Über alle Grenzen – Sibirien
Durch die Wildnis Südsibiriens, auf einem Wildfluss durch die sibirische Taiga und über die winterlichen Berge des Altai. Mit einem Packraft, einem 80-Franken-Velo und einer Winterjacke vom Basar. Zwei Monate – allein! Wenn es richtig wehtut, taut Richard Löwenherz erst richtig auf. Ein Abenteuerbericht.
5. September, Tag 16,
622 Kilometer
622 Kilometer
Ab jetzt gibt es kein Zurück! Diesen Moment hat sich Richard Löwenherz herbeigesehnt. Nach all der Plackerei. Das Velo hat er auf dem Packraft festgezurrt, die Ausrüstung in wasserdichten Packsäcken verstaut. Der Fluss liegt vor ihm, endlich kann es losgehen. Die vergangenen Tage waren hart. Er hat sein Velo mit der gesamten Ausrüstung mehr getragen als geschoben, über umgestürzte Bäume gewuchtet, aus tiefen Schlammlöchern gezerrt. Den schweren Rucksack auf dem Rücken, die Packtaschen prall gefüllt mit Gepäck und Proviant, dazu noch das Packraft – alles in allem gut 70 Kilo Gepäck. Gerade fünf Kilometer hat er so am Tag zuvor geschafft. Was eigentlich egal ist, denn Kilometerangaben sind in Sibirien relativ. Richard rechnet mittlerweile in Tagen, Sonnenauf- und untergang bestimmen seinen Tagesablauf. «Dass ein Trapperpfad durch die Taiga so übel sein kann, hätte ich nicht gedacht … ein schöner Wanderweg, aber mit einem Fahrrad einfach nur Schinderei, Tortur, ein Wahnsinn …», schreibt Richard in sein Expeditionstagebuch. Der steinige Weg führte ihn auf einen dichtbewaldeten Pass, 1930 Meter über dem Meer: Der «Choigan-Daban» trennt die russischen Republiken Burjatien und Tuwa. Und er trennt auch das kleine Abenteuer vom grossen. Richard spürt die Kälte des glasklaren Wassers durch den Trockenanzug, als er sein Packraft in den Izig-Sug setzt. Ihn und den grösseren Hamsara will er in den kommenden zwei Wochen mit seinem kleinen Boot befahren. Wenn alles gut läuft. Sicher ist das nicht, denn noch ist Richard Rafting-Rookie. Nach den ersten Kilometern auf dem Wasser notiert der 34-Jährige abends in sein Tagebuch: «Jetzt bin ich wirklich mittendrin in der Wildnis – ab jetzt führt kein Weg zurück. Ein strömungsstarker Fluss, der viel Aufmerksamkeit verlangt. Der Trockenanzug kam voll auf seine Kosten. Mehrmals bis zum Bauch im Wasser gestanden. Bei der ruppigen Fliessgeschwindigkeit fühle ich mich wie ein Anfänger, der noch viel lernen muss.»
16 Tage zuvor: In der sibirischen Metropole Irkutsk am Baikalsee beginnt für den deutschen Abenteurer Richard die grosse Reise. Sein Ziel: den Sajan, das Tannu-ola-Gebirge und den Altai auf direktem Wege zu durchqueren. Mehr als 2100 Kilometer, gut 300 davon paddelnd mit dem leichten Boot. An einer der Fischbuden am Südwestufer des Baikalsees kauft er frisch geräucherten Baikal-Omul. Danach zieht die Strasse in Richtung Westen. Kilometer für Kilometer entfernt er sich von der Zivilisation. Sozialistische Plattenbauten weichen sibirischen Holzhäuschen, der Asphalt irgendwann den Schotterpisten. Zwischen 50 und 60 Kilometer pro Tag radelt der 34-jährige Berliner durch das Tunka-Tal. Mal bei Regen und fünf Grad, mal bei spätsommerlichen 25 Grad. Auf einem alten, klapprigen Mountainbike, das er acht Jahre zuvor für nicht einmal 80 Franken auf einem mongolischen Basar erstanden hatte. Im Norden heben sich die Gipfel des Ostsajans. Die Route führt am Fluss Irkut entlang durch lichte Lärchenwälder und über karges Weideland. Immer wieder entdeckt er kleine buddhistische Schreine und heilige Plätze, an denen die Reisenden kleine Opfergaben ablegen. Ähnlich wie in der nahen Mongolei kombinieren die Burjaten Buddhismus und Schamanismus. Einatmen, innehalten, eintauchen in den Rhythmus der Natur – in die absolute Freiheit.
Nicht ganz. Die russische Grenze zur Mongolei ist militärisches Sicherheitsgebiet. Ausländer benötigen für den Aufenthalt in der Grenzregion eine Genehmigung des russischen Geheimdienstes FSB. Richard hatte das Permit zwar noch rechtzeitig vor seinem Abflug in Berlin beantragt, aber keine Bestätigung erhalten, ob es je genehmigt wurde. Im Grenzort Mondy passiert er ziemlich nervös den Kontrollposten. Die freundliche Grenzerin winkt ihn durch – ohne Permit. Den nächsten kleinen Tempel umrundet Richard in buddhistischer Tradition dankbar im Uhrzeigersinn.
16 Tage zuvor: In der sibirischen Metropole Irkutsk am Baikalsee beginnt für den deutschen Abenteurer Richard die grosse Reise. Sein Ziel: den Sajan, das Tannu-ola-Gebirge und den Altai auf direktem Wege zu durchqueren. Mehr als 2100 Kilometer, gut 300 davon paddelnd mit dem leichten Boot. An einer der Fischbuden am Südwestufer des Baikalsees kauft er frisch geräucherten Baikal-Omul. Danach zieht die Strasse in Richtung Westen. Kilometer für Kilometer entfernt er sich von der Zivilisation. Sozialistische Plattenbauten weichen sibirischen Holzhäuschen, der Asphalt irgendwann den Schotterpisten. Zwischen 50 und 60 Kilometer pro Tag radelt der 34-jährige Berliner durch das Tunka-Tal. Mal bei Regen und fünf Grad, mal bei spätsommerlichen 25 Grad. Auf einem alten, klapprigen Mountainbike, das er acht Jahre zuvor für nicht einmal 80 Franken auf einem mongolischen Basar erstanden hatte. Im Norden heben sich die Gipfel des Ostsajans. Die Route führt am Fluss Irkut entlang durch lichte Lärchenwälder und über karges Weideland. Immer wieder entdeckt er kleine buddhistische Schreine und heilige Plätze, an denen die Reisenden kleine Opfergaben ablegen. Ähnlich wie in der nahen Mongolei kombinieren die Burjaten Buddhismus und Schamanismus. Einatmen, innehalten, eintauchen in den Rhythmus der Natur – in die absolute Freiheit.
Nicht ganz. Die russische Grenze zur Mongolei ist militärisches Sicherheitsgebiet. Ausländer benötigen für den Aufenthalt in der Grenzregion eine Genehmigung des russischen Geheimdienstes FSB. Richard hatte das Permit zwar noch rechtzeitig vor seinem Abflug in Berlin beantragt, aber keine Bestätigung erhalten, ob es je genehmigt wurde. Im Grenzort Mondy passiert er ziemlich nervös den Kontrollposten. Die freundliche Grenzerin winkt ihn durch – ohne Permit. Den nächsten kleinen Tempel umrundet Richard in buddhistischer Tradition dankbar im Uhrzeigersinn.
Einsamkeit ertragen
Oka-Tal – Tag 8 (28.8.),
419 km, Dauerregen, 8 °C
419 km, Dauerregen, 8 °C
«Von entgegenkommender Grenzpatrouille kontrolliert worden. Dass ich ohne Permit am Kontrollposten durchgekommen bin, wollten sie mir nicht ganz glauben. Es folgten Belehrungen. Ich verstehe nur, dass die Grenze zur Mongolei tabu sei; ein Deutscher ging offensichtlich mal rüber und bekam Probleme, zwei Jahre irgendwas … Schliesslich warnten sie mich noch eindringlich vor den hiesigen Gefahren: Bären, Wölfe, Kälte.»
Drei Tage später in Orlik, einem kleinen Dörfchen im Oka-Tal und vorerst letzte Gelegenheit, sich mit frischem Proviant einzudecken. Richard kauft Butter, Kekse, Nudeln, Rosinen, Pfefferkuchen, Wurst, Speck, Schokolade und das letzte Brot im ganzen Dorf. Vollkommen überladen holpert er auf seinem Velo aus dem Ort, während die Sonne hinter den Bergen verschwindet. Das gefühlte Ende der Welt – ins perfekte Licht gesetzt.
Wie kommt man auf die Idee, Sibirien allein zu durchqueren? 2001 hatte Richard mit seinem Velo die Ostsee umrundet und dabei festgestellt, dass er irgendwie ganz gern alleine unterwegs ist. Dass er die Einsamkeit ertragen kann. Und dass die Menschen, denen er begegnet, viel herzlicher und aufgeschlossener sind, wenn er solo reist. Den studierten Meteorologen und Geografen zieht die Weite Sibiriens schier magisch an. Ihre Wildnis nährt Richards Wunsch, «noch etwas selbst erkunden zu können, die weissen Flecken auf der persönlichen Landkarte im Kopf zu schliessen.» Seine Touren recherchiert er im Internet. Meist findet er nicht viel mehr als ein paar dürftige Einträge in Foren, meist auf russisch. Hier ein kurzer Reisebericht, dort ein paar Fotos. Die Strecke legt Richard anhand alter sowjetischer Militärkarten und der Recherche auf Google Earth fest – samt Alternativen für den Fall, dass es gar kein Weiterkommen gibt.
Wie kommt man auf die Idee, Sibirien allein zu durchqueren? 2001 hatte Richard mit seinem Velo die Ostsee umrundet und dabei festgestellt, dass er irgendwie ganz gern alleine unterwegs ist. Dass er die Einsamkeit ertragen kann. Und dass die Menschen, denen er begegnet, viel herzlicher und aufgeschlossener sind, wenn er solo reist. Den studierten Meteorologen und Geografen zieht die Weite Sibiriens schier magisch an. Ihre Wildnis nährt Richards Wunsch, «noch etwas selbst erkunden zu können, die weissen Flecken auf der persönlichen Landkarte im Kopf zu schliessen.» Seine Touren recherchiert er im Internet. Meist findet er nicht viel mehr als ein paar dürftige Einträge in Foren, meist auf russisch. Hier ein kurzer Reisebericht, dort ein paar Fotos. Die Strecke legt Richard anhand alter sowjetischer Militärkarten und der Recherche auf Google Earth fest – samt Alternativen für den Fall, dass es gar kein Weiterkommen gibt.
Wildwasser und Wodka
Auf den ersten Kilometern fliesst der Izig-Sug ruhiger als erwartet. Der Fluss mäandert in kleinen Schleifen in Richtung Norden. Immer wieder muss Richard ins kalte Wasser und das Boot über flache Passagen treideln. Umgestürzte Lärchen oder tief hängende Äste behindern die Fahrt. Neben dem Paddel ist die Astsäge sein wichtigstes Werkzeug.
Wildwasserabschnitt Izig-Sug, – Tag 18 (7.9.),
663 km, wolkig, 17 °C
663 km, wolkig, 17 °C
«Viel verblocktes Wildwasser, nicht mehr so einfach wie gestern. Oft auf Felsen aufgesetzt, mehrmals Boot vollgeschwappt, wiederholt ausgekippt. Heikle Situation, als Boot an grösseren Felsblock gedrückt wurde, dabei Schlafsack und andere Teile fast weggeschwommen. Letztlich alles noch gerade so greifen können, Boot befreit und daneben im Trockenanzug in ruhigeres Wasser treiben lassen …»
Richard kommt gut voran, knapp 40 Kilometer schafft er in zwei Tagen. Am Zufluss des Choigan-Hem trifft er etwas unverhofft auf Menschen. Die elf Russen in Tarnfleck staunen, als ihnen der Deutsche in seinem vollgepackten Boot entgegenpaddelt. Sie dagegen haben sich mit dem Helikopter in der Wildnis absetzen lassen. Angeln, jagen, trinken – ein Männerurlaub ganz nach russischem Geschmack. Zum Frühstück gibt es Borschtsch, eine heisse, kräftige Suppe aus Roter Bete. Dazu fliesst der selbst gebrannte Wodka (ebenfalls ziemlich kräftig) aus dem Fünfliterkanister. Der vielbeschworenen russischen Gastfreundschaft ist nicht zu entkommen. Mit einem leichten Flimmern in den Augen, aber ziemlich gut gelaunt, paddelt Richard weiter.
313 Kilometer und 13 Tage verbringt Richard auf dem Izig-Sug und dem Hamsara, er paddelt, lässt sich treiben und quält sich bei Gegenwind über zwei grosse Seen. Und immer wieder stellt er fest, dass die Wildnis gar nicht so einsam ist: Er trifft den Jäger Sergej, der in einer kleinen Hütte am Ufer des zweiten Sees auf den Winter wartet, um dann vier Monate alleine zu jagen. Oder später auf die Jäger Viktor und Yuri. Sie laden ihn ein zu frisch gefangenem Fisch, spanischen Oliven und natürlich ein paar Gläschen Wodka. Am Lagerfeuer diskutieren sie über den Konflikt in der Ukraine. Manchmal übernachtet Richard in kleinen Jagdhütten, meist aber im Zelt. Stromschnellen im Nebel umschifft er «rein nach Gehör». Einmal stoppt er gerade noch rechtzeitig vor einem sechs Meter tiefen Wasserfall – und findet am Ufer einen perfekten Lagerplatz. Ins Tagebuch notiert er: «10.9., Tag 21: Klarer Abendhimmel, -4 °C, tosender Wasserfall, einsame Taiga, das Zelt am Abgrund und über allem der Vollmond … Dafür reise ich, dafür lebe ich!»
Am nächsten Morgen ballt der Winter zum ersten Mal seine sibirische Faust. Der Fluss dampft. Schneeflocken, gross wie Toastbrote, flatschen auf das Boot. Im Trockenanzug lässt es sich gerade noch so aushalten. Im kleinen Dorf Chasylar, das von der Aussenwelt komplett abgeschnitten am Fluss liegt, trifft er auf die ersten Tuwiner. Etwas zu kaufen gibt es in dem Dörfchen nicht. Stattdessen schenkt man ihm selbst gebackenes Brot – was für ein Luxusgut in der Wildnis.
313 Kilometer und 13 Tage verbringt Richard auf dem Izig-Sug und dem Hamsara, er paddelt, lässt sich treiben und quält sich bei Gegenwind über zwei grosse Seen. Und immer wieder stellt er fest, dass die Wildnis gar nicht so einsam ist: Er trifft den Jäger Sergej, der in einer kleinen Hütte am Ufer des zweiten Sees auf den Winter wartet, um dann vier Monate alleine zu jagen. Oder später auf die Jäger Viktor und Yuri. Sie laden ihn ein zu frisch gefangenem Fisch, spanischen Oliven und natürlich ein paar Gläschen Wodka. Am Lagerfeuer diskutieren sie über den Konflikt in der Ukraine. Manchmal übernachtet Richard in kleinen Jagdhütten, meist aber im Zelt. Stromschnellen im Nebel umschifft er «rein nach Gehör». Einmal stoppt er gerade noch rechtzeitig vor einem sechs Meter tiefen Wasserfall – und findet am Ufer einen perfekten Lagerplatz. Ins Tagebuch notiert er: «10.9., Tag 21: Klarer Abendhimmel, -4 °C, tosender Wasserfall, einsame Taiga, das Zelt am Abgrund und über allem der Vollmond … Dafür reise ich, dafür lebe ich!»
Am nächsten Morgen ballt der Winter zum ersten Mal seine sibirische Faust. Der Fluss dampft. Schneeflocken, gross wie Toastbrote, flatschen auf das Boot. Im Trockenanzug lässt es sich gerade noch so aushalten. Im kleinen Dorf Chasylar, das von der Aussenwelt komplett abgeschnitten am Fluss liegt, trifft er auf die ersten Tuwiner. Etwas zu kaufen gibt es in dem Dörfchen nicht. Stattdessen schenkt man ihm selbst gebackenes Brot – was für ein Luxusgut in der Wildnis.
Zwischenstopp in der Zivilisation
24. September, Tag 35, Kilometer 1236. Den Hamsara hat Richard schon eine Woche hinter sich gelassen. Vor ihm liegt Kysyl, die Hauptstadt der russischen Teilrepublik Tuwa: der geografische Mittelpunkt Asiens. Mehr als 100.000 Menschen leben hier an der Grenze zur Mongolei, mitten in der tuwinischen Steppe. Nach über einem Monat rollt das Mountainbike wieder über Asphalt. Der Grund für den Zivilisations-Kurztrip: Richard benötigt erneut ein Permit für die tuwinische Grenzzone zur Mongolei. Ansonsten hält ihn nichts in der Stadt. Er radelt weiter in Richtung Südwest, durch die Tuwa-Steppe in Richtung Grenze. Am Horizont liegt das Tannu-ola Gebirge. Die Gipfel sind schon angezuckert, die Lärchen leuchten in sattem Gelb. Für den 34-jährigen Abenteurer ist es nur ein Zwischenziel auf seinem Weg zum Altai. Immerhin, der höchste Pass führt bis auf knapp 2400 Meter. Die Landschaft ist karg, die Temperaturen sind tief. Gut, dass Richard auf einem Basar in Toora-Hem noch für 70 Franken eine Winterjacke gekauft hat. Nachts, allein im Zelt, hört er die Wölfe heulen. Zu sehen bekommt er die scheuen Tiere nicht.
Eiskalter Endgegner Altai
7. Oktober, Tag 48, Kilometer 1754: Das Tannu-ola-Gebirge und die mongolische Grenze hat Richard hinter sich gelassen. Auf ihn wartet die finale Prüfung, der Outdoor-Endgegner quasi in diesem zweimonatigen «Bike & Boot-Adventure»: der winterliche Hochaltai mit seinen 4000er-Gipfeln und einem mehr als vagen Pistenverlauf, nachgezeichnet von einem Screenshot aus einem Motorradforum im Internet. Jetzt abbrechen? Kommt für Richard nicht infrage. In Mugur-Aksy kauft er Proviant für die letzte Woche. Und radelt weiter. Ins Unbekannte. Am Abend des 7. Oktober schreibt er: «Schneefall, -5 °C: Jetzt ist die Tour doch noch zu einem richtigen Winterabenteuer geworden. Alles ist frisch verschneit, dazu Frost, Stille, Mondschein – eine herrliche Stimmung! Die Pisten, auf denen seit Mugur-Aksy keiner mehr fährt, sind zum Glück noch erkennbar.»
Tags darauf ist es mit dieser herrlichen Stimmung dahin. Im Schneesturm verpasst Richard den Abzweig, erst Stunden später ist er wieder auf der richtigen Route. Seit einer Flussdurchquerung ist die Hinterradnabe festgefroren. Hilft nur noch schieben. Der Wind dröhnt, als würde ein ganzer Chor Mongolen seinen rauen Kehlkopfgesang anstimmen. Oder dreht er langsam durch? Am Gebirgssee Khindiktig auf 2380 Meter über dem Meer schlägt Richard sein Zelt auf. Im Schlafsack notiert er: «Eigentlich ist es Wahnsinn weiterzugehen, ein Wettlauf gegen die Zeit, gegen jeden Zentimeter Schnee, der täglich hinzukommt … Schon jetzt ist das Vorankommen eine üble Plackerei, durch 10 – 20 cm jungfräulichen Schnee muss ich mir meinen Weg selber spuren.» Zum ersten Mal seit er gestartet ist, verlassen Richard Löwenherz Mut und Zuversicht. Er hat ernsthafte Bedenken.
Jenseits des Sees liegt zum Glück weniger Schnee. Richard kommt besser voran, marschiert aber nach wie vor zu Fuss. Die Kälte ist ein ausdauernder Gegner: Bei klaren -20 °C bläst nachts der Wind durchs Zelt. Er liegt auf einer dünnen Billig-Isoliermatte. Seine Füsse stecken tagsüber in zwei Paar Socken, durch Gefriertüten getrennt, um zu verhindern, dass der Schweiss die Schuhe vereist. Am Morgen des vierten Tages begegnet Richard einem Geländewagen, an dessen Fahrspuren er sich fortan orientieren kann. Die Zuversicht ist zurück. Das freundliche Angebot der Männer, jetzt einfach einzusteigen, ist verlockend. Doch Richard lehnt ab. Er will seinen Weg unbedingt aus eigener Kraft schaffen. Seit fünf Tagen kämpft er sich zu Fuss durch das Altai-Gebirge, als er den höchsten Punkt seiner Reise, den Buguzun-Pass, auf 2600 Metern passiert. Endlich geht es abwärts. Durch tiefe Furchen im Schnee und viele halb gefrorene Eisfurten. Auf die Zähne beissen, Schuhe ausziehen, die unbedingt trocken bleiben müssen … und durch. Oft bricht er barfuss durchs dünne Eis.
Tags darauf ist es mit dieser herrlichen Stimmung dahin. Im Schneesturm verpasst Richard den Abzweig, erst Stunden später ist er wieder auf der richtigen Route. Seit einer Flussdurchquerung ist die Hinterradnabe festgefroren. Hilft nur noch schieben. Der Wind dröhnt, als würde ein ganzer Chor Mongolen seinen rauen Kehlkopfgesang anstimmen. Oder dreht er langsam durch? Am Gebirgssee Khindiktig auf 2380 Meter über dem Meer schlägt Richard sein Zelt auf. Im Schlafsack notiert er: «Eigentlich ist es Wahnsinn weiterzugehen, ein Wettlauf gegen die Zeit, gegen jeden Zentimeter Schnee, der täglich hinzukommt … Schon jetzt ist das Vorankommen eine üble Plackerei, durch 10 – 20 cm jungfräulichen Schnee muss ich mir meinen Weg selber spuren.» Zum ersten Mal seit er gestartet ist, verlassen Richard Löwenherz Mut und Zuversicht. Er hat ernsthafte Bedenken.
Jenseits des Sees liegt zum Glück weniger Schnee. Richard kommt besser voran, marschiert aber nach wie vor zu Fuss. Die Kälte ist ein ausdauernder Gegner: Bei klaren -20 °C bläst nachts der Wind durchs Zelt. Er liegt auf einer dünnen Billig-Isoliermatte. Seine Füsse stecken tagsüber in zwei Paar Socken, durch Gefriertüten getrennt, um zu verhindern, dass der Schweiss die Schuhe vereist. Am Morgen des vierten Tages begegnet Richard einem Geländewagen, an dessen Fahrspuren er sich fortan orientieren kann. Die Zuversicht ist zurück. Das freundliche Angebot der Männer, jetzt einfach einzusteigen, ist verlockend. Doch Richard lehnt ab. Er will seinen Weg unbedingt aus eigener Kraft schaffen. Seit fünf Tagen kämpft er sich zu Fuss durch das Altai-Gebirge, als er den höchsten Punkt seiner Reise, den Buguzun-Pass, auf 2600 Metern passiert. Endlich geht es abwärts. Durch tiefe Furchen im Schnee und viele halb gefrorene Eisfurten. Auf die Zähne beissen, Schuhe ausziehen, die unbedingt trocken bleiben müssen … und durch. Oft bricht er barfuss durchs dünne Eis.
Der pure Wille
12. Oktober, Tag 53, Kilometer 1884. Ein böiger Westwind rüttelt am Zelt auf der letzten Passhöhe. Weder die gefrorene Nabe noch Wind und Kälte konnten Richard aufhalten. Den Altai hat er im Winter überquert, der Endgegner ist bezwungen. Mit purem Willen und Low-Budget-Ausrüstung. Allein. Überwältigt notiert Richard Löwenherz in sein Tagebuch:
«Die letzte Passhöhe ist geschafft, vor mir im Tal sehe ich die Lichter von Kosh-Agach. Nur noch 17 km, dann bin ich durch! Erleichterung, Erschöpfung, Erfüllung … Zwei Monate war ich getrieben von dem festen Wunsch, bis hierhin zu gehen. Es ist ein überwältigendes Gefühl, dieses selbst gesteckte Ziel trotz aller Schwierigkeiten erreicht zu haben. Jetzt zieht es mich nur noch auf direktem Wege nach Hause.»
«Die letzte Passhöhe ist geschafft, vor mir im Tal sehe ich die Lichter von Kosh-Agach. Nur noch 17 km, dann bin ich durch! Erleichterung, Erschöpfung, Erfüllung … Zwei Monate war ich getrieben von dem festen Wunsch, bis hierhin zu gehen. Es ist ein überwältigendes Gefühl, dieses selbst gesteckte Ziel trotz aller Schwierigkeiten erreicht zu haben. Jetzt zieht es mich nur noch auf direktem Wege nach Hause.»