Der rote Faden – Im Portrait: Ortovox
Der rote Faden – Im Portrait: Ortovox
 Datum: 09.09.2021  Text: Thomas Ebert  Fotos: Hansi Heckmair 

Der rote Faden – Firmenportrait Ortovox

Drücken Sie die Eingabetaste zum Suchen
Der rote Faden – Firmenportrait Ortovox
Ortovox begann mit und steht immer noch für Lawinenausrüstung für Skitourengeher. Doch für den grossen Umsatz sorgt heute die Bekleidung. Trotzdem schafft es Ortovox, im Bergsport verwurzelt zu bleiben: Vor allem eine feine Faser hält den Laden zusammen.
Der rote Faden – Im Portrait: Ortovox
Der rote Faden – Im Portrait: Ortovox
Mountainwear – Jedes Stück Bergsportbekleidung besteht bei Ortovox zumindest teilweise aus Wolle.
Mittags steht Produktchef Stefan Krause dann mit einem Teller Lachsfilet und Blumenkohlauflauf in der Hand auf der Sonnenterrasse und sucht einen freien Platz. An den Biertischen sitzen junge, sportlich aussehende Menschen, bayerischer und Tiroler Dialekt schwirrt durch die Luft. Die Wiese vor der Terrasse ist stellenweise plattgedrückt. «Das kommt vom Pilates heute Morgen, machen unsere Mitarbeiter immer», sagt Krause. Hinter der Wiese rauschen die weiten Gerstenfelder im Wind, und über allem liegt ein Duft von frischem Kaffee, den eine nahe Rösterei gerade verpackt. Ist man hier, im südlichen Münchner Speckgürtel, nicht doch bei einer der vielen aufstrebenden IT-Firmen gelandet, die ihre Mitarbeiter mit allerlei Benefits umgarnen? Nein, die Adresse stimmt. Hier residiert Ortovox, und zwischen zwei Lachshappen erklärt Krause einem Kollegen, dass er sich im Hinblick auf die gewünschte Rückmeldung eines tasmanischen Wolllieferanten noch etwas gedulden müsse: «Der James ist zwei Wochen beim Skifahren.» Die tasmanischen Wollfarmer, sie sind derzeit das grosse Thema bei Ortovox. Kein Wunder angesichts der stetig wachsenden Kollektionen und Umsätze der «Mountainwear», denn jedes Stück Bergsportbekleidung besteht bei Ortovox zumindest teilweise aus Wolle.
Der rote Faden – Im Portrait: Ortovox
Der rote Faden – Im Portrait: Ortovox
Die Grundidee – Mit einem neuen LVS-Gerät das Skitourengehen sicherer machen.
Der rote Faden – Im Portrait: Ortovox
Der rote Faden – Im Portrait: Ortovox
Eine Leidenschaft – Bei Ortovox liebt dreht sich alles um die Liebe zum Bergsport.

AUF ZWEI WELLENLÄNGEN

Dabei war die Ursprungsidee von Ortovox eine ganz andere. Gerald Kampel und Jürgen Wegner, zwei Münchner Studenten und begeisterte Skitourengeher, gründeten die Firma im Jahr 1980. Damals war die Frequenz für LVS-Geräte noch nicht vereinheitlicht. Kampel und Wegner entwickelten das erste Gerät, das zwei Wellenlängen abdeckte: Das »F2«. Wegner besetzte die Rolle des technischen Direktors. Kampel, gebürtiger Österreicher, übernahm den Vertrieb und versuchte unermüdlich, Bergführer von den Vorteilen des Geräts zu überzeugen. Seine Strategie, Experten der Branche als Meinungsführer und Co-Entwickler zu gewinnen, ist eines der Vermächtnisse, die Ortovox noch heute hochhält. Die Firma rüstet zum Beispiel den Verband der deutschen Berg- und Skiführer aus. Über die 2008 gegründete, eigene «Safety Academy», die bis heute stetig ausgebaut wird, begannen zudem Kooperationen mit zahlreichen Bergschulen. Und natürlich fänden sich auch in der eigenen Belegschaft ein paar »echte Freaks«, so Krause – vom Bergretter bis zur Bergführerin. «In der Entwicklung und im Vertrieb sitzen echte Core-Anwender. Da geht es am Montagmorgen erst mal darum, was am Wochenende alles gemacht wurde.» Ein Teamausflug der heute 65 Mann starken Truppe kann schon mal (gewollt) in der Gletscherspalte enden.

Kampel und Wegner erweiterten das Sortiment bald um einen Tiefschneerucksack und eine Lawinenschaufel, ehe sie 1988 die erste Sportmode fertigen liessen. Handschuhe, Pullover, Mützen, Socken, im simplen Links- Links-Strick und aus gewalkter Schafschurwolle. Mitten zur Boomzeit der pflegeleichten und schnell- trocknenden Kunstfaser, die etwa 20 Jahre zuvor ihren Siegeszug angetreten und die kratzige Schurwolle eigentlich aus dem Bergsport weitestgehend verdrängt hatte. Und dennoch entwickelte sich das Woll-Portfolio von Ortovox stetig weiter. 1995 produzierte die Firma die erste Funktionsunterwäsche aus Merinowolle, die dank ihrer feineren Faserstärken kein Kratzgefühl auf der Haut erzeugt. Die olfaktorischen Vorteile der Wolle und ihre selbstreinigende und wasserspeichernde Faserstruktur taten ihr Übriges, um der Kunstfaser weitere Marktanteile abzujagen – nicht zuletzt, weil auch andere Firmen die Merinowolle entdeckten und ihr Image beförderten.

«Zu Beginn des Jahrtausends kam die Idee, Wolle und Polyester zu kombinieren», schildert Krause die Firmenchronik. Ein wichtiges Ziel sei gewesen, die pflegeintensiven Wollklamotten robuster zu machen, ohne mit dem Grundsatz »Wolle auf die Haut« zu brechen. »Wolle ist nun mal das beste Material für die Klimaregulierung. Da kommt keine Kunstfaser hin, allein schon vom chemischen Aspekt«, so Krause. Gemischt aber tat sich eine neue Welt auf: Merino plus Polyester, Elasthan, Nylon, Cordura – das «Materiallexikon» am Ende des Ortovox-Warenkatalogs quillt über vor Woll-Synthetik-Kombinationen wie «Naturetec Plus», «Merino Fleece« oder «Competition Light».
MEILENSTEINE
1980
Das «F2» funkt auf beiden, damals noch nicht vereinheitlichten Frequenzen für LVS-Geräte

1988
Neben Sicherheitsausrüstung produziert Ortovox erstmals auch Bekleidung – aus Schurwolle

1995
Kratzt nicht: Ortovox fabriziert seine erste Funktionsunterwäsche aus feiner Merinowolle

2008
Lawinenkunde und Kletter-Know-How: Die Kurse der «Safety Academy» für Bergsportler

2015
Erstmals bringt Ortovox eine Sommerkollektion für Bergsportler auf den Markt

2016
Mit dem leichten Avabag entwickelt Ortovox seinen ersten Lawinenrucksack

2017
Mit dem OWP erlegt sich Ortovox hohe Nachhaltigkeits-Standards auf

2019
Materialmix anno 2019: Der leichte Merinowindbreaker besteht zu 50% aus Wolle
Der rote Faden – Im Portrait: Ortovox
Der rote Faden – Im Portrait: Ortovox
Angenehm – Wolle ist das beste Material für die Klimaregulierung.
Der rote Faden – Im Portrait: Ortovox
Der rote Faden – Im Portrait: Ortovox
Stetiger Wollbedarf – Seit 1988 produziert Ortovox Bekleidung.

DIE ENTDECKUNG DES SOMMERS

Immer funktioneller wurden diese Materialmixe, immer besser die Qualität der Merinowolle, so dass beim Skitouren-Spezialisten Ortovox sogar ein Sommersortiment denkbar schien. 2015 war es so weit. »Das berühmte Ortovox-Sommerloch gibt es nicht mehr«, sagt Krause und klatscht zum Beweis einen Stapel Sommerkataloge auf den Tisch. Jahr für Jahr wächst das Portfolio an Kletter- und Bergsportbekleidung, während die Hartware (abgesehen vom eigenen Lawinen-Airbag, der 2016 auf den Markt kam) eher sanft überarbeitet wird. Der ständig steigende Wollbedarf hielt Ortovox in den letzten Jahren auf Trab: Krause, der mindestens einmal im seine tasmanischen Wolllieferanten mit ihren mehr als 60'000 Schafen besucht, war die treibende Kraft hinter dem «Ortovox Wool Promise», das sich die Firma 2017 auferlegte. Für Farm- und Landmanagement, Tierhaltung, Transport und Schlachtung wurden hohe Standards definiert und auditiert, vom Dünger über die Medikamente bis zur Bewässerung. Und man überwacht, dass an den Schafen kein Mulesing durchgeführt wird. Noch wichtiger aber ist gegenseitiges Vertrauen und direkter Austausch – weshalb Krause im Frühjahr 2019 gewissermassen ein Familientreffen organisierte. Ein Dutzend der tasmanischen Wollfarmer besuchte in Meiringen das «Wolllreich» der Swisswool-Lieferanten Ruth und Heinz Brog. Da war zum Beispiel Andrew Calvert, Besitzer von knapp 10'000 Schafen und schaufelartigen Händen, die trotz ihres Umfangs die Stärke einer Wollfaser auf 0,2 Micron genau ertasten können. Calvert handelt seit 50 Jahren mit Merinowolle. Vor sieben Jahren, so Calvert, habe man 60 Ballen Wolle à 125 kg an Ortovox geliefert. «Heute sind es 6500 Ballen, fast 10 Prozent der tasmanischen Merinowolle. So gut wie jetzt waren die Zeiten noch nie!» So viel liefern die 300 Schafe von Ruth und Heinz Brog natürlich nicht, und ihre Wolle ist auch nicht so fein wie die der tasmanischen Merinofarmer. Deshalb wird sie zu Wollvlies verarbeitet dort eingesetzt, wo ihre rauhe Faser nicht stört: als Wärmespeicher in Isolationsjacken verwendet oder als Polsterung von Rucksäcken. Denn als Abfallprodukt, und nichts anderes war die Schweizer Wolle lange Zeit, ist die Naturfaser dann doch zu schade. Da sind sich die Brogs und die tasmanischen Farmer einig.

Was bringt die Zukunft? Öffnet sich Ortovox nach dem erfolgreichen Einstieg in die Kletter- und Bergsportbekleidung auch weiteren Segmenten, etwa dem Wandern, Trailrunning oder gar dem lukrativen «Urban Outdoor»-Markt der Freizeitbekleidung? «Für uns ist extrem wichtig, dass wir spitz bleiben», sagt Krause. «Mit einem klaren Firmenziel, dem sich auch der Vertrieb verpflichtet fühlt.» Von den typischen knalligen Farben, die über mehrere Jahre die Ortovox-Kollektionen prägten, wird man sich dem Vernehmen nach verabschieden. Kein Drama, solange die Funktion selbst auf Berg-, Kletter- und Skitourensport gepolt bleibt. Pilates darf es dann gerne auch sein.  

www.ortovox.com
Der rote Faden – Im Portrait: Ortovox
Der rote Faden – Im Portrait: Ortovox
Feine Faser – Ortovox vertraut auf Merinowolle aus der Schweiz und Tasmanien.