La Liste: Everything or Nothing - Im Interview mit Jérémie Heitz und Samuel Anthamatten
La Liste: Everything or Nothing - Im Interview mit Jérémie Heitz und Samuel Anthamatten
 Datum: 22.02.2022  Text: Outdoor Guide Redaktion 

La Liste: Everything or Nothing - Im Interview mit Jérémie Heitz und Samuel Anthamatten

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La Liste: Everything or Nothing - Im Interview mit Jérémie Heitz und Samuel Anthamatten
Zum Filmstart von «La Liste - Everything or nothing» haben wir mit den beiden Protagonisten gesprochen. Jérémie Heitz und Samuel Anthamatten im Interview über das Skifahren an 6.000ern, ihre Expeditionen nach Pakistan und wie sie den Menschen dort erklärt haben, was sie da überhaupt machen.

Interview: Claus Lochbihler

La Liste: Everything or Nothing - Im Interview mit Jérémie Heitz und Samuel Anthamatten
La Liste: Everything or Nothing - Im Interview mit Jérémie Heitz und Samuel Anthamatten
Filmpremiere - die beiden Schweizer Jérémie Heitz und Samuel Anthamatten (Foto: Red Bull Content Pool)

Jérémie, du hast in der Vergangenheit mal den Begriff Steep Speed Skiing verwendet. Ist das immer noch ein passender Begriff für eure Art des extrem steilen und schnellen Skifahrens? 
Jérémie: Extremskifahren, Steilwandfahren, Speed Steep Skiing. So viele Begriffe! Oft fragen mich Leute, was Steep Skiing ist. Ich kann das auch nicht wirklich beantworten. Manche sagen, dass das Steilwandfahren bei 45 Grad beginnt. Aber Sam und ich messen nie, wie steil die Hänge sind, die wir befahren. Wir wissen, dass es steil ist, wenn wir mit Steigeisen und manchmal auch mit Eisgeräten aufsteigen. Aber letztlich sind wir des Skifahrens wegen unterwegs. Und Skifahren ist für mich immer noch der beste Begriff für das, was wir machen.

Sam: Wenn du ein Kind fragst ‚Was machen die da?‘, würde es antworten: Skifahren. Und nicht etwa Backcountry Slopestyle oder Slackcountry und wie die ganzen Begriffe heissen, die vor allem die Amerikaner benutzen.

Die Menschen in Baltistan, wohin euch eure dritte Expedition für «La Liste: Everything or Nothing» hingeführt hat – hatten die schon mal Skifahrer wie Euch gesehen?
Sam: Da muss man differenzieren. Die Organisation, mit der wir in Pakistan zusammengearbeitet haben, hat eine längere Erfahrung mit Bergsteigern. Einer der Mitarbeiter - Gulan - war sogar schon mit Reinhold Messner unterwegs. Sie haben sicher schon mal Skier gesehen – weil der eine oder andere Bergsteiger eben auf Skiern unterwegs war. Aber in den kleinen Bergdörfern haben die Menschen nicht verstanden, was wir da machen.

Habt Ihr es ihnen erklärt?
Sam: Mit Händen und mit Füssen. Und mit ein paar englischen Sätzen.

Welchen?
Sam: ‘Go up. Ski down. Fast!‘ Ich weiss natürlich nicht, ob sie es verstanden haben. Die Träger, die mit uns bis auf den Snow Lake-Gletscher gegangen sind, haben wir an einem Tag unsere Skier ausprobieren lassen. Dort, wo es ganz flach war, aber man trotzdem etwas rutschen konnte. Um ihnen das Gefühl des Gleitens zu vermitteln. Die waren ganz hin und weg. Vielleicht konnten sie danach etwas besser verstehen, was wir da machen.
La Liste: Everything or Nothing - Im Interview mit Jérémie Heitz und Samuel Anthamatten
La Liste: Everything or Nothing - Im Interview mit Jérémie Heitz und Samuel Anthamatten
Jérémie Heitz
Jérémie Heitz ist so etwas wie der Überschallflieger unter den Freeridern. Heitz ist im Schweizer Kanton Wallis geboren und bekannt als der schnellste Freerider der Welt. Grosses Aufsehen erregte er 2016 mit seinem Dokumentarfilm „La Liste“, in dem er fünfzehn Viertausender in den Alpen in bisher ungekannten Tempo befuhr. Ein ausführliches Interview aus seinen früheren Tagen lest ihr hier auf Outdoor Guide. 
Wie hat die Karriere von Jérémie Heitz begonnen? Wir haben vor 6 Jahren schon mit ihm gesprochen. Hier geht es zum Interview.
Ist am Snow Lake, diesem riesigen Gletscherbassin so hoch hochgelegen wie der Mont Blanc, jemals schon jemand so Ski gefahren wir ihr das gemacht habt?
Sam: Nein. Am Snow Lake oder Lupke Lawo bestimmt noch niemand. Ein Tal weiter war vor ein paar Jahren eine französische Gruppe zum Freeriden dort. Die waren so ähnlich unterwegs wie wir. Und haben einen schönen Film gemacht – ‚Zabardast‘. Aber am Snow Lake und den umgebenden Bergen wurde bestimmt noch nie so Ski gefahren wie Jérémie und ich das tun. Ich glaube allerdings, dass es bald mehr Skiexpeditionen in dieser Region geben wird.

Weshalb?
Sam: Weil das unglaubliche Berge sind mit vielen schönen Skilinien. Wir sehen Pakistan bislang überwiegend bergsteigerisch – und denken an den K2, Broad Peak und wie sie alle heißen. Deswegen zieht es die meisten bislang in die Felsregionen dort. Aber Snow Lake ist die größte Eisfläche außerhalb der Polarregionen….

…. die erst 1892 von Martin Conway und dem Schweizer Bergführer Matthias Zurbriggen ‚entdeckt‘ wurde.
Sam: Ein Gebirge mit sehr, sehr viel Schnee und Eis. Und Abfahrten in allen Expositionen.

Welche Expositionen seid ihr gefahren?
Sam: Alle Nordsektoren. Südseitig nichts, weil es jeden Tag, den wir dort waren, wärmer wurde. Deswegen haben wir nach einer Woche auch gesagt: Das war’s, bei der Wärme dürfen wir nicht weitermachen.
«Go up. Ski down. Fast!» - Samuel Anthamatten
Euer Basecamp lag auf 4.800 Meter, von dort seid ihr auf knapp 6.000 Meter aufgestiegen. Und trotzdem war es so warm?
Sam: Die Erwärmung war unglaublich. In der ersten Woche hatten wir nachts minus 25 Grad. Und in der zweiten Woche wurde es tagsüber bis zu 20 Grad warm. Mehr als 40 Grad Unterschied! Wir haben uns auf dem Gletscher in der Sonne wie tote Fliegen gefühlt. Da konnte man eigentlich nur noch im Zelt liegen. Zum Schluss war es nicht mehr verantwortbar, mit Skiern in steile Hänge zu gehen.

Wann seid ihr aufgestiegen und abgefahren?
Sam: Die Aufstiege haben wir spätestens vor der Dämmerung begonnen. Und mit der zunehmenden Erwärmung immer mehr in die Nacht verlegt: um 2 oder 3 Uhr sind wir losgegangen. Abgefahren sind wir spätestens vor 9 Uhr, manchmal sogar vor 8 Uhr.

Wie waren die Schneeverhältnisse?
Sam: In den Nordsektoren war es noch pulvrig. Es war für dortige Verhältnisse ein ziemlich spezieller Winter: lange Zeit sehr trocken. Erst im April hatte es angefangen zu schneien. Fünf Wochen lang.

Und dann kamt Ihr?
Sam: Genau. Wir hatten zwei Wochen unglaublich schönes Wetter. Aber eben auch diese Erwärmung.
La Liste: Everything or Nothing - Im Interview mit Jérémie Heitz und Samuel Anthamatten
La Liste: Everything or Nothing - Im Interview mit Jérémie Heitz und Samuel Anthamatten
Samuel Anthamatten
Samuel Anthamatten wird am 28.9.1986 als jüngster der drei «Matterhorn-Brüder» geboren. Der Zermatter ist gelernter Zimmermann, Skilehrer und verdient sein Geld als Bergführer, Freeride-Profi und Alpinist. Zu seinen grossen alpinistischen Erfolgen zählen die Erstbegehung der Südflanke des Jasemba (7350 m) über «Hook or Crook» (VI, M5. 1550 m) mit Simon Anthamatten und Michael Lerjen-Demjen, die Erstbefahrung der Weisshorn-Südwand und die Erstbegehung der «Anthamatten-Route» in der Matterhorn-Nordwand. Auf dem Horu stand Samuel Anthamatten bereits mehr als 70 Mal.

Am Laila Peak – Eurer zweiten Expedition im Film - wolltet Ihr eigentlich diese aberwitzige Spine am Rand der Flanke abfahren. Aber dann ist Jérémie umgekehrt, weil er die Höhe an dem Tag nicht gut vertragen hat. Und du, Sam, bist allein, gefolgt vom Filmteam, bis zum Gipfel aufgestiegen. Aber dann doch entlang Eurer Aufstiegslinie abgefahren. Weshalb?
Sam: Wir hatten am Laila Peak einfach keine guten Bedingungen. An dem Tag hatten wir uns gesagt: Schauen wir mal, wie hoch wir kommen. Damit wir uns wenigstens an die Höhe gewöhnen. Mir ging es an dem Tag anders als Jérémie überraschend gut. Also bin ich zusammen mit Luke und Josh bis zum Gipfel gestiegen, Jérémie ist umgekehrt. Der Aufstieg war cool. Die Abfahrt im unteren Teil auch. Aber die Bedingungen waren viel zu schwierig und riskant, um direkt vom Gipfel abzufahren. Ganz zu schweigen von dieser wahnsinnig exponierten Rippe. Deswegen bin ich dort abgefahren, wo ich aufgestiegen bin. Da wusste ich, was mich erwartet.

Wie waren die Schneebedingungen an dem Tag?
Sam: Das Eis lauerte ganz knapp unter der dünnen Schneeauflage. Es wäre eine Lotterie gewesen, ob du Eis oder Schnee unter dem Ski erwischst. Also musste ich das Risiko bei der Abfahrt reduzieren. Meine Aufstiegsroute war weniger exponiert. Und ich wusste vom Aufstieg her, wo es eisig sein würde. Und selbst so war es immer noch nah am Limit. Die Spine unter solchen Bedingungen - das wäre schief gegangen.

Was empfindet ihr, wenn ihr mit dem Tempo eines Abfahrtsläufers solche Bergflanken abfahrt? Ist das eine Mischung aus Angst und Adrenalin, Flow und Anstrengung?
Jérémie: Auch das hängt manchmal von den Bedingungen ab. Sind sie so, dass ich mir bei jedem Turn überlegen muss, wie ich ihn fahre? Oder so gut, dass es sich fast wie von selbst fährt? Die Intensität ist fast immer dieselbe. Und auch das Gefühl am Ende der Fahrt, wenn du unten angekommen bist. Eine Mischung aus grosser Erleichterung. Und starken Gefühlen.

Wie entscheidet ihr eigentlich, wer zuerst einfährt?
Jérémie: Manchmal wissen wir das bis ganz zum Schluss nicht. Oder wir knobeln es aus. Oft ist es auch nicht wirklich wichtig. Manchmal droppt Sam als Erster, weil er an dem Tag vielleicht länger gespurt hat als ich. Manchmal fährt derjenige zuerst, der an dem Tag mehr Vertrauen in die Schneebedingungen und in sich selbst hat als der andere. Es gibt keine Konkurrenz zwischen uns. Wir sind als Team wirklich équilibré, wie wir auf Französisch sagen.

Sam: Wir sind auf dem gleichen Level. Mal ist der eine in besserer Tagesform, mal der andere. Dann übernimmt der eine eben mehr Spurarbeit als der andere. Und keiner pickt sich die Kirschen heraus.

Was gibt euch der Film, den es am Ende gibt? Ausser, dass ihr dafür dreimal für einen Monat auf grosse Expedition gehen durftet?
Jérémie: Klar, wir machen das in erster Linie für uns selbst. Aber gerade deshalb ist es so schön, wenn du es anschliessend im Film zeigen und teilen kannst. Und auch den einen oder anderen dazu inspirierst, ähnliche Erlebnisse zu suchen. Für mich war es sehr bewegend, den Film in Luzern mit unseren Familien zu sehen. Da sitzt du neben deinen Grosseltern, die dir auf der Leinwand beim Skifahren zusehen. Und auf einmal können sie sehen, worüber ich monatelang nur geredet habe.
 
 

Den Film La Liste - Everything or Nothing gibt es online zu kaufen.

Hier gehts zum Trailer: