Ronan Donovan – Der Wolfs-Mann
Ronan Donovan – Der Wolfs-Mann
 Datum: 10.01.2023  Text: Jürg Buschor 

Der Wolfs-Mann

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Der Wolfs-Mann
Der Amerikaner Ronan Donovan hat sich als Wildtierbiologe, Fotograf und Filmer intensiv mit Wölfen auseinandergesetzt. Was ihn an den Wildtieren fasziniert und wie sich Konfrontationen bei der Wiederansiedlung vermeiden lassen, erzählt der Jack Wolfskin Markenbotschafter im Outdoor Guide Interview.
Ronan Donovan – Der Wolfs-Mann
Ronan Donovan – Der Wolfs-Mann
Wölfe sind soziale Raubtiere, die sich - wie die Menschen - zusammen entwickelt haben. (c) Dennis Donohue
Welches war das bisher eindrücklichste Erlebnis im Rahmen Deiner Arbeit?

Ich erinnere mich an die Erkundung einer Höhle der arktischen Wölfe. Mein Kollege und ich hatten diese Höhle wochenlang beobachtet. Die Wölfe hatten keine Angst vor uns. Sie kamen, um unsere Rucksäcke und Stiefel zu beschnüffeln. Das liessen wir in der Regel aber nicht zu, denn wir wollten Abstand halten - aus Respekt vor den Tieren und ihrer Umgebung. 

Als wir die Höhle beobachteten, sahen wir eines Tages die Matriarchin mit den Welpen, die in der Nähe der Höhle schliefen. Sie hob ihren Kopf und schaute in die Ferne. Wir verfolgten ihren Blick und sahen einen einsamen Wolf am Horizont. Sie wurde deswegen plötzlich sehr nervös, was implizierte, dass das vielleicht keines ihrer Rudel- oder Familienmitglieder war. Sie schlich in sehr tiefer Körperstellung geradewegs vom Höhlenhügel runter. Sie ging an uns vorbei, so dass wir zwischen ihr und der Höhle sassen. Plötzlich dreht sie sich zu uns um und sah zu den Welpen. In diesem interessanten Moment hat sie uns zu verstehen gegeben: «Okay, ihr seid hier, ihr seid in Ordnung. Die Welpen sind das Wichtigste für mich. Ich werde mich dieser potenziellen Bedrohung stellen. Ihr bleibt hier, um die Welpen im Auge zu behalten.» So hatte es sich angefühlt oder zumindest hatte sie akzeptiert, dass wir in dieser sehr herausfordernden Situation da waren. Also ging sie weiter und die beiden Wölfe kamen sich immer näher. Der Wolf, der auftauchte, war sehr unterwürfig. Dann wurde uns klar: Sie erkannte, dass dies einer ihrer einjährigen Nachkommen war. Aber er war ganz schlammig und verhielt sich anders. Es war eine sehr interessante und intelligente Beobachtung ihrerseits. 


Worin genau besteht die Faszination für diese Wildtiere?


Wölfe und Menschen leben in parallelen Familienverbänden, Mutter und Vater mit Jungen. Sie sind soziale Raubtiere, die sich - wie die Menschen - zusammen entwickelt haben. Genau diese Ähnlichkeiten, die Menschen und Wölfe teilen, ist faszinierend. Sie sind das erste von Menschen domestizierte Tier. In Eurasien war das beispielsweise vor etwa 20‘000 Jahren der Fall. Das macht sie sehr interessant. Es gibt mehr als 70 Millionen Hunde in Nordamerika, die alle direkte Nachkommen von Wölfen sind. Somit haben wir diese Tiere in unseren Häusern: Sie kümmern sich um unsere Kinder, sie kümmern sich um Blinde, sie können den Insulinspiegel bei Menschen mit Diabetes riechen. Sie sind unglaubliche Tiere, die Menschen in vielerlei Hinsicht verehren. Leider aber hat die wilde Version immer noch eine herausfordernde Beziehung zu modernen Menschen. Ich sage modern, weil die Menschen vor langer Zeit damit begannen, diese grossen Pflanzenfresser wie Kühe, Schafe und Ziegen zu domestizieren. Wir fingen an, mit Wölfen in Konflikt zu geraten, als sie zu unseren Konkurrenten bei der Jagd wurden und sie nicht mehr einfach nur als Mit-Jäger in der Landschaft wahrgenommen haben.

Ich denke, Wölfe eröffnen ein sehr interessantes Gespräch über die menschliche Beziehung zu wilden Tieren und zur Wildnis - und das ist einer der Gründe, warum ich Wölfe faszinierend finde.
Ronan Donovan

Im Jahr 2011 erforschte Ronan Donovan im Auftrag des Harvard-Professors Richard Wrangham Schimpansen im Kibale-Nationalpark in Uganda, als er die Bilder machte, die ihm zu einer Karriere als Naturschutzfotograf verhalfen. Wrangham schickte die Bilder an den Fotojournalisten Tim Laman, der Donovan mit Kathy Moran, der leitenden Redakteurin für Naturgeschichte bei National Geographic, in Kontakt brachte. Aber erst 2014 fragte Moran ihn, ob er dem Fotografen Michael Nichols bei einem mehrere Monate dauernden Projekt über den Yellowstone-Nationalpark assistieren wolle. In einem Anschlussprojekt galt es, über die grauen Wölfe von Yellowstone zu berichten – ein Auftrag, den schliesslich Donovan erhielt. Er verbrachte das nächste Jahr mit dieser Arbeit, die in der National Geographic Ausgabe vom Mai 2016 veröffentlicht wurde.

Donovan brachte sich die technischen Aspekte der Fotografie und des Filmemachens selbst bei, während er acht Jahre lang an einer Reihe von Projekten im Bereich der Wildtierbiologie arbeitete. Im Jahr 2013 beschloss er, sich hauptberuflich der Fotografie und dem Filmemachen zu widmen, weil er glaubte, durch visuelles Geschichtenerzählen mehr bewirken zu können denn als Biologe. Seine Arbeit in der Wildtierforschung hat ihm jedoch geholfen: «Wenn man sein Thema im Allgemeinen kennt, wird die Arbeit, die man macht, viel erfolgreicher und kraftvoller, weil man die einzigartigen Momente kennt».
Ronan Donovan – Der Wolfs-Mann
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Donovan brachte sich die technischen Aspekte der Fotografie und des Filmemachens selbst bei.
Die Grossraubtiere erobern sich Stück für Stück ihre angestammten Lebensräume in Europa zurück. In der räumlich sehr engen Schweiz leben mittlerweile wieder weit über 100 Wölfe, nachdem die Tiere erst vor rund 10 Jahren wieder Fuss gefasst haben. Vielen Menschen betrachten diese Entwicklung mit Sorge – insbesondere die ländliche Bevölkerung in den Bergen. Wie können wir den Umgang mit den Tieren lernen, damit das Zusammenleben möglichst konfliktfrei ist?

Ja, die Herausforderung ist, dass Wölfe Schafe töten. Es gibt zahlreiche Tools, die Menschen seit Tausenden von Jahren verwenden, um Konflikte zu vermeiden. Als wichtigstes sind Herdenschutzhunde zu nennen. Im Wesentlichen erstellt man sein eigenes Wolfsrudel, um Schafe vor Wölfen zu schützen In Europa werden beispielsweise Pyrenäen-Hunde aus diesem Grund gezüchtet. Die Idee ist, dass die Hunde sich als Teil der Schafsherde sehen. Sie leben die ganze Zeit bei den Schafen und beschützen sie. Darüber hinaus ist es wichtig, dass ein Mensch, also der Hirte, bei der Herde bleibt. Denn wenn es keine Wölfe gibt, verändert sich das menschliche Verhalten beim Schafe hüten: Sie werden weniger wachsam. Wenn sie aber zurückzukommen, verändert sich die Situation erneut. Und das ist eine Herausforderung. Der Mensch muss sich erinnern, dass es Werkzeuge zur Minimierung von Konflikten gibt. Das ist das Beste, was man machen kann. Es dauert aber mehrere Generationen, bis die Menschen besser verstehen und sich daran erinnern können, was wirklich gut ist. So finden sie Wege, um mit Wölfen so konfliktfrei wie möglich zusammenzuleben.


Welchen Einfluss hat der Wolf auf die Ökosysteme, in denen er neu ansiedelt?

Wölfe gelten sowohl als Apex-Raubtier als auch als Schlüsselart. Schlüsselart bedeutet, dass die Biodiversität zunimmt, wenn Wölfe vorhanden sind. So steigt die Artenvielfalt, wenn Wölfe vorhanden sind, wenn sie abwesend sind, nimmt sie ab. Das war der Fall im Yellowstone National Park. Dort hatte 70 Jahre lang die Biodiversität abgenommen. Das ist der Nutzen von Wölfen für ein funktionierendes Ökosystem, in dem sie sich über Millionen von Jahren entwickelt haben. Sie tragen zur Biodiversitätskapazität dieser Landschaft bei. Das macht sie widerstandsfähiger gegen alles, von Dürre über Überschwemmungen bis hin zum Klimawandel. Mehr Biodiversität zu haben ist positiv - für die Landschaft sowie für Menschen, die sie für die Landwirtschaft oder die Jagd nutzen.

 
Du hast einmal gesagt, dass man keinen Naturschutz betreiben kann, ohne sich mit Menschen auseinanderzusetzen. Wie ist das zu verstehen?

Der Konservierungsgedanke ist in einer modernen Welt nicht mehr einfach nur als Schutz von Millionen Hektar Land zu verstehen. Die Herausforderung besteht jetzt darin, dass jeder Teil des Planeten vom Klimawandel betroffen ist. 

Auch wenn die Wölfe in der Arktis, die ich studiere, dokumentiere und fotografiere, in vielerlei Hinsicht so weit von der Zivilisation sehr entfernt sind, sind sie vom Klimawandel betroffen.  Sie werden zwar nicht gejagt und es wird auch nicht zum Konflikt mit Menschen kommen. Aber es liegt eine bakterielle Infektion vor, die sich schneller repliziert, da sich das Klima in der Arktis viermal schneller erwärmt als in anderen Teilen der Welt. Dieses Bakterium verursacht Massensterben bei der Hauptnahrungsquelle der Wölfe, dem Moschusochsen. Während die Wölfe weit weg, scheinbar sicher und frei von menschlichen Konflikten sind, sehen wir, dass der Naturschutz im direkten Zusammenhang mit dem Menschen und menschlichem Verhalten steht. Naturschutz bedeutet, mit Menschen, ihrem Verhalten und ihrem Umgang mit der Natur zu reagieren, da alles Auswirkungen auf die Tierwelt hat.
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In Europa war der Wolf lange Zeit Inbegriff des Bösen – das zeigen auch die zahlreichen Kindermärchen. Wie blicken Menschen anderer Kulturen/Länder auf den Wolf? Hat der Wolf ein Image-Problem?

Die meisten folkloristischen Geschichten und das negative Image des Wolfs stammen aus Europa und Asien. Dort stehen Wölfe und Menschen sich seit 10‘000 Jahren im Konflikt gegenüber, da die Menschen Nutztiere domestiziert haben. Auch haben Wölfe in ganz Europa und Asien Menschen getötet. Viele der europäischen historischen Todesfälle durch Wölfe waren jedoch tollwütige Tiere oder Tiere, die sich mit Haushunden gekreuzt hatten, wodurch sie grösser und weniger ängstlich gegenüber Menschen wurden. Immer noch gibt es Menschen, die in Asien von Wölfen getötet werden. 

Diese Situation besteht immer noch. Andere Kulturen jedoch, wie die indianischen Kulturen Nordamerikas, hatten eine viel positivere Beziehung zu Wölfen. Auf sie beziehen sich viele mündliche Überlieferungen, wie Stämme der Quaalude aus dem Nordwesten der Vereinigten Staaten. Sie sprechen davon, was man vom Wolf lernen kann: Wie man überlebt, wie man menschlicher wird, wie man unsere Ältesten ehrt, beschützt und für unsere Familien sorgt. Und wir lernen von Wölfen, wie man wirklich zu einem Stamm gehört. Andere Kulturen nahmen vielfach Wölfe auf, nachdem sie einen Wolfswelpen gefunden haben. Vielleicht behielten sie ihn, vielleicht nicht, vielleicht haben sie die Wölfe mit einigen der Haushunde gezüchtet, die sie im Lager hatten oder er wurde wieder freigesetzt, um wieder wild sein. Also ja, es gibt verschiedene Modelle für die Koexistenz mit Wölfen, die sich vom eurasischen Modell unterscheiden.


Jack Wolfskin Discovery Team
Ronan Donovan
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«Wenn man sein Thema im Allgemeinen kennt, wird die Arbeit, die man macht, viel erfolgreicher und kraftvoller».