Rotauf: «Trotz» Nachhaltigkeit und Swiss made zum Erfolg
Rotauf: «Trotz» Nachhaltigkeit und Swiss made zum Erfolg
 Datum: 08.06.2022  Text: Peter Hummel  Fotos: Peter Hummel 

Rotauf: «Trotz» Nachhaltigkeit und Swiss made zum Erfolg

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Rotauf: «Trotz» Nachhaltigkeit und Swiss made zum Erfolg
Rotauf hält die rote Boje, das Ursprungsprodukt, beharrlich über Wasser oder Schnee. Seit nun 10 Jahren behauptet sich die Churer Firma mit konsequenter Nachhaltigkeit gegen den Apparel-Mainstream. Dahinter steckt nicht einfach Marketingkalkül, sondern eine Philosophie: Die Pro­dukte sollen möglichst regional hergestellt werden, bei Schweizer Zulieferern, und langlebig sein. 
 
Katrin Abderhalden steht mit ihrem Nähstall in Starkenbach zum einen für Tradition: Ihr Atelier wurde als Trachtenschneiderei gegründet. Zum andern aber auch für Aufbruch: Mit einem modernen Anbau wollte sie sich rüsten für neue Aufgaben. Doch dann kam die Pandemie, welche aufgrund all der ausgefallenen Veranstaltungen den Nähstall fast in der Existenz bedrohte. Da kam Rotauf gerade recht mit der Anfrage zum Nähen und Tapen von Outdoorjacken – und der Nähstall löst die «moderne Herausforderung» mit Bravour.

Der Toggenburger Kleinstbetrieb ist einer von über 20 Rotauf-Produktionspartnern, wovon etliche weitere in der Ostschweiz ansässig sind: Die Textildesignerin Claudia Caviezel, die lange Jahre für Akris und Jakob Schlaepfer tätig war, kreiert die Prints für die Collab-T-Shirts. Bei Aldo Naegeli in Ermatingen, einer der letzten Rundstrickereien der Schweiz, wird der Stoff für die Merino-Unterwäsche und Bio-Bauwollprodukte hergestellt. Bei Wams in Buchs, seit Jahrzehnten Lieferant der Anzüge von Swiss Ski, erfolgt der lasergesteuerte Zuschnitt der Laminate und das Nähen von Unterbekleidung. Die Strickerei Traxler in Bichelsee liefert die Merino-Mützen. Beim Textilausrüster Cilander in Herisau werden Stoffe gefärbt oder veredelt.

Mit der Weberei Alumo in Appenzell wurde ein neuer Outdoor-Stoff entwickelt. Weil deren Produktion letztes Jahr nach Ägypten ausgelagert wurde, wollte Rotauf aber einen neuen Stofflieferanten suchen. Denn bei Rotauf heisst die oberste Maxime «Radikal Swiss made»: Die ganze Kollektion wird in der Schweiz hergestellt. Ein produktionstechnischer Hosenlupf – aber er funktioniert. Wer lange sucht und einen fairen Preis zahlt, der wird hierzulande (noch) fündig. Konkret bleiben etwa 85 Prozent des Umsatzes in der Schweiz. Nur Rohstoffe wie die Biobaumwolle, einige Stoffe wie die Laminate der dreilagigen Jacken und Kleinteile wie Reissverschlüsse stammen aus dem Ausland.


Rotauf: «Trotz» Nachhaltigkeit und Swiss made zum Erfolg
Rotauf: «Trotz» Nachhaltigkeit und Swiss made zum Erfolg
Die schlanke Rotauf-Leitung: Geschäftsführer Peter Hollenstein und Produkteverantwortliche Jessica Fehr

Outdoor-Bekleidung wird immer modischer – und damit problematischer

Dieses bewusste Schwimmen gegen den Strom müsste eigentlich ein gutes Geschäftsmodell sein, um sich vom gleichförmigen Mainstream abzuheben: Anders als alle anderen – denn mit dieser konsequent lokalen Philosophie plus einem gelebten nachhaltigen Ansatz ist Rotauf als Outdoor-Anbieter einzigartig. Geschäftsführer Peter Hollenstein macht eine ernüchternde Marktanalyse: Seit etwa 20 Jahren ist Outdoorbekleidung funktionell «fertig» entwickelt.

Seither folgte eigentlich lediglich eine technische Optimierung (noch atmungsaktiver, noch leichter) und ein modisches Upgrade: Die Allwetterkluft wird zur modischen Leasure Wear, die meist viel zu früh wieder ausgemustert und entsorgt wird. Entsorgt? Fürs Reziklieren hat die Branche immer noch keine nachhaltige Lösung, die auch wirtschaftlich ist (die Polytetrafluorethylen-Membrane sind nicht abbaubar) und beim Verbrennen setzt PTFE hochgiftige Flusssäure frei. Um sich zu profilieren versprechen drum in den letzten Jahren alle führenden Hersteller mehr Nachhaltigkeit – bei den Produzenten, bei den Materialien, bei der Verarbeitung: Keine Kinderarbeit mehr, mehr Naturfasern, weniger Imprägnierungen mit PFC (polyfluorierte Chemikalien).

Aber betrachten wir mal die hochgelobte «Naturfaser» Merinowolle: Damit sie beim Waschen in der Waschmaschine nicht verfilzt und schrumpft (wie früher von Wolle bekannt), muss sie einer sogenannten «Superwash»-Ausrüstung unterzogen werden: Die natürlichen Schuppen werden mit Chlor-Verbindungen weggeäzt und die «nackte» Wolle danach mit einer Polyamid-Epichloro­hydrin-Plastikschicht ummantelt, um sie möglichst robust zu machen, was aber giftige Chemikalien freisetzt. Rotauf setzt stattdessen ein schonendes Verfahren ein, das ein Wollwaschmittel und ein Waschgang bei «nur» 30° C erfordert.

Zur Verbesserung der Stabilität wird der Unterwäsche Seide beigemischt, was den Tragkomfort erst noch erhöht. Um auch bei der Herkunft des Rohstoffs mehr Nachhaltigkeit und Swissness zu erreichen, hat Rotauf angefangen, erste Produkte mit Merinowolle aus dem Thurgau, dem Emmental und dem Jura  anzubieten, auch wenn die einheimische Merinowolle ein Vielfaches teurer zu stehen kommt wie der Import aus Südamerika oder Neuseeland. Mit einer Mütze für CHF 169,- lasse sich zwar kaum was verdienen, doch damit werde gezeigt, dass dies machbar ist.


Rotauf: «Trotz» Nachhaltigkeit und Swiss made zum Erfolg
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Mehr Toggenburg geht nicht: Kuhherde vor dem Nähatelier
Rotauf: «Trotz» Nachhaltigkeit und Swiss made zum Erfolg
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Kontrast auch im Nähstall selber: Vor dem Kachelofen wird eine Outdoor-Jacke genäht


Echte Nachhaltigkeit statt nur Greenwashing

Bei Rotauf seien die schädlichen Fluor-Kohlenwasserstoffe PFC und PTFE bereits seit 2013 durch Imprägnierungen auf Paraffinbasis sowie Membrane aus Polyester ersetzt worden. Hollenstein erklärt: «Seit 2016 sind wir als eine von erst drei Marken weltweit der Detox-Kampagne von Greenpeace beigetreten. Herkömmliche Anbieter tun sich auf Grund von Kostendruck, Wachstumszwang und Systemabhängigkeit schwer, solch tief­greifende Prozessänderungen umzusetzen.»
Peter Hollenstein muss es wissen: Er war bei Mammut sechs Jahre lang Nachhaltigkeitsbeauftragter. Vor Jahresfrist löste er als Geschäftsführer Oliver Gross ab, dem die Führung in Teilzeit zu viel wurde. Durch die gestiegene Nachfrage wurde eine Professionalisierung der Strukturen nötig.


Geschäftsmodell hoffentlich – Vorzeigeprojekt sicher

Ja, der Kampf gegen Windmühlen scheint sich langsam auszuzahlen: Die bewusste Kundschaft, die bereit ist, für nachhaltige und regionale Produkte allenfalls mehr Geld auszulegen, nimmt zu. Immerhin können Top-Teile zu konkurrenzfähigen Preisen auf dem Niveau von Referenzmarken geboten werden (um die 800 Franken für eine Highend-Jacke), trotz x-fach so hohen Produktions­kosten. Natürlich gelingt dies nur durch Verzicht auf teures Marketing und Direktvertrieb. Gewiss ist die in der Pandemie gestiegene Online-Shopping-Affinität auch Rotauf zu Gute gekommen. Immerhin gibt es die Möglichkeit, in der Churer Zentrale und seit neustem in einem Showroom im Zürcher Outdoor-Secondhandladen «2nd Peak» alle Teile zu probieren.

Dass die schwierigen Anfangsjahre überhaupt überstanden wurden, ist Curdegn Bandli und Remo Frei mit ihrer Produkteentwicklungsfirma Flink zu verdanken. Sie gründeten die Marke Rotauf 2011 für ein erstes Produkt, eine rote Lawinenrettungsboje – daher der Name. Noch heute ist Rotauf mit gut 3.5 Stellen schlank aufgestellt und der Umsatz mit rund 1 Mio CHF steigerungsfähig. Auch wenn Rotauf noch eine kleine Nummer ist, so hilft sie doch einer Vielzahl von hiesigen Kleinproduzenten als letzte Überbleibsel der einst stolzen Schweizer Textilindustrie, Knowhow und Arbeitsplätze in der Schweiz zu erhalten. So wie in den letzten Jahren schon mehrere Crowdfunding-Aktionen gestartet wurden, um die nötige Liquidität zu sichern, könnte dies aber auch in Zukunft nötig sein. Peter Hollenstein räumt denn auch freimütig ein: «Ob unser radikaler Ansatz wirklich ein langfristiges Businessmodell ist, muss sich immer noch beweisen. Im Moment ist es immerhin ein funktionierender Showcase – der hoffentlich auch etablierte Hersteller animiert!»


Rotauf: «Trotz» Nachhaltigkeit und Swiss made zum Erfolg
Rotauf: «Trotz» Nachhaltigkeit und Swiss made zum Erfolg
Textildesignerin Claudia Caviezel hat die Collab T-Shirts entworfen
Rotauf: «Trotz» Nachhaltigkeit und Swiss made zum Erfolg
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Die Farbauswahl der T-Shirts
«Gute Outdoorprodukte sollten der Natur keinen Schaden zufügen.»
Interview mit dem langjährigen Geschäftsführer Oliver Gross und dem neuen Geschäftsführer Peter Hollenstein 
 
Rotauf stellt seine Kleider ausschliesslich in der Schweiz her. Was ist daran so anspruchsvoll?
Am anspruchsvollsten war und ist der Aufbau von Know-How. In der Schweiz werden seit Jahrzehnten keine Outdoortextilien mehr produziert. Die Schweizer Textilindustrie ist in den letzten Jahren extrem geschrumpft. Die Corona-Krise hat den Druck noch zusätzlich erhöht; bei vielen Produzenten wissen wir nicht, ob es sie morgen noch gibt. Wir betreten oft Neuland, testen Grenzen aus und müssen dazu stehen, dass nicht immer alles so klappt wie wir es uns vorstellen. Zum Beispiel das Entwickeln der weltweit ersten Jacke mit der ETH-Membran Dimpora hat 6 Monate länger gedauert als wir erwartet haben.
 
Rotauf stellt radikal nachhaltige Produkte her. Welchen Einfluss hat das auf die Produktentwicklung?
Die meisten Marken entwickeln ein Produkt auf der Basis von fertigen Stoffen, welche sie bei grossen Stoffherstellern einkaufen. Bei uns läuft das umgekehrt – um möglichst viel Wertschöpfung in der Schweiz zu halten und unsere strengen Nachhaltigkeitsanforderungen zu erfüllen, entwickeln wir oft mit unseren Partnern Stoffe – unter Vorgabe, was in der Schweiz überhaupt noch hergestellt werden kann und dass viele Materialien und Substanzen für uns gar nicht in Frage kommen. 
 
Gibt es da Zielkonflikte?
Definitv. Der grösste Konflikt ist, dass sich die Kunden gewöhnt sind, dass Outdoorbekleidung immer die beste Leistung bei kleinstem Gewicht bietet. Dass dies meist nur möglich ist dank massivem Einsatz von gefährlichen Chemikalien und Materialien wird natürlich nicht thematisiert. Wir wollen auf diese gefährlichen Substanzen verzichten, dafür nehmen wir auch mal Abstriche bei der Leistung in Kauf (im Haupttext erwähntes Beispiel Merinowolle) oder bieten gewisse Produkte (z.B. Softshells) gar nicht an.
 
Wo seht ihr die Aufgabe von Rotauf in der Schweizer Textilindustrie?
Wir sehen uns als eine Art Sprachrohr. Wir alle tragen täglich Kleider, aber wenigen Leuten ist bewusst, wie und wo diese hergestellt werden und wie es um die Schweizer Textilindustrie steht. Natürlich wollen wir auch unser Auftragsvolumen vergrössern, damit die letzten Webereien, Strickereien und Nähereien in der Schweiz über die Runden kommen...  
 
Und noch zum Abschluss: Wieviel muss ein T-Shirt kosten?
79 CHF – dann ist genügend Geld da für faire Bio-Baumwolle und für eine Verarbeitung komplett in der Schweiz mit Schweizer Löhnen durch die Aldo Nägeli AG, Johann Müller AG, Schuler Manufakturen und Werk5. 
 
...und falls es weniger kostet, wer bezahlt den Rest?
Wohl die Natur, der Baumwoll-Bauer in Indien oder das Kind in der Spinnerei in Bangladesch oder China...