minuten mit mehreren Wiederholungen). Grundsätzlich ist die Methode aber besonders wirksam, wenn die Zeit zwischen der mentalen Vorstellung und dem tatsächlichen Bewegungsablauf eher kurz ist – also direkt in der Situation auf Tour.
Vielen Sportlern hilft es, sich den optimalen Bewegungsablauf bildlich vorzustellen, um sich an eine angstauslösende Schlüsselstelle in Gedanken zu gewöhnen und sie dann später besser zu meistern.
Schliesse die Augen und versuche zunächst, dich in deiner Vorstellung mit allen Sinnen in die angstauslösende Situation zu begeben: Was siehst, hörst und riechst du? Wie reagiert dein Körper? Welche Gefühle kommen auf? Versuche dann, dir detailliert und Schritt für Schritt die «Lösung» vorzustellen: Welcher technische Bewegungsablauf und welcher mentale Zustand wäre nötig, um diese Passage sicher zu schaffen? Zum Beispiel beim Klettern: «Konzentration auf ruhige, tiefe Atmung, erst rechten Fuss mit Druck nach a, dann linke Hand nach b, Körperschwerpunkt verschieben, Aufmerksamkeit nur im Moment, Vertrauen in meine Fähigkeiten, körperlich angespannt, aber nicht blockiert.» Je öfter, regelmässiger und konsequenter du Vorstellungstraining betreibst und einsetzt (z. B. mit einem Trainingstagebuch), desto mehr kannst du davon profitieren. Üben solltest du es auch im Alltag zu Hause, damit sich die Technik automatisiert (z. B. für eine bereits bekannte Kletterpassage täglich morgens und abends fünf Minuten drei Wiederholungen oder am Vorabend einer Tour 20 Minuten mit mehreren Wiederholungen). Grundsätzlich ist die Methode aber besonders wirksam, wenn die Zeit zwischen der mentalen Vorstellung und dem tatsächlichen Bewegungsablauf eher kurz ist – also direkt in der Situation auf Tour.
Der Angst-Kreislauf
Ein äusserer oder innerer Reiz stösst den Kreislauf der Angst an (z. B. ein Überhang in einer Kletterroute, eine steile Trail-Passage oder die Vorstellung eines Sturzes). Dieser Reiz allein reicht aber nicht aus, um Angstgefühle und körperliche Angstsymptome auszulösen. Dies geschieht erst, indem wir ganz persönlich eine Situation als angsteinflössend, unkontrollierbar oder unlösbar bewerten. Entsprechend lässt sich der Kreislauf stoppen, indem man mit Mentaltechniken die Bewertung der Situation verändert (siehe Punkt 3 in der Grafik). Das heisst: Wer die eigenen negativen Selbstgespräche und Gedanken durch positive ersetzt, erzeugt statt den Gefühlen Unsicherheit und Angst automatisch mehr Sicherheit und Zuversicht – und kann den Angstkreislauf verlassen.
Mental-Übung 2/2
Selbstgesprächsregulation – rote gegen grüne Gedanken
Der Angstkreislauf lässt sich unterbrechen oder abschwächen, indem man die eigenen Selbstgespräche bewusst beeinflusst. Denn auf den Gedanken «Oh Gott, diesen Überhang schaffe ich doch nie!» folgen automatisch und innerhalb von Sekunden andere Gefühle und Körperreaktionen als auf den Gedanken «Ich habe viel trainiert und gebe mein Bestes.» (Wer das nicht glaubt, schliesse kurz die Augen, denke an ein Messer, das über einen Teller kratzt und stelle sich das dazugehörige Geräusch vor … Löst allein dieser Gedanke automatisch eine körperliche Reaktion und ein Gefühl aus?) Wichtig: Bei der Selbstgesprächsregulation geht es nicht darum, sich unrealistische Superhelden-Fähigkeiten einzureden im Sinne von «Ich kann alles schaffen, wenn ich nur will!», sondern um sachliche und realistische Umformulierungen – aber eben positive.
Lege auf einem Blatt Papier drei Spalten an. Reflektiere und notiere alle Gedanken, die deinem Sicherheitsgefühl beim Sport in irgendeiner Form im Wege stehen: die Selbstzweifel, die Nervosität oder Angst ausdrücken, dich unter Druck setzen o. Ä. Alle diese Gedanken notiere in ganz konkreten Sätzen in der mittleren Spalte für «rote» Gedanken. (z. B. «Ich Weichei, ich kriege schon wieder Schiss …»). Notiere zusätzlich in der Spalte links die Situation, in der diese Gedanken meistens auftauchen – je konkreter, desto besser, egal,
ob vor der Tour, währenddessen oder danach (z. B. «An der Schlüsselstelle in Route xy», «Wenn ich am Einstieg zum technischen Biketrail stehe», o. Ä). Notiere dann in der Spalte rechts, wie du die «roten» Gedanken durch positive «grüne» ersetzen könntest – also solche, die dir Sicherheit und Selbstvertrauen geben und deine Leistung fördern statt hemmen. Zum Beispiel («Es ist völlig normal, hier nervös zu werden. Aber ich habe so eine Passage schon mal gemeistert und weiss, dass ich es kann.») Statt ganzer Sätze sind manchmal – besonders in Geschwindigkeits-Sportarten – kurze prägnante Schlagwörter mit dieser «grünen» Wirkung besser geeignet, weil sie sich auch schneller «denken» lassen: etwa «Vertrau», «Locker», «Easy», «Up», «Flow», «Go». Welcher Satz oder welches Wort in welcher Situation am besten funktioniert und die Angst hemmt, muss jeder Sportler für sich persönlich reflektieren und ausprobieren.
Der Angstkreislauf lässt sich unterbrechen oder abschwächen, indem man die eigenen Selbstgespräche bewusst beeinflusst. Denn auf den Gedanken «Oh Gott, diesen Überhang schaffe ich doch nie!» folgen automatisch und innerhalb von Sekunden andere Gefühle und Körperreaktionen als auf den Gedanken «Ich habe viel trainiert und gebe mein Bestes.» (Wer das nicht glaubt, schliesse kurz die Augen, denke an ein Messer, das über einen Teller kratzt und stelle sich das dazugehörige Geräusch vor … Löst allein dieser Gedanke automatisch eine körperliche Reaktion und ein Gefühl aus?) Wichtig: Bei der Selbstgesprächsregulation geht es nicht darum, sich unrealistische Superhelden-Fähigkeiten einzureden im Sinne von «Ich kann alles schaffen, wenn ich nur will!», sondern um sachliche und realistische Umformulierungen – aber eben positive.
Lege auf einem Blatt Papier drei Spalten an. Reflektiere und notiere alle Gedanken, die deinem Sicherheitsgefühl beim Sport in irgendeiner Form im Wege stehen: die Selbstzweifel, die Nervosität oder Angst ausdrücken, dich unter Druck setzen o. Ä. Alle diese Gedanken notiere in ganz konkreten Sätzen in der mittleren Spalte für «rote» Gedanken. (z. B. «Ich Weichei, ich kriege schon wieder Schiss …»). Notiere zusätzlich in der Spalte links die Situation, in der diese Gedanken meistens auftauchen – je konkreter, desto besser, egal,
ob vor der Tour, währenddessen oder danach (z. B. «An der Schlüsselstelle in Route xy», «Wenn ich am Einstieg zum technischen Biketrail stehe», o. Ä). Notiere dann in der Spalte rechts, wie du die «roten» Gedanken durch positive «grüne» ersetzen könntest – also solche, die dir Sicherheit und Selbstvertrauen geben und deine Leistung fördern statt hemmen. Zum Beispiel («Es ist völlig normal, hier nervös zu werden. Aber ich habe so eine Passage schon mal gemeistert und weiss, dass ich es kann.») Statt ganzer Sätze sind manchmal – besonders in Geschwindigkeits-Sportarten – kurze prägnante Schlagwörter mit dieser «grünen» Wirkung besser geeignet, weil sie sich auch schneller «denken» lassen: etwa «Vertrau», «Locker», «Easy», «Up», «Flow», «Go». Welcher Satz oder welches Wort in welcher Situation am besten funktioniert und die Angst hemmt, muss jeder Sportler für sich persönlich reflektieren und ausprobieren.
Die Nervositäts-Flamme
Die Yerkes-Dodson-Kurve (siehe S. 136) lässt sich auch symbolisch in das Bild einer Flamme übersetzen: Nervosität und Angst muss man nicht vollkommen «löschen». Hält man sie auf mittlerer Grösse unter Kontrolle, kann sie wichtige Energie bereitstellen, die die
Körperspannung und Konzentration fördert und so die Leistung steigert.
Körperspannung und Konzentration fördert und so die Leistung steigert.
«Höhenangst fällt nicht vom Himmel»
Ausgesetzte Pfade beim Wandern oder Mountainbiken, steile Kletterrouten, der Gipfelgrat auf Skitour oder beim Bergsteigen: Nicht wenige Bergsportler kämpfen in bestimmten Situationen mit Höhenangst. Der Münchner Sportpsychologe Kai Engbert sportpsychologie-muc.de erklärt, was dahintersteckt – und was dagegen hilft.
Herr Engbert, warum haben manche Menschen Höhenangst und andere nicht?
Die Erklärung liegt in einer Mischung aus Biologie und Erfahrungen: Zum einen gibt es genetisch bedingt Menschen, die ängstlicher sind als andere. Dazu kommt aber die persönliche Lerngeschichte: Wie häufig bin ich schon in bedrohliche Situationen geraten – egal, ob im Sport oder im Leben allgemein – und sind die meistens gut oder schlecht ausgegangen? Diese Erfahrungen führen dazu, dass Menschen mehr oder weniger mutig werden und ein höheres oder niedrigeres Kontrollbedürfnis entwickeln. Das heisst: Höhenangst fällt nicht vom Himmel, dahinter steckt eine persönliche Geschichte. Und genau die ist der Ansatzpunkt, um die Angst zu mindern: Man muss möglichst viele neue positive Lernerfahrungen machen, die die alten «überschreiben».
Wie kann ich selbst Einfluss auf meine Lerngeschichte nehmen?
Sehr wichtig: Gar nicht erst unvorbereitet in Panik auslösende Situationen hineingeraten. Die realistische Selbsteinschätzung bei der Tourenplanung ist ganz entscheidend. Touren oder Passagen lassen sich in drei Fähigkeitszonen einteilen: Die Komfortzone, in der ich mich vollkommen sicher fühle. Die Lernzone, in der ich in kleinen Schritten Neues ausprobiere, ohne aber meine bisherigen Grenzen zu weit zu überschreiten. Und die Panikzone, in der ich mich körperlich und mental überfordere und deshalb starke Angst erlebe. Um Höhenangst oder auch anderen Ängsten im Sport von Grund auf entgegenzuwirken, muss man im richtigen Verhältnis in den ersten beiden Zonen Erfahrungen sammeln – und die letzte möglichst ganz vermeiden.
Wie kann ich dieses «Zonen-Modell» konkret in meinen Outdoor-Aktivitäten umsetzen?
Rund 80 Prozent der persönlichen Sportzeit sollte man in seiner Komfortzone verbringen. Also zum Beispiel nur Mountainbiketrails fahren, auf denen man sich sicher fühlt, Spass hat und sich im Flow erlebt. Dabei tankt man viel Routine, Kontrollgefühl und Selbstvertrauen. Etwa 20 Prozent der Sportzeit sollte man sich dann aber aus der Komfortzone hinaus und in kleinen Schritten in die Lernzone hineinbegeben. Dort kann man neue positive Erfahrungen sammeln, zu denen man sich ein bisschen überwinden muss, die aber nicht abrupt überfordern. Viele Hobbybergsportler verbringen zu wenig Zeit in dieser Lernzone und vergeben so die Chance, neue Lernerfahrungen abzuspeichern, die nicht mit extremen Ängsten verbunden sind, sondern mit kleinen Erfolgen und Selbstbestätigung. Stattdessen überspringen sie die Lernzone und katapultieren sich direkt in die Panikzone – meist, weil sie irgendjemand anderem hinterherlaufen, -fahren oder -klettern. Fähigkeiten, Erfahrungen und Anforderungen passen nicht zusammen – physisch und psychisch. Angst ist die logische Konsequenz.
Wenn ich aber doch ungewollt in die Panikzone gerate, was wären «mentale Erste-Hilfe-Strategien»?
Einfache, aber sehr wirksame Tipps für den Notfall sind zum Beispiel: Schon vor der schwierigen Passage bewusst auf tiefes und ruhiges Ein- und Ausatmen konzentrieren – das löst angstbedingte Muskelspannung, macht Bewegungsabläufe flüssiger und lenkt von angststeigernden Gedanken ab. Ausserdem den Blick nicht in die Tiefe schweifen lassen, sondern bewusst dorthin, wo es hingehen soll: beim Wandern z. B. einige Meter auf dem ausgesetzten Pfad voran. Durch das Vorausblicken bereitet sich das Gehirn schon auf das Bewegungsmuster vor, das notwendig ist, um den anvisierten Punkt zu erreichen. Langfristig kann man schon zu Hause üben, das Meistern bestimmter Schlüsselstellen zu visualisieren: Sich mit geschlossenen Augen vorstellen, mit welchen Bewegungsabläufen und welchem positiven Gefühl man die Stelle schaffen wird. Je geübter man im Visualisieren ist, desto spontaner kann man diese Methode auch unterwegs anwenden, wenn man vor einer bisher unbekannten angsteinflössenden Stelle steht.
So mancher hatte viele Jahre kein Problem mit ausgesetzten Passagen – aber auf einmal tritt Höhenangst auf oder verschlimmert sich. Woran kann das liegen?
Viele Menschen erleben Höhe als auslösenden Reiz für ihre Angst – aber oft steht dahinter ein anderes grundsätzliches psychologisches Thema: «Umgang mit Kontrollverlust». Das Gefühl, nicht alles unter Kontrolle zu haben – egal, ob in den Bergen oder im Alltag –, belastet manche Menschen generell stärker als andere. Wenn dann noch ein konkretes, intensives Kontrollverlust-Erlebnis hinzukommt, kann das Höhenangst auslösen oder verstärken.
Was wäre ein Beispiel für solch ein einschneidendes Kontrollverlust-Erlebnis?
Ein solches Ereignis kann direkt in der Sportart aufgetreten sein, in der man dann später auch die Angst erlebt – etwa ein Sturz mit schwerer Verletzung beim Mountainbiken, obwohl er oder sie meinte, die Situation im Griff zu haben. Die Kontrollverlust-Erfahrung kann aber auch in einem ganz anderen Lebensbereich stattgefunden haben – zum Beispiel ein Jobverlust, eine Trennung, eine schwere Krankheit oder ein Todesfall. Weniger schwerwiegend, aber auch ein Einflussfaktor: Stress im Job kann dazu führen, dass man in Berg-Situationen, die man früher gemeistert hat, mental deutlich weniger belastbar ist – und deshalb plötzlich Ängste entwickelt. Immerhin: Diesen Faktor hat jeder selbst unter Kontrolle: Entweder man sorgt für weniger Stress in seinem Alltag – oder sucht sich Touren aus, die nicht noch zusätzlich psychischen Stress verursachen.
Die Erklärung liegt in einer Mischung aus Biologie und Erfahrungen: Zum einen gibt es genetisch bedingt Menschen, die ängstlicher sind als andere. Dazu kommt aber die persönliche Lerngeschichte: Wie häufig bin ich schon in bedrohliche Situationen geraten – egal, ob im Sport oder im Leben allgemein – und sind die meistens gut oder schlecht ausgegangen? Diese Erfahrungen führen dazu, dass Menschen mehr oder weniger mutig werden und ein höheres oder niedrigeres Kontrollbedürfnis entwickeln. Das heisst: Höhenangst fällt nicht vom Himmel, dahinter steckt eine persönliche Geschichte. Und genau die ist der Ansatzpunkt, um die Angst zu mindern: Man muss möglichst viele neue positive Lernerfahrungen machen, die die alten «überschreiben».
Wie kann ich selbst Einfluss auf meine Lerngeschichte nehmen?
Sehr wichtig: Gar nicht erst unvorbereitet in Panik auslösende Situationen hineingeraten. Die realistische Selbsteinschätzung bei der Tourenplanung ist ganz entscheidend. Touren oder Passagen lassen sich in drei Fähigkeitszonen einteilen: Die Komfortzone, in der ich mich vollkommen sicher fühle. Die Lernzone, in der ich in kleinen Schritten Neues ausprobiere, ohne aber meine bisherigen Grenzen zu weit zu überschreiten. Und die Panikzone, in der ich mich körperlich und mental überfordere und deshalb starke Angst erlebe. Um Höhenangst oder auch anderen Ängsten im Sport von Grund auf entgegenzuwirken, muss man im richtigen Verhältnis in den ersten beiden Zonen Erfahrungen sammeln – und die letzte möglichst ganz vermeiden.
Wie kann ich dieses «Zonen-Modell» konkret in meinen Outdoor-Aktivitäten umsetzen?
Rund 80 Prozent der persönlichen Sportzeit sollte man in seiner Komfortzone verbringen. Also zum Beispiel nur Mountainbiketrails fahren, auf denen man sich sicher fühlt, Spass hat und sich im Flow erlebt. Dabei tankt man viel Routine, Kontrollgefühl und Selbstvertrauen. Etwa 20 Prozent der Sportzeit sollte man sich dann aber aus der Komfortzone hinaus und in kleinen Schritten in die Lernzone hineinbegeben. Dort kann man neue positive Erfahrungen sammeln, zu denen man sich ein bisschen überwinden muss, die aber nicht abrupt überfordern. Viele Hobbybergsportler verbringen zu wenig Zeit in dieser Lernzone und vergeben so die Chance, neue Lernerfahrungen abzuspeichern, die nicht mit extremen Ängsten verbunden sind, sondern mit kleinen Erfolgen und Selbstbestätigung. Stattdessen überspringen sie die Lernzone und katapultieren sich direkt in die Panikzone – meist, weil sie irgendjemand anderem hinterherlaufen, -fahren oder -klettern. Fähigkeiten, Erfahrungen und Anforderungen passen nicht zusammen – physisch und psychisch. Angst ist die logische Konsequenz.
Wenn ich aber doch ungewollt in die Panikzone gerate, was wären «mentale Erste-Hilfe-Strategien»?
Einfache, aber sehr wirksame Tipps für den Notfall sind zum Beispiel: Schon vor der schwierigen Passage bewusst auf tiefes und ruhiges Ein- und Ausatmen konzentrieren – das löst angstbedingte Muskelspannung, macht Bewegungsabläufe flüssiger und lenkt von angststeigernden Gedanken ab. Ausserdem den Blick nicht in die Tiefe schweifen lassen, sondern bewusst dorthin, wo es hingehen soll: beim Wandern z. B. einige Meter auf dem ausgesetzten Pfad voran. Durch das Vorausblicken bereitet sich das Gehirn schon auf das Bewegungsmuster vor, das notwendig ist, um den anvisierten Punkt zu erreichen. Langfristig kann man schon zu Hause üben, das Meistern bestimmter Schlüsselstellen zu visualisieren: Sich mit geschlossenen Augen vorstellen, mit welchen Bewegungsabläufen und welchem positiven Gefühl man die Stelle schaffen wird. Je geübter man im Visualisieren ist, desto spontaner kann man diese Methode auch unterwegs anwenden, wenn man vor einer bisher unbekannten angsteinflössenden Stelle steht.
So mancher hatte viele Jahre kein Problem mit ausgesetzten Passagen – aber auf einmal tritt Höhenangst auf oder verschlimmert sich. Woran kann das liegen?
Viele Menschen erleben Höhe als auslösenden Reiz für ihre Angst – aber oft steht dahinter ein anderes grundsätzliches psychologisches Thema: «Umgang mit Kontrollverlust». Das Gefühl, nicht alles unter Kontrolle zu haben – egal, ob in den Bergen oder im Alltag –, belastet manche Menschen generell stärker als andere. Wenn dann noch ein konkretes, intensives Kontrollverlust-Erlebnis hinzukommt, kann das Höhenangst auslösen oder verstärken.
Was wäre ein Beispiel für solch ein einschneidendes Kontrollverlust-Erlebnis?
Ein solches Ereignis kann direkt in der Sportart aufgetreten sein, in der man dann später auch die Angst erlebt – etwa ein Sturz mit schwerer Verletzung beim Mountainbiken, obwohl er oder sie meinte, die Situation im Griff zu haben. Die Kontrollverlust-Erfahrung kann aber auch in einem ganz anderen Lebensbereich stattgefunden haben – zum Beispiel ein Jobverlust, eine Trennung, eine schwere Krankheit oder ein Todesfall. Weniger schwerwiegend, aber auch ein Einflussfaktor: Stress im Job kann dazu führen, dass man in Berg-Situationen, die man früher gemeistert hat, mental deutlich weniger belastbar ist – und deshalb plötzlich Ängste entwickelt. Immerhin: Diesen Faktor hat jeder selbst unter Kontrolle: Entweder man sorgt für weniger Stress in seinem Alltag – oder sucht sich Touren aus, die nicht noch zusätzlich psychischen Stress verursachen.
Und wie macht ihr das?
Der Outdoorguide fragt– 2 Profis Antworten
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Wie wichtig ist der «mentale Faktor» in deinem Sport?
Dani Arnold Extrem wichtig. Ich habe allerdings nicht das Vertrauen, mich von einer anderen Person coachen zu lassen. Ich habe viel zu dem Thema gelesen, erfolgreiche und misslungene Projekte reflektiert und mir selbst beigebracht, was mich mental stärkt.
Lorraine Huber Auch für mich letztendlich der entscheidende Faktor. Ich habe schon mit mehreren Mentaltrainern und Sportpsychologen zusammengearbeitet und sehr gute Erfahrungen gemacht.
Von welcher sportpsychologischen Methode hast du am meisten profitiert?
Dani Arnold Von Visualisierungsübungen (siehe S. 138). Ich stelle mir schon Monate, Wochen und Tage vor einem anspruchsvollen Projekt ganz detailliert vor, wie es in der Wand sein wird: wie einzelne Passagen und Griffe aussehen, wie sie sich anfühlen, was genau ich tun muss, um sie zu meistern. Die Via Carlesso z. B., die ich vor einem Jahr mit Speed-Rekord geklettert bin – da könnte ich die schwierigen Stellen jetzt noch 1:1 aufzeichnen.
Lorraine Huber Von veränderten Zielsetzungen. Das Finale der Freeride World Tour 2014 habe ich völlig vergeigt, bin zweimal gestürzt. Der enorme Druck hat mich total gestresst. Damals hatte ich nur das Ergebnisziel vor Augen: Ich will Weltmeisterin werden. Letzten Winter hatte ich mir für die Tour ein anderes Ziel gesetzt: Spass haben, möglichst viele Erfahrungen sammeln, dazulernen – also ein Lernziel. Das hat mir offenbar die Lockerheit zurückgegeben, sodass ich die Tour 2017 zum ersten Mal gewonnen habe – wie ein «Nebenprodukt» meiner veränderten Einstellung, ohne den Sieg unbedingt zu wollen.
In deinem Risikosport kann jeder Fehler tödlich sein. Was hilft dir, mit Ängsten umzugehen?
Dani Arnold Ich konfrontiere mich aktiv mit der Angst. Während des Visualisierens der Route stelle ich mir genau vor, wie es unter mir aussehen wird. Wenn ich dann in der Wand bin, versetzt mich die Tiefe nicht in Panik, auch wenn mir die Gefahr jede Sekunde bewusst ist. Ein wichtiger Puffer gegen Angst sind auch meine extrem grosse Erfahrung und das Selbstbewusstsein, das ich daraus schöpfe. Sobald ich klettere, habe ich keinen Zweifel daran, dass ich kann, was ich tue.
Lorraine Huber Erstens baue ich Angst durch sehr umfangreiches körperliches Training ab: Wenn ich fit bin, vertraue ich meinem Körper und meinen Fähigkeiten mehr. Auch intensive mentale und taktische Vorbereitung stärken dieses Vertrauen. Zweitens achte ich darauf, wie ich angstauslösende Situationen bewerte: Dass ich mir z. B. nicht einrede: «Boah, das ist ja brutal steil! Wenn das schief geht …», sondern mir sage: «Ich habe mich bestmöglich vorbereitet, um eine Passage wie diese zu meistern.»
Welche Mentaltechniken nutzt du sonst noch?
Dani Arnold Für mich ist auch extrem wichtig, dass ich mich nicht nur noch mit diesem einen gefährlichen Projekt beschäftige und es als das Wichtigste überhaupt ansehe. Sondern auch aktiv unter Menschen gehe, mich mit ihren Alltagssorgen und -geschichten umgebe. Also die Technik des Relativierens: Bei aller Professionalität sich selbst und sein Ziel nicht zu ernst nehmen. Es gibt auch noch andere wichtige Dinge im Leben. Diese Perspektive reduziert meine Anspannung auf ein Mass, das mich nicht blockiert.
Lorraine Huber Wenn ich am Start stehe, muss ich «vom Kopf» – also von der ganzen akribischen Planung und Analyse vorab – «in meinen Körper» kommen. Nur dann gelange ich bei der Abfahrt wirklich in einen Flow-Zustand. Mittlerweile funktioniert das bei mir sehr schnell über eine Routine aus Körperreizen. Zum Beispiel vor dem Start die Oberschenkel abklopfen, Fäuste ballen, tiefes Ein- und Ausatmen, in die Hände klatschen. Dann spüre ich mehr, als ich denke.
Dani Arnold Extrem wichtig. Ich habe allerdings nicht das Vertrauen, mich von einer anderen Person coachen zu lassen. Ich habe viel zu dem Thema gelesen, erfolgreiche und misslungene Projekte reflektiert und mir selbst beigebracht, was mich mental stärkt.
Lorraine Huber Auch für mich letztendlich der entscheidende Faktor. Ich habe schon mit mehreren Mentaltrainern und Sportpsychologen zusammengearbeitet und sehr gute Erfahrungen gemacht.
Von welcher sportpsychologischen Methode hast du am meisten profitiert?
Dani Arnold Von Visualisierungsübungen (siehe S. 138). Ich stelle mir schon Monate, Wochen und Tage vor einem anspruchsvollen Projekt ganz detailliert vor, wie es in der Wand sein wird: wie einzelne Passagen und Griffe aussehen, wie sie sich anfühlen, was genau ich tun muss, um sie zu meistern. Die Via Carlesso z. B., die ich vor einem Jahr mit Speed-Rekord geklettert bin – da könnte ich die schwierigen Stellen jetzt noch 1:1 aufzeichnen.
Lorraine Huber Von veränderten Zielsetzungen. Das Finale der Freeride World Tour 2014 habe ich völlig vergeigt, bin zweimal gestürzt. Der enorme Druck hat mich total gestresst. Damals hatte ich nur das Ergebnisziel vor Augen: Ich will Weltmeisterin werden. Letzten Winter hatte ich mir für die Tour ein anderes Ziel gesetzt: Spass haben, möglichst viele Erfahrungen sammeln, dazulernen – also ein Lernziel. Das hat mir offenbar die Lockerheit zurückgegeben, sodass ich die Tour 2017 zum ersten Mal gewonnen habe – wie ein «Nebenprodukt» meiner veränderten Einstellung, ohne den Sieg unbedingt zu wollen.
In deinem Risikosport kann jeder Fehler tödlich sein. Was hilft dir, mit Ängsten umzugehen?
Dani Arnold Ich konfrontiere mich aktiv mit der Angst. Während des Visualisierens der Route stelle ich mir genau vor, wie es unter mir aussehen wird. Wenn ich dann in der Wand bin, versetzt mich die Tiefe nicht in Panik, auch wenn mir die Gefahr jede Sekunde bewusst ist. Ein wichtiger Puffer gegen Angst sind auch meine extrem grosse Erfahrung und das Selbstbewusstsein, das ich daraus schöpfe. Sobald ich klettere, habe ich keinen Zweifel daran, dass ich kann, was ich tue.
Lorraine Huber Erstens baue ich Angst durch sehr umfangreiches körperliches Training ab: Wenn ich fit bin, vertraue ich meinem Körper und meinen Fähigkeiten mehr. Auch intensive mentale und taktische Vorbereitung stärken dieses Vertrauen. Zweitens achte ich darauf, wie ich angstauslösende Situationen bewerte: Dass ich mir z. B. nicht einrede: «Boah, das ist ja brutal steil! Wenn das schief geht …», sondern mir sage: «Ich habe mich bestmöglich vorbereitet, um eine Passage wie diese zu meistern.»
Welche Mentaltechniken nutzt du sonst noch?
Dani Arnold Für mich ist auch extrem wichtig, dass ich mich nicht nur noch mit diesem einen gefährlichen Projekt beschäftige und es als das Wichtigste überhaupt ansehe. Sondern auch aktiv unter Menschen gehe, mich mit ihren Alltagssorgen und -geschichten umgebe. Also die Technik des Relativierens: Bei aller Professionalität sich selbst und sein Ziel nicht zu ernst nehmen. Es gibt auch noch andere wichtige Dinge im Leben. Diese Perspektive reduziert meine Anspannung auf ein Mass, das mich nicht blockiert.
Lorraine Huber Wenn ich am Start stehe, muss ich «vom Kopf» – also von der ganzen akribischen Planung und Analyse vorab – «in meinen Körper» kommen. Nur dann gelange ich bei der Abfahrt wirklich in einen Flow-Zustand. Mittlerweile funktioniert das bei mir sehr schnell über eine Routine aus Körperreizen. Zum Beispiel vor dem Start die Oberschenkel abklopfen, Fäuste ballen, tiefes Ein- und Ausatmen, in die Hände klatschen. Dann spüre ich mehr, als ich denke.
DANIEL ARNOLD
Der Schweizer Extrembergsteiger und Mixed-Kletterer Dani Arnold beeindruckt vor allem durch seine zahlreichen Free-Solo-Klettereien und Speed-Rekorde. 2011 bestieg er die Eigernordwand solo in 2 h 28 min, ein Rekord, der später nur knapp von Ueli Steck gebrochen wurde. 2015 gelang dem 33-Jährigen aus Bürglen die bisher schnellste Solobegehung der Matterhorn Nordwand in 1 h 46 min.
daniarnold.ch
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LORRAINE HUBER
Lorraine Huber gewann 2017 die Freeride World Tour der Kategorie Ski Damen – die inoffizielle Weltmeisterschaft der Freerider. Seit Jahren fährt die 37-jährige Österreicherin aus Lech am Arlberg ganz vorne in der Weltspitze mit. Weil ihr die mentale Stärke im Ski-Sport so wichtig ist und sie auch andere dabei unterstützen möchte, macht sie selbst gerade ein Masterstudium zum Mentalcoach an der Universität Salzburg.
lorrainehuber.com
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