Hebriden: Segeln und Klettern vor Schottlands Küsten
Hebriden: Segeln und Klettern vor Schottlands Küsten
 Datum: 06.07.2016  Text: Ralf Gantzhorn 

Berge aus Fels und Wasser – Hebriden: Segeln und Klettern vor Schottlands Küsten

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Berge aus Fels und Wasser – Hebriden: Segeln und Klettern vor Schottlands Küsten
Riesige Wellenberge, mächtige Felswände. Weit draussen auf dem Atlantik vor der Küste Schottlands wartet eines der weltweit imposantesten Gebiete für Klippenklettereien. Keine Bohrhaken, dafür unverfälschte, herbe Schönheit. Ein Törn mit Seil und Segel zu den Äusseren Hebriden

Prolog: Das Glück gesucht

«The Old Forge» ist eines von unzähligen schottischen Pubs. Und doch ein ganz besonderes. Die Kneipe auf der Halbinsel Knoydart lässt sich nur zu Fuss oder per Boot erreichen – «the remotest pub on mainland Britain». Genau dort sassen an einem Dienstag im Mai 1994 zwei Männer. Die beiden hatten gerade eine zweiwöchige Gruppenreise hinter sich, der eine als Skipper eines kleinen Motorboots, der andere als Leiter einer deutschen Reisegruppe. Die zurückliegenden 14 Tage waren nicht einfach gewesen, und im «Old Forge» gilt, anders als im Rest Grossbritanniens, keine Sperrstunde. Das Bier, in Schottland «ale» genannt, floss reichlich. Die beiden träumten vom selbstbestimmten Reisen mit gleich gesinnten Freunden, ohne die Zwänge eines am Schreibtisch geplanten Reiseablaufs. In dieser Gemengelage schwärmte Toby, so der Name des Skippers, von weit vor der Küste liegenden Inseln, den Äusseren Hebriden. Dort sollte es Wände bis zu 200 Metern Höhe geben, unerschlossen, noch von keines Menschen Hand berührt. Der andere, ein Kletterer mit norddeutschen Wurzeln, war ich, Ralf Gantzhorn. Ich hörte andächtig zu. Von dem, was an dem Abend gesprochen wurde, blieb am nächsten Morgen nicht viel übrig. Nur die unerschlossenen Wände am Rande Schottlands und der Plan, dort zu klettern. «See you on Mingulay!»

20 Jahre später gelten die Wände der drei südlichsten Inseln der Äusseren Hebriden, Pabbay, Mingulay und Berneray, als «home of the greatest sea cliff trad climbing in the world». Zumindest sah es das englische Klettermagazin «Climb» im Mai 2015 so. Grund genug für mich, ein drittes Mal nach 1995 und 1998 die Inseln zu besuchen.
«Welcome on Eda»
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Mit «Eda Frandsen» auf hohe See

Die «Eda Frandsen» dümpelt schon am Pier des Hafenstädtchens Mallaig, gut 60 Kilometer von Fort William entfernt, als wir zu siebt am Fährhafen eintreffen. Wir, das sind Michele Knaup, Tina Blase, Jan Förstemann, Fritz Miller, Nils Kremeskötter, Hannes Mair und ich. «Welcome on Eda», dröhnt ein dunkler Bass: James Mackenzie, Eigentümer der Eda und mit 100'000 Seemeilen trotz seiner erst 31 Jahre ein erfahrener Skipper. Dazu gesellen sich Mel, die «erste Frau» an Bord, und Chloe, die, wie sich im Laufe der Reise herausstellt, wahrscheinlich beste Köchin nördlich des Ärmelkanals. Sie wird uns jeden Abend aufs Neue mit Köstlichkeiten überraschen, die man so im englischsprachigen Kulturraum nicht erwartet.

Endlich ist alles verstaut, und wir lassen uns voller Begeisterung für den klassisch getakelten Gaffelkutter in die Bedienung der verschiedenen bordtechnischen Einrichtungen und das Gewirr von Tauen zum Hissen und ­Bergen der fünf Segel einweisen. Die Beherrschung all dessen ist grundlegend für den Erfolg unseres Törns, denn um das Boot zu segeln und dem günstigen Ostwind mit voller Segelfläche Rechnung zu tragen, müssen alle mit anpacken. «Two-six-heave, two-six-heave», schallt es dann auch schon im Chor, kaum dass wir ausgelaufen sind. Alle Mann und Frauen hängen an den Tauen, zerren, stemmen und wuchten, bis die Arme dick werden und die Lunge keucht. James koordiniert souverän die Aktion vom Steuerrad aus, während Mel kreuz und quer übers Boot hechtet, um den genauso souveränen Bemühungen der Landratten entgegenzuwirken, die Reise durch Mast- und Schotbruch vorzeitig zum Abschluss zu bringen. Langsam nimmt ein Segel nach dem anderen Kontur an, flattert zunächst in der steifen Brise, bevor es sich in voller Grösse bläht.

Wir nehmen Kurs auf die Isle of Skye, der Abendsonne entgegen. Ein lauer Wind treibt Wolken über das spiegelnde Wasser, die Inseln Eigg und Rum schwimmen im hellblauen Dunst. Während die Sonne hinter den Cuillins versinkt, ankern wir in der Bucht von Scavaig. Der Blick wandert hinauf zu den schroffen Bergkämmen, das schwindende Licht wird wie ein silbriges Foto von den schwarzen Felswänden zurückgeworfen, streicht über die Feeninsel im dunklen Wasser des nahen Loch Coruisk. Hoch oben auf den Schneefeldern leuchtet ein furioses Finale auf, dann liegt Loch Scavaig düster und einsam zwischen den Wänden aus uraltem Gabbro. An Deck erwartet uns Chloe bereits mit dem «tea», wie sie das opulente Abendessen verniedlichend nennt. Es gibt fangfrischen Fisch, dazu Weisswein und Bier. Wer sich auf harte Expeditionskost eingestellt hatte, wird bitter «enttäuscht». Und die Temperaturen ermöglichen sogar ein Dinner unter dem 1000-Sterne-Firmament des Nachthimmels.

Bei Sonnenaufgang sind wir wieder auf See, Kurs Äussere Hebriden. Keine Wolke trübt den Horizont, stattdessen herrschen Temperaturen wie am Mittelmeer. Zum Glück weht eine leichte Brise, alle Segel können gesetzt werden. Faul lassen wir uns in Richtung Hebriden kutschieren, bis plötzlich der Ruf «Delfine!» alle zu den Kameras stürzen lässt. Sieben Zyklopenaugen unterschiedlicher Brennweite halten das Spiel der Meeressäuger mit der Bugwelle digital fest.
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Felsen? Jede Menge!

Nach einigen Stunden im rhythmischen Auf und Ab der Wellen über die Little Minch erreichen wir am späten Nachmittag die unbewohnte Inselgruppe an der Südspitze der Äusseren Hebriden: Berneray, Mingulay und Pabbay. Die monumentale Bogenarchitektur an der Steilküste von Pabbay lässt den Atem stocken: 150 Meter senkrechter Fels! Wie Schneegestöber umschwärmen elegante Seevögel die schwarzen Klippen. Mantel-, Silber- und Raubmöwen, Eissturmvögel, Basstölpel, Tordalke und Trottellummen nisten auf den balkonartig erodierten Basaltgängen, die den Gneis durchziehen. Weisser Vogeldreck und Nester überall mögen das Ornithologenherz erfreuen, zum Klettern sind die Wände ungeeignet. Dafür bieten sich steilere und überhängende Küstenabschnitte an.

In einer Bucht vor der Ostküste von Pabbay gehen wir vor Anker. Die Sonne hält sich eben noch über dem Hügelkamm, Abendlicht modelliert die grünen Buckel, in denen das Grasland zum weissen Strand hin abfällt. Auf halber Höhe steht ein Haus mit vernagelten Fenstern; näher am Strand, zu beiden Seiten eines Bächleins, ragen halb versunkene, halb abgetragene Gevierte aus Steinbrocken und umgestürzte Grabkreuze aus dem Sand: ein verlassenes Dorf. Verwilderte Schafe bewegen sich in kleinen Herden über das Grasland. Tierkadaver in allen Stadien der Verwesung bis hin zum blanken Skelett sind die einzigen Marken der neueren Zeit. Jenseits der Hügelkuppen stürzen jäh die Kliffs aus schroffem Gneis ins Meer. Ihre Höhe wird nur ungefähr an den Seevögeln abschätzbar, die tief unten mit den Schaumkronen der Brandung verschmelzen. Dahinter dehnt sich der grosse blaue Spiegel des Atlantik, nicht mehr unterbrochen bis Amerika. Ehrfürchtig wie Gläubige und verstohlen wie Grabräuber betreten wir das Eiland, als gäbe es hier Mysterien zu entdecken: Et in Mingulay ego …

Während andernorts kommerzielle Interessen die Betonierung der abgelegensten Winkel vorantreiben, hat  hier ein gegenläufiger Prozess stattgefunden: Die Seevögel leben auf den verlassenen Inseln in einem Paradies. Doch im Norden ist die Erschliessung neuer Ölfelder geplant. Geht etwas schief, droht die schwarze Pest. Ein Vorspiel gab es bereits auf den Shetland-Inseln, als 1993 der Tanker «Braer» Zehntausende Tonnen Öl verlor. Damals verhinderte nur der günstige Wind eine ganz grosse Katastrophe.

Bald ist unsere Ehrfurcht so weit abgeklungen, dass wir uns der Insel alpinistisch nähern – natürlich dem schottischen Kletter-Ethos gemäss: «clean». Alle Sicherungen sind vom Vorsteiger selbst zu legen und vom Nachsteiger wieder zu entfernen. Der Fels soll nach Möglichkeit ohne Spuren einer Begehung hinterlassen werden, Schottland stellt die wahrscheinlich härteste Bastion gegen das Bohrhakeneinerlei des Kontinents dar.

Pabbay: Zustieg mit dem Dinghi

Die Windverhältnisse am folgenden Tag sind ideal, um mit dem Dinghi an die Felswände von Pabbay heranzukommen. Wir lassen uns an den Fuss der sogenannten Pink Wall bringen, einer rund 120 Meter hohen, stark überhängenden Wand, in der mir 1995 die ersten Touren gelangen. Wenn ich daran zurückdenke, kann ich mir ein Schmunzeln nie ganz verkneifen. Mitteleuropäer werden in Grossbritannien gerne als «puffy continentals» (Weicheier) bezeichnet, und ausgerechnet als solche konnten wir damals einige der lohnendsten Linien auf den Inseln erschliessen. Als Erste – vor den Locals. Und mit der Namensgebung haben wir den Schotten an dieser Wand im wahrsten Sinne des Wortes ein Ei ins Nest gelegt: «Ü-Ei» heisst die rechte der damals gekletterten Touren, benannt zum einen natürlich nach den in den 90ern so beliebten Kinderüberraschungseiern und zum anderen nach einem runden Felsblock, der mir während der Erstbegehung unter den Händen zerbröselte. Als ich jetzt in die Route einsteige, staune ich auch etwas über meinen eigenen Mut: Jetzt weiss ich, dass die Linie nicht über den VII. Grad hinausgeht, aber damals? Das Terrain war völlig unbekannt und hängt im oberen Drittel in schwer einzuschätzendem Masse über, darunter sind ­Platten, Risse, Verschneidungen, Dächer. Nach drei Stunden Aufstieg sieht die «Eda Frandsen»  mit Mel an der Reling winzig klein aus, und irgendwo über uns markieren Grasbüschel das Ende der lustvollen Quälerei. Wir kehren zurück zum Strand von Pabbay, an dem uns das türkisgrüne Wasser zum Bade einlädt. Rein optisch fühlen wir uns wie in der Südsee, die Temperaturen überzeugen einen aber schnell wieder von der schottischen Realität: Mehr als 14 Grad Celsius erreicht der Nordatlantik auch im Sommer nicht.
Hebriden: Segeln und Klettern vor Schottlands Küsten
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Wellenberge – keine Chance auf Klettereien

Um unsere wunden Finger zu schonen, beschliessen wir am Nachmittag, die Westwände von Mingulay und Pabbay nach unerschlossenen und gleichzeitig kletterbaren Wandpartien abzusuchen. Die Küste dort ist, anders als die Pink Wall, nach Westen völlig offen. Folge: Die Atlantikdünung – Wellenberge, produziert von weit entfernt auf dem offenen Meer tobenden Stürmen – trifft ungebremst und ungefiltert auf die Felsen. So staunen wir nicht schlecht, als die «Eda» wie ein Ball auf der Schnauze eines Seehunds hin- und hergeworfen wird, kaum dass sie den Wellenschatten von Pabbay verlassen hat. Und das bei Windstille. Trotzdem will James einen Versuch starten und zumindest mit einer Seilschaft die Annäherung an die bizarre Felsarchitektur von Mingulay wagen. Wir lassen das Dinghi zu Wasser, und Fritz und ich steigen hinein. Schnell verschwindet die «Eda» hinter riesigen Wellenbergen, nur der schwankende Mast kündet von der Position des Mutterschiffs. Stattdessen nähern sich die senkrechten Wände aus schwarzem Gneis rasend schnell. Im Umkreis der Wellen- und Windreflektoren ist das Dinghi ein Spielball der Wellen. James reisst den Aussenborder hin und her, gibt mal Gas, dann bremst er wieder ab. Wände aus weisser Gischt nehmen uns abwechselnd mit dunklen Felsen die Sicht. Plötzlich Ruhe. Nur ein leichtes Plätschern und das Gekreische der Seevögel. Wir sind durch einen fast 50 Meter hohen Torbogen im Fels gefahren und befinden uns jetzt auf der Rückseite der Felsen inmitten geschützter Kanäle. Aber selbst hier, so viel ist klar, wird eine Landung mit dem Dinghi nicht möglich sein. Wie mit dem Fahrstuhl geht es mal fünf Meter hoch, mal fünf Meter runter. Wir werden uns eine andere Möglichkeit für die Annäherung an die Wände Mingulays suchen müssen.

Mingulay: Mit der Flut um die Wette

Der Sonnenaufgang vollzieht sich am nächsten Morgen hinter dickem Wolken-Porridge. Nieselregen überzieht das schiefergraue Meer mit einer Gänsehaut. Mel zieht die am Vorabend versenkten Reusen mit zwei riesigen Hummern an Bord – so exklusiv kann autarkes Leben sein!

Da der Wind gedreht hat, fahren wir rüber nach Mingulay und gehen dort an Land. Zwischen den Ruinen des ehemaligen Dorfes führt ein alter Pfad Richtung Westen. Wir passieren verfallene Steinhäuser, jahrtausendealte Zeugen der Siedlungsgeschichte. Die Menschen hier lebten nicht vom Fischfang, dafür ist die See zu rau, sondern von den Seevögeln, die sie mit langen Ruten in den Klippen fingen: Klettern war für die «crags-men», so die Berufsbezeichnung der Männer, kein Freizeitsport, sondern harte Arbeit. Der Vogelfang bildete die Existenzgrundlage der Siedler. Noch heute prägen «cleits», torfgedeckte Steinkuppeln, in denen der Fang getrocknet wurde, die Landschaft der Insel. Der zunehmende Kontakt mit der Aussenwelt entfremdete im 19. Jahrhundert die Insulaner von ihrer weitgehend autarken Lebensweise und die Jungen suchten ihr Glück zunehmend in Kanada oder Australien. Daraufhin wurden in den 30er-Jahren des letzten Jahrtausends die letzten Siedler auf eigenen Wunsch hin evakuiert.

Von Dun Mingulay, einem Vorsprung der Küste auf der Westseite der Insel, stürzt der schwarze Fels schwindelnd tief hinab, umschwärmt von Abertausenden Seevögeln. Hitchcocks gefiederte Statisten produzieren eine Kakophonie kreischender, krächzender und klagender Stimmen; einige Vögel setzen im Tiefflug über uns hinweg. Unter uns erkennen wir das Felsentor, durch das wir tags zuvor noch mit dem Dinghi gefahren sind, jetzt ein brodelnder Kessel schaumigen Atlantikwassers. 300 Yards dahinter, so der Kletterführer,

ist die Abseilstelle. Ein Kloss steckt mir im Hals, als ich zwischen den Blöcken nach brauchbaren Stellen zum Bau eines Standes suche. Endlich finde ich zwei Risse, mit deren Hilfe (und zwei Friends) ich einen brauchbaren Fixpunkt basteln kann. Hoffentlich sind wir an der richtigen Stelle. Sollte meine Interpretation des Kletterführers allerdings falsch sein, könnte es unmöglich werden, wieder hochzuklettern. Dann kommt irgendwann die Flut. Und die verarbeitet an zu schwierigen Wänden gestrandete herrenlose Kletterer zu Krebsfutter.

Ich werfe das 100-Meter-Seil hinunter und kann gerade noch erkennen, wie es der Wind zur Seite treibt. Danach binde ich mich ein. Ich bin in meinem Leben schon über viele Routen abgeseilt: im schottischen Winter an glasigen Eisuhren, in Patagonien im Sturm oder in den Dolomiten an zweifelhaften Rostgurken. Doch nichts ist so aufregend, wie sich an Schottlands Küsten über 100 Meter freihängend der tosenden Brandung zu nähern. Denn auch hier hängt die Wand stark über, und das Seil endet auf einer bei Flut unter Wasser stehenden Brandungsplattform. Starker Schluckreiz. Vom Wind hin- und hergeworfen geht es nach unten. Aber ich behalte zumindest trockene Füsse, nur die letzten Meter des Seils hängen ins Wasser. Fritz ist der Einzige, der hinterherkommt, den anderen ist es zu kalt, und sie wollen erst morgen wieder ins Geschehen eingreifen (so die offizielle Begründung). Es folgt der aufregendste Moment: das Abziehen des Seils! Jetzt gilt’s! Wir müssen da hoch, so oder so. Fritz steigt in die erste Seillänge ein. Langsam schleicht er nach oben, quert ein wenig nach links, anschliessend nach rechts. Eine gefühlte Ewigkeit ist er unterwegs.
Hebriden: Segeln und Klettern vor Schottlands Küsten
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Nach 30 Metern, so hatten wir’s besprochen, sollte er eigentlich Stand machen. Tut er aber nicht. Ein Krachen hinter mir ruft mir meine exponierte Position ins Gedächtnis. Die Flut kommt, mit Wellen, die 4000 Kilometer Zeit hatten, sich mit Energie vollzutanken. Ruhig bleiben, Ralf, lautet mein Mantra, er wird gleich einen Stand bauen. Macht er aber weiterhin nicht, der Kollege, er klettert einfach weiter. «Fritz – mach Stand!», schreie ich in den Wind, jetzt zunehmend nervös. Vergebens, mein Rufen geht im Brandungslärm unter und die Kletterschuhe erhalten eine erste Dusche. «Um Himmels willen – Fritz, mach Stand!» Fritz traversiert weiter in aller Ruhe, fast 50 Meter Seil sind ausgegeben. Jetzt ist aber Schluss, schiesst es mir in den Kopf, jetzt muss er etwas bauen. Und tatsächlich schaut Fritz auf die restlichen, ihm noch verbliebenen Sicherungsgeräte. «Die Flut kommt», brülle ich hoch – keine Antwort. Der nächste Brecher rollt aus und ich springe auf einen kleinen Absatz. Das war knapp. Angeblich ist ja jede siebte Welle eine besonders grosse. Ich beginne zu zählen, als eine Robbe aus dem Wasser schaut. Unfassbar, erwartet die hier Futter? Mich? Fritz hat erkennbar Stand – endlich! Schnell in die Kletterschuhe, weg vom Wasser und rein in die Vertikale.

Dabei erstaunt es mich immer wieder, welch fantastische Reibungskoeffizienten der Gneis hier selbst bei Nässe entwickelt. Hinzu kommen die vielen Risse für eine klettererfreundliche Absicherung. «So eine Wand in Chamonix wäre ein Pilgerziel», behauptet Fritz, als ich zu ihm an den Stand komme. Es nieselt leicht, nach den Sonnentagen zuvor endlich echte schottische Verhältnisse. Ich bin mit der zweiten Seillänge dran. Der Fels hängt stark über, und ich frage mich, wo es einen Durchgang gibt. Überall, lautet die Antwort. Wie in einer Kletterhalle reiht sich ein Henkel an den nächsten. Trotz der imposanten Neigung sind die klettertechnischen Schwierigkeiten eher im senkrechten Teil der Wand angesiedelt.

Als wir oben an der Kante aussteigen, ist der Schauer vorbei und die Sonne kommt raus. Die Inseln liegen wie an einer Perlenschnur aufgereiht im silbrig glänzenden Meer, das Herz möchte einem übergehen angesichts dieser grandiosen Szenerie der Stille und Harmonie. Wir sitzen einfach nur da, minutenlang fällt kein Wort. Dann wandern wir langsam wieder zurück in Richtung Strand und «Eda».

Epilog: Das Glück gefunden

Die Höhepunkte der Reise liegen hinter uns. Vorbei an den Inseln Canna, Rum, Eigg und Skye geht es zurück zur Halbinsel Knoydart. Dort kehren wir im «The Old Forge» ein, der Kneipe am Rande Schottlands, am Rande der Welt. James, Mel und Chloe spendieren Whisky. Sie alle drei vereint die Sehnsucht nach dem einfachen Leben «draussen». Dazu haben sie ihr bisheriges, gut dotiertes Arbeitsleben in den südenglischen Finanzzentren aufgegeben und in der scheinbaren Enge auf der «Eda Frandsen» ihr Glück gefunden. Glück, das sie mit uns für zwei Wochen geteilt haben. «Egal, wo ich bisher auf unserem Planeten unterwegs war, Schottland ist für mich der beste Platz auf der Welt», murmelt Skipper James – nach 100'000 Seemeilen auf allen Meeren der Erde. «Es hat nicht unbedingt die höchsten Berge oder die schönsten Strände oder das wildeste Wetter. Aber es hat von allem etwas. Egal, ob ich von Knoydart nach Süden, Westen oder Norden segle, überall gibt es eine fantastische Natur zu entdecken.» Ähnlich ergeht es mir beim Klettern an Schottlands Küsten: Es führen eine Menge Wege durch die Klippen, aber keiner mehr daran vorbei.
Allgemeine Infos
ANREISE

Per Flugzeug
Loganair fliegt von Glasgow nach Barra. Einzelheiten entnimmt man besser der Webseite loaganair.co.uk

Per Schiff
Der innerschottische Fährverkehr wird nahezu ausschliesslich von einer Gesellschaft durchgeführt, die liebevoll CalMac genannt wird. Nach Barra fahren die Fähren tagtäglich vom Oban an der schottischen Südwestküste:

Caledonian MacBrayne
The Ferry Terminal
Gourock, PA 19 1 QP Renfrewshire
0475/650100
calmac.co.uk
Hebriden
KLIMA & REISEZEIT
Folgt man den gängigen Vorurteilen über Schottland, ergiessen sich Unmengen von Regen auf diese herrliche Landschaft. Leider ist, wie an allen Vorurteilen, auch hier etwas wahres dran: Es regnet tatsächlich viel. Ein Lichtblick ist da vielleicht die Tatsache, dass selten länger als ein ganzer Tag keine Sonne zu sehen ist, das Wettergeschehen hat gerade auf den Äusseren Hebriden einen deutlich schnelleren Puls als bei uns. Glaubt man der Statistik ist die einzige (verhältnismässige) Trockenzeit zwischen den Monaten Mai und Juni. Sie haben sich als die beste Jahreszeit zum Wandern herausgestellt, in denen zusätzlich, sozusagen als Bonbon, die Sonne kaum noch untergeht. Ebenfalls sehr reizvoll kann der Herbst sein, der in den Highlands bereits Mitte September einsetzt. Fährt man im Sommer nach Schottland gilt es, als nicht unwesentlichen Faktor bei der Reiseplanung zu beachten, dass sich das Land im festen Griff eines kleinen Insektes – Culicuides impunctus genannt, befindet. Diese «midges» genannten, wolkenförmig auftretenden Plagegeister, können bei Windstille jeglichen Aufenthalt im Freien zuverlässig verhindern.

UNTERKUNFT
Einzig in Castlebay  gibt es einige Hotels und Pensionen, hier B & B genannt. Getestet wurde vom Autor keine, da er entweder im Zelt auf Mingulay übernachtete oder auf dem Schiff.

ALLGEMEINE INFOS ZU SCHOTTLAND
Visit Scotland, Ocean Point One, 94 Ocean Drive, Edinburgh EH6 6JH, Tel: 0044/(0)845-8591006, www.visitscotland.co

KARTEN
Egal wo man in Schottland unterwegs ist, Orientierung verschafft das hervorragende Kartenwerk des britischen Ordenance Survey (OS). Die die gesamten britischen Inseln abdeckenden Karten im Massstab 1:50’000 gehören zur sogenannten Landranger Series und sind in jeder Tourist Information und im Allgemeinen auch in anderen Geschäften vor Ort erhältlich. Sämtliche Karten lassen sich bereits in Deutschland im gut sortierten Buchhandel bestellen.

LITERATUR
Bertram/Gantzhorn, «Schottland – Outdoor Erlebnis am Rande Europas», Bergverlag Rother. Unseres Wissens das einzige Buch welches speziell auch auf die verschiedenen Outdoor-Aktivitäten auf den Äusseren Hebriden eingeht.

KLETTERN
Die Wände der drei südlichsten Inseln der Äusseren Hebriden Pabbay, Mingulay und Berneray gelten als – so das englische Klettermagazin «Climb» im Mai 2015 – «Home oft he greatest sea cliff trad climbing in the world.» Dem ist kaum etwas hinzuzufügen: Der Fels ist fest, das Ambiente zwischen kreischenden Seevögeln und krachenden Atlantikbrechern kolossal, die Absicherung britisch – also nicht vorhanden. Wer hier klettern geht, muss zwingend mit Keilen und Friends zur Selbstabsicherung der Routen umgehen können. Haken existieren nicht und würden der Erosion auch nicht lange standhalten. Nähere Informationen findet man im Kletterführer von:

Gary Latter, «Scottish Rock, Volume 2 North», Pesda Press Ltd

Segeln mit der «Eda Frandsen»
Wer sich auch ein Mal auf der «Eda Frandsen» einschiffen oder vielleicht einen ganzen Trip organisieren möchte, wendet sich an James, den Besitzer des Schiffes:

Office: 01326 567265
Mobile: 07867 500289
Email: crew@eda-frandsen.co.uk
Web: eda-frandsen.co.uk
Das Schiff, die Crew und die Umgebung sind ein Traum. Aber das liest sich hoffentlich auch aus dem Text heraus.

DIE INSELN

Ähnlich wie das Great Barrier Riff der australischen Küste vorgelagert ist liegen die Äusseren Hebriden vor der schottischen Westküste und schützen diese vor den Unbilden des Nordatlantiks. Ca. 60 km von der Küste entfernt bilden sie einen rund 200 km langen Bogen aus unzähligen kleinen und grossen Inseln. Die grössten und bekanntesten sind die Doppelinsel Lewis/Harris im Norden und die für ihre endlosen Sandstrände bekannten Uists. Zu den am südlichen Ende gelegenen Barra Isles verirren sich relativ wenige Besucher. Im Nachgang stellen wir die wichtigsten Inseln kurz vor:

Barra
Barra ist die grösste Insel im Süden der Hebriden. Hauptort ist Castlebay, in dem auch die meisten der rund 1200 Einwohner leben. Der Ort wird regelmässig von den Fähren der Caledonian MacBrayne (liebevoll CalMac genannt) von Oban aus angefahren. Alternativ kann man auch mit dem Flugzeug anreisen. Allerdings befindet sich die Landebahn auf dem Strand und kann daher nur bei Niedrigwasser angeflogen werden. Die beiden höchsten Erhebungen sind der Heaval (383 m) und der Ben Tangaval (333 m), von denen sich spektakuläre Blicke auf die Inselwelt der Hebriden öffnen. Über einen 1990 aufgeschütteten Damm ist Barra mit der sich südlich anschliessenden Insel Vatersay verbunden. Sowohl Vatersay Bay als auch die gegenüberliegende Bagh Sar bieten phantastische Sandstrände. Wer nicht mit dem eigenen Vehikel oder Boot unterwegs ist, wird wahrscheinlich Castlebay als Ausgangsort wählen. Der Ort ist noch heute ein wichtiger Hafen, sämtliche Ausflüge in die Umgebung können von hier organsiert werden. Lebensmittelgeschäfte, Pubs und Hotels, die Post etc., alles konzentriert sich in Castlebay. Das namengebende Schloss befindet sich auf einer vorgelagerten Insel und hört auf den Namen Kisimul Castle. Es gehört – wie fast die gesamte Insel – zu den MacNeil of Barra, die die Burg haben restaurieren lassen. Normalerweise kann man diese am Mittwoch und Samstag Nachmittag besuchen.

Pabbay
Pabbay ist die nördlichste der drei südlichsten Inseln der Äusseren Hebriden, auch Bishop’s Isles genannt. Der Name der Insel bedeutet «Insel des Priesters». Die höchste Erhebung der rund 250 ha grossen Insel ist The Hoe, 171 m hoch. Ganz im Osten, geschützt von der Halbinsel Rosinish, befindet sich die von phantastischen Sandstränden gesäumte Bucht Bàgh Bàn. Direkt dahinter finden sich die Ruinen des ehemaligen Dorfes, die Insel wurde 1911 von Ihren damaligen Einwohnern freiwillig verlassen. Spektakulär wird es dann an der Westküste: Über 100 m hohe Klippen stürzen senkrecht ins Meer, am eindrucksvollsten sicherlich „The Great Arch“, eine bogenförmige Felsformation westlich von The Hoe. Die besten Blicke hat man von der gegenüberliegenden Brandungsplattform von Rubha Greotach.

Mingulay
Mingulay ist die grösste Insel südlich von Barra. Sie umfasst 640 ha, die beiden höchsten Erhebungen sind Macphee’s Hill (224 m) im Norden und Carnan (273 m) im zentralen Südwesten der Insel. Wie auch Pabbay fällt die Insel nach Ost hin sanft ins Meer, die zentrale Bucht hier (Mingulay Bay) ist von feinsten weissen Sandstränden gesäumt. Hier befinden sich auch die Ruinen der ehemaligen Siedlung sowie ein noch (zumindest in der Sommersaison) bewirtschaftetes Haus des National Trust of Scotland, der die Insel als gemeinnützige Organisation seit dem Jahre 2000 verwaltet (und besitzt). Die letzten Bewohner haben Mingulay im Jahre 1912 verlassen. Heute ist die Insel bzw. die steil nach Westen abfallenden Klippen ein einziges Seevogelparadies: Tordalke, Trottellummen, Papageitaucher, Basstölpel – das gesamte nordatlantische Vogelprogramm nistet in den senkrechten Gneisklippen. Vorgelagert sind diverse kleine Inseln und stacs. Wer hier bei ruhigem Wetter eine Bootsfahrt zwischen den Felsen erleben darf, wird sie bis ans Ende seiner Tage nicht mehr vergessen. Zelten und campieren wird am Strand von Mingulay toleriert.

Berneray/Barra Head
Die südlichste Insel der Äusseren Hebriden war deutlich länger besiedelt als die anderen Inseln. Aber auch nur deswegen, weil der prägnante Leuchturm bis in die späten 70’er Jahre des letzten Jahrtausends von drei Wärtern betrieben wurde. Sicherlich ein einsames Leben, rund 190 m über den tosenden Fluten des Nordatlantiks. Angeblich soll bei Sturm die Gischt der Atlantikbrecher bis hier oben rauf geweht worden sein. Die Insel selbst ist 204 ha gross und fällt von West nach Ost langsam ab. Es gibt keine von Sandstränden gesäumte Bucht, anlanden funktioniert nur bei ruhiger See an der Pier für den Leuchtturm. Wie auf Mingulay sind die Klippen auf der Westseite ein einziges Seevogelparadies.