Interview mit Bergführer Kari Kobler
Interview mit Bergführer Kari Kobler
 Datum: 15.11.2017  Text: Thomas Ebert 

Auf ein Wort mit Kari Kobler

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Auf ein Wort mit Kari Kobler
Das Büro, in dem Träume beginnen, wahr zu werden, liegt in einem Parkhaus am Rande von Bern, verkehrsgünstig und direkt an der A1. Auch innen dominiert eher Zweckmässigkeit als unnützer Schmuck: Metallregale auf nackten Fliesen, Weltkarten, ein Monitor listet die anstehenden Ziele von «Kobler & Partner» auf. Seit 30 Jahren führt die Bergschule Expeditionen, Trekkings und Bergtouren in allen Gebirgen der Erde durch. Stetes Kommen und Gehen, wenig Sesshaftes. Das passt zum Gründer Kari Kobler, in dessen Leben vor lauter Bergen irgendwann kein Platz mehr für feste Beziehungen war. Obwohl er doch den Umgang mit Menschen liebt – ob als Briefträger, Bergführer oder Expeditionsleiter – und sie vor allem so nimmt, wie sie sind. Auch dann, wenn sie ihm das Haus aufbrechen. 
«Am Berg müssen die Menschen die Hosen runterlassen»
Kari, du bist erst mit 23 Jahren vom Bergvirus infiziert worden. Warum so spät?
Ich bin auf einem Bauernhof im Rheintal aufgewachsen. Damals gab es so etwas wie Hobbys nicht. Da musste man zu Hause beim Arbeiten helfen. Ich habe dann die Lehre als Briefträger gemacht. Nach zwei Jahren in Lausanne hätte ich nach Zürich gehen müssen. Ich habe gesagt: Wenn ich das muss, kündige ich gleich. So bin ich nach Bern gekommen. Und in Bern habe ich ein Mädchen kennengelernt, beim Tanzen. Ich war früher fanatischer Tänzer, bevor ich zum Bergsteigen kam.

Was für Tänze?
Klassisch. Walzer, Cha Cha Cha, Tango, Rock’n‘Roll, mit Überschlag, mit allem Drum und Dran. So hab’ ich dann ein Mädchen kennengelernt, und die ging in die Berge. Mit ihr bin ich dann eine Woche zum Bergsteigen gegangen. 

Du schreibst über dich, dass es meistens Frauen gewesen sind, die deinem Leben eine neue Richtung gegeben haben. Wie muss man das verstehen?
In jungen Jahren war das wirklich so. Da haben mich Frauen stark beeinflusst. Ich habe einfach auf sie gehört – jemand, der dich gerne hat, will ja nur das Beste für dich. Und sie haben mich meistens gut beraten. 

Und keine Frau hat das Naheliegende verlangt: dass du auf keine hohen Berge steigst?
Doch, und die beste Partnerin, die ich je hatte, habe ich deshalb verloren. Wir waren ziemlich lange zusammen. Dann habe ich aber das Mass der Dinge nicht mehr gefunden. Ich war teils jahrelang über neun Monate pro Jahr weg. Da ist es nicht ganz unerklärlich, dass sie sich einen anderen angelte. Ich war am Broad Peak, kein Telefon für fünf Wochen. Wie wenn du ein Ei fünf Wochen kochen würdest. Ich habe gewusst, zu Hause ist irgendwas im Busch. Heute gibt es Whats-App, mit einer schnellen Nachricht ist das natürlich schon einfacher. Und auch angenehmer für die jungen Bergführer, die können mal abhauen. Damals war das schwieriger. Aber vielleicht auch gut. Man weiss nie, für was es gut war. 

Welche Tipps hast du für Bergsteiger, die sich von zu Hause wegstehlen wollen? 
Das bringst du nicht unter einen Hut. Ich habe mich irgendwann dafür entschieden, alleine zu bleiben. Auch vielleicht aus Angst, wieder so einen Weltschmerz zu haben. Wenn ich das nicht einmal mit ihr schaffe – sie war ja auch viel in der Welt unterwegs. Also bleibe ich alleine. Oder kontinentalmonogam (lacht). 

Du führst seit 30 Jahren Expeditionen in die Berge der Welt. Wie hat sich die Logistik verändert?
Früher musste man noch akribischer vorplanen. Vor Ort hat man wenig bekommen, heute immer mehr. Das fing an mit Fixseilen, ging weiter mit Gas für die Kocher, oder Sauerstoff, der heute vor Ort abgefüllt wird. 

Was macht heute noch Probleme?
Vor allem die Lebensmittel. Das Wichtigste auf Expeditionen ist ja immer noch, dass man so ähnlich isst wie zu  Hause. Wenn jemand Koffein schlecht verträgt, dann wird er Mühe bekommen mit dem Tee in Nepal oder Tibet, weil der immer auf Schwarztee basiert. Beim Essen ist es in China schwierig mit Käse und Trockenfleisch, das muss man reinschmuggeln. Aber in Kathmandu gibt es inzwischen einen kleinen Bio-Markt, wo man fast alles bekommt. 

Die Ernährung als grösstes Abenteuer einer Expedition?
Sie ist zumindest nicht unwichtig. Wenn ein Motor schlechtes Benzin bekommt, dann stottert er. Genauso ist es beim Menschen. Deshalb versuche ich, Köche, die wir in Nepal haben, in die Schweiz zu bringen. Hier lernen sie, wie man hier auf Hütten kocht und was uns schmeckt. Gerade am Everest hat es sich bei uns eingebürgert, dass es bei uns fast täglich ein richtig gutes Bircher Müesli gibt.
Interview mit Bergführer Kari Kobler
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Wie verlief deine kulinarische Lernkurve?
Bei Fertigessen gibt es nur noch ganz wenige, die ich essen kann, von denen habe ich ein bisschen zu viel erwischt. Auf Expeditionen lebe ich meistens von Speck und Zwieback, deshalb verliere ich auch meistens zwischen zehn und 15 Kilo. Und was ich morgens immer essen kann, ist ein Biberli mit einem Kaffee. 

Aber ist das nicht schade – man reist um die halbe Welt, um so zu essen wie daheim?
Jemandem, der einen hohen Berg machen möchte und Energie bringen muss, kannst du nicht jeden Tag Dal Bhat oder Tschapati vorlegen. Wir essen sogar manchmal koreanisch am Everest. Oder Tibetisch. Aber das geht nicht jeden Tag. Zwischendurch brauchst du etwas, das du gerne hast, das dir bekannt vorkommt. Sonst wird’s schwierig.

Gibt es Wünsche, die man nicht erfüllen kann?
Anders als die Schweizer lieben die Österreicher und die Deutschen Fleisch zum Frühstück. Wenn es da zu wenig gibt, dann sind sie unzufrieden. 

Könnten die Bayern und Tiroler ihren Speck und ihre Salami nicht selber mitbringen?
Du hast beim Fliegen nur 30 kg zu Verfügung, das brauchst du schon für dein persönliches Gepäck. Manche machen das. Aber eigentlich ist es unsere Aufgabe, unsere Gäste bestmöglich zu füttern. 

«Ob jemand mehr oder weniger Komfort in den 
Bergen haben will, kann sich sicher jeder 
selbst aussuchen.»
Weg vom Essen – was ist eine Expedition?
Wir definieren eine Expedition so: Wenn man fliegt und ein Basislager hat. Ein Trekking wäre, wenn man von A nach B und von C nach D läuft. 

Früher hat man auf einer Expedition Neuland entdeckt. An einem 8000er-Normalweg läuft alles in geordneten Bahnen ab. 
Zu entdecken gibt es immer noch sehr viel, da bin ich ganz anderer Meinung. Die Problematik ist eher, dass die Menschen, die mit uns kommen, das gar nicht möchten. Zumindest im Moment. Auf der Nordseite des K2 haben wir das Shashkam Valley entdeckt, da kannst du mit Kamelen reinreiten, das ist phänomenal. Aber das ist nicht gefragt. Weil es niemand kennt.

Es muss eine Bilderwelt geben, die man kennt? Khumbu-Tal, rechts Ama Dablam, hinten Everest und Lhotse?
Genau. Da weiss man, dass es gut ist, da war der Nachbar vielleicht schon, das ist gefragt. Aber für Neuentdeckungen wirst du Mühe haben, eine ausreichend grosse Gruppe zusammenzustellen. Da geht man mit vier oder fünf Leuten. Das ist nicht direkt ein Verlust, aber verdient hat man sicher nichts daran. Das ist mehr Hobby.

Also ist die Strategie, bekannte Ziele mit Neuentdeckungen zu mischen?
Genau. Wir versuchen zum Beispiel, den relativ einfachen, aber hohen Aconcagua zu pushen, um den Menschen die Angst vor der Höhe zu nehmen. Deshalb vermieten wir auch Dinge wie Expeditionsschuhe, Daunenjacken oder Schlafsäcke. So setzen wir die Hemmschwelle vor den hohen Bergen ein bisschen runter. 

Ist die nicht schon tief genug?
Nein. Ich staune immer noch, wie viele Ängste wegen der Höhe da sind. Ganz klar gibt es einen gewissen Prozentsatz, die sich einen Deut um das kümmern. Die kommen hier durch die Tür und wollen auf den Everest, sind aber im Prinzip nie in die Berge gegangen. Ich will alle Everest-Teilnehmer kennen. Die müssen sich vorstellen, ich telefoniere mit ihnen oder sehe sie, und dann nehme ich sie mit oder nicht. 

Wie entscheidet man? Forderst du einen Tourenbericht an?
Das spürt man. Ich kann das riechen. Wenn du 30 Jahre mit Menschen in den Bergen unterwegs bist – ich kann dir das nicht erklären, aber ich merke, ob jemand zu so etwas fähig ist oder nicht. Er muss nicht unbedingt der Top-Berg­steiger sein, aber teamfähig. 

Du musst auch nicht wissen, auf welchen Bergen er schon war?
Nein. Ich sehe die Person, ich sehe sie gehen, ich sehe sie schwatzen, und ich merke, das funktioniert.

Bist du schon mal falsch gelegen?
Ganz selten. Vielleicht einer unter 30 oder 40. Meistens war es dann aber kein technisches oder konditionelles Pro­blem, sondern dass sich ihre Charakter­eigenschaften verschoben haben. Es gibt übrigens manchmal auch Menschen, die ich mitnehme, obwohl sie für den Berg leicht überfordert oder vielleicht gerade so am Limit sind.

Warum? 
Weil ich sie nett finde, sympathisch, das kann gut vorkommen. Ich bin auch nur ein Mensch, nicht perfekt. 

Für 58’000 Dollar kaufen sich andere ein Auto. Wie kommt es an, wenn man jemanden mitnimmt, der an der Grenze sein wird, der vermutlich nicht hochkommt?
Ich sage allen, wie ihre Chancen auf den Gipfel stehen. 50/50, 40/60, je nachdem. Da bin ich auch schon positiv überrascht worden. Am Schluss entscheide nicht ich, ob sie das Geld ausgeben wollen oder nicht. Wenn du spielst, dann kannst du auch verlieren, dessen muss man sich bewusst sein. 

Was ist deine Aufgabe als Expeditionsleiter?
Den Gast nicht nur auf den Gipfel, sondern ihn auch heil runterzubringen. Das ist meine Aufgabe. Und wenn ich da versage, dann habe ich ein Problem mit mir. Aber nicht, wenn ich ihn nicht hochgebracht habe. Man führt nicht in dem Sinne, wie man hier in den Alpen führt. Man ist Leiter einer Gruppe. Du sagst deinem Gast nicht, wo er seinen Fuss hinsetzen soll und du nimmst ihn nicht ans kurze Seil, wenn es mal etwas eng wird – dafür gibt es Fixseile. Das Führen besteht darin, dass man jemandem sagt: Du musst jetzt runter. 

Was passiert, wenn Leiter und Gast nicht gleicher Meinung sind? 
Dafür gibt es ein Drei-mal-drei, das auf meinen Mist gewachsen ist. Es gibt Zeit, Funkkontakt und Wetter. Drei Punkte, das können sich die Menschen merken. Sind zwei von drei Punkten erfüllt, kann man weiter. Sind zwei von drei nicht erfüllt, muss man runter. Angenommen, das Wetter ist gut, du bist zwar eine Stunde zu spät, hattest aber mit mir Funkkontakt und ich habe gesagt, du darfst weiter, dann darfst du weiter. Wenn du aber zu spät bist und keinen Funkkontakt hattest – dann musst du runter.
Interview mit Bergführer Kari Kobler
Interview mit Bergführer Kari Kobler
Karl Robert «Kari» Kobler
Der 1955 geborene Ostschweizer erlangt 1985das Bergführerdiplom, bereits zwei Jahre später folgt die erste Expedition auf den 6852 Meter hohen Katang im Everest-Gebiet. Zusammen mit Ruedi Kellerhals gründet er in Bern die Firma Kobler & Partner, die Bergreisen und Expeditionen in alle Gebirge der Welt durchführt.
Und damit ist bisher alles glattgegangen?
Nein, durchaus nicht. 2008 gab es einen Todesfall am Everest in unserer Gruppe. Es waren verschiedene Gründe. Er wollte ohne Sauerstoff gehen, es war eine gewisse «Um jeden Preis»-Stimmung. Und wenn du Medikamente nimmst bei so einer Expedition, dann ist der Tank irgendwann leer. 

Die Medikamente überdecken, wie schwach man ist?
Genau. Wenn man Auto fährt, ohne zu tanken, fährst du irgendwann auf Reserve. Die kann man anzapfen, aber irgendwann steht der Motor still. Das Leben ist lebensgefährlich, das darf man nicht wegschwatzen. Wenn dein Glück aufgebraucht ist, dann ist es weg. Ich hatte auch ein paar Mal Glück.

Wann? 
Mich hat‘s mal an der Jungfrau runtergehauen. Kein Stand, keine Zwischensicherung, das Seil hat sich in einem Riss verhängt, und das hat mir, oder uns, das Leben gerettet. Am Kun Peak könnte ich genauso gut mit der Lawine runtergesaust sein. Es gab schon ein paar glückliche Zufälle. Am K2 hatte ich einmal von Anfang an Angst. Richtig Angst, nicht nur Respekt. Nach drei Wochen am Berg: immer noch Angst. Am Gipfeltag sind wir los, und auf einmal hab‘ ich gewusst: Ich gehe keinen Meter mehr. Zurück in Lager 4 sehen wir, wie jemand unangeseilt die Querung macht. Er fällt runter und ist tot. Unten im Basislager suche ich nach meinem Xi-Stein, den ich davor wohl fünfzehn Jahre getragen habe. Die Tibeter sagen, wenn du so einen Stein hast, schenkt er dir ein Leben. Er war weg.

Wie oft warst du am Everest?
Siebzehn Mal, davon sechs Mal oben. Beim Rest aber auch oft über 8300 Metern.

Warum geht man immer wieder an denselben Berg?
Ich hab‘ Freude am Bergsteigen, das ist mein Lebenselixier. Und mir ist es egal, ob es das Rauflihorn, der K2 oder der Everest ist. Ich reise seit 40 Jahren und ich freue mich wie ein kleiner Junge, morgen nach Argentinien fliegen zu können. Ich frage mich schon manchmal, ob ich eine Macke habe. Aber wenn, dann tut sie nicht weh. Ich hab‘ gerne Kontakt mit den Menschen und streite mich gerne mit ihnen. Meine besten Freunde habe ich beim Bergsteigen getroffen. Am Berg müssen die Menschen die Hosen runterlassen, und dann siehst du ihr wahres Gesicht.
Interview mit Bergführer Kari Kobler
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Interview mit Bergführer Kari Kobler
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Apropos wahres Gesicht: Viele Beobachter sprechen vom Sittenverfall an den hohen Bergen. Was nimmst du davon wahr?
Dummes Zeug. Es geht ja vermutlich darum, dass an der Everest-Nordseite ein Puff sein soll? 

Ich dachte eher an Dinge wie Egoismus, fehlende Hilfsbereitschaft ...
Achso! Da ist die Frage eher: Darf man helfen? Denn man riskiert ja auch das eigene Leben. Da muss man jeden Fall einzeln beurteilen. Pauschal nicht zu helfen, weil die Kultur da oben ohnehin kaputt ist, wie manche sagen, ist Unsinn. Das sind alles Bergsteiger, alles Menschen. Da gibt es immer Auswüchse und immer schwarze Schafe. 

Gute Gelegenheit, die Auswüchse mal zu überprüfen. Nummer eins: Am Everest versuchen sich Leute, die nicht mal Steigeisen anlegen können. 
Gibt’s. Tatsächlich. Ich habe es damals selber gesehen. Das war eine Dame, die hat die Steigeisen mit den Zacken zu den Schuhen angezogen. Ihr Expeditionsleiter, Russell Brice, hat sie sofort nach Hause geschickt.

Warum geht man mit einem Eve­rest-Aspiranten nicht zumindest eine Stunde zusammen vom Jungfrau- zum Mönchsjoch?
Gute Frage. Gegenfrage: Warum liegt es an uns, sie zu überprüfen, ob sie es können oder nicht? Es liegt doch in der Eigenverantwortung des Menschen, sich so vorzubereiten, dass er das kann. 

Weil solche Härtefälle den ehrlichen Gästen im Weg stehen, sie durch Fehlverhalten sogar in Gefahr bringen?
Das hat aber nichts mit ihren technischen Fähigkeiten zu tun. Das sind dann eher, ich sag mal, Charakterschweine. Ein gutes Team ist sowas von wichtig. Es gibt Menschen, die vielleicht am Limit laufen, aber eminent wichtig für die Gruppe sind. Auf Expedition kann sich eine Gruppe gegenseitig unglaublich hochschaukeln, zu Leistungen, zu denen die Mitglieder einzeln nicht fähig wären. Das sind Effekte, die kann man nicht erklären. Dieses Jahr am Everest – ein absolutes Hammerteam. Wir waren die letzten, die hochgegangen sind. Nicht einmal kam die Frage an mich, warum wir nicht gehen.
«Die Menschen bezahlen ja nicht 58'000 Dollar, um dann Dünnpfiff zu bekommen.»
Das klingt nach Friede, Freude, Eierkuchen, selbst ohne Gipfel.
Klar sind die Gäste enttäuscht, wenn sie nicht oben waren. Auch schon, wenn ich sagen muss, du darfst bis Lager 2 und nicht weiter. Es gibt auch Frust. Wir waren im Jahr des Erdbebens am Everest, auf der Nordseite. Man sitzt auf 6400 Metern, die ganze Erde rüttelt wie blöde. Über uns ist ein 1000 Meter hoher Felsberg, aber kein Stein kommt runter, alle leben noch. Alle kommen heil nach Hause. Aber einer verklagt mich: Er war nicht oben, er will sein Geld zurück.

Auswuchs Nummer zwei: Sicherheit wird nicht mehr grossgeschrieben am Everest.
Das ist so. Nicht nur am Everest. Es ist ganz einfach: Je billiger, desto weniger Sicherheit. Und weniger Komfort. Der Trend verstärkt sich. Vielleicht hat es mit der «Geiz ist geil»-Mentalität zu tun. Man geht mit den Billigen, es ist ja derselbe Gipfel. Aber diese Anbieter bringen viel weniger Gäste auf den Gipfel. Weil die Unterstützung schlecht ist, weil die Gäste Dünnpfiff bekommen. Wenn du da mal schaust, wie in manchen Basislagern gekocht wird, das ist wie vor 30 Jahren. Die kochen auf Steinen. Dabei sind die Leute ja empfindlicher geworden.

Inwiefern?
Die Menschen haben weniger Abwehrkräfte. Das ist ganz logisch. Wir leben hier relativ gesund, es gibt wenig Keime. Als Bauernbuben sind wir noch mit den Füssen im Kuhdreck gestanden, damit sie warm werden. Mein Körper hat vermutlich eine Resistenz. Aber wie heute gekocht wird, das ist unglaublich. Mehr Hygiene würde nicht mal viel kosten: Nur einen Tisch aus Metall hinstellen, mit möglichst wenig Poren. Aber vergiss es. Und die Billiganbieter kaufen auch billig ein. Wie der Sauerstoff heute teilweise abgefüllt wird ...

Bleiben die Flaschen halb leer?
Nein, aber die Reinlichkeit beim Sauerstoff kann ja auch ein Problem sein. Ich könnte dir Bilder zeigen von unserem Basislager, das ist eine Küche wie hier. Die Menschen bezahlen ja nicht 58'000 Dollar, um dann Dünnpfiff zu bekommen. Den darf es auch nicht geben, denn dann kannst du einpacken. Erkältung oder Dünnpfiff – in der Höhe dauert es zu lange, bis man sich davon erholt.
Interview mit Bergführer Kari Kobler
Interview mit Bergführer Kari Kobler
oder B ?

Anden oder Alpen?
Anden! Nein. Immer noch Alpen. Alpen. Umentschieden,
weil sie eine grössere und interessantere Spielwiese sind.

MTB oder Rennrad?
MTB.

Mit Sauerstoff oder ohne?
Beides.

Bern oder Zürich?
Bern!

Wein oder Bier?
Wein.

Beatles oder Rolling Stones?
Beide. Das ist meine Wellenlänge.

Chicken oder Pasta?
Pasta.

Sportklettern oder Bergsteigen?
Bergsteigen.

Aspirin oder Diamox?
Keines.

K2 oder Everest!
K2.
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Auswuchs Nummer drei: Diebstähle aus Hochlagern ...
Entschuldigung, aber Diebstähle gibt es auch hier in Bern. Mein Haus in Mendoza wurde aufgebrochen, wohl von blutjungen Anfängern. Geklaut haben sie meine Bettdecke, einen Bildschirm und Wein. Da muss ich schmunzeln. Ich bin kein blauäugiger Mensch. Ich denke nicht, die Menschen seien nicht falsch, könnten mich nicht betrügen. Ganz klar gibt’s das. Aber geklaut wird, seit es die Mensch­heit gibt. Das ist kein Sittenverfall. 

Wenn der Mensch gleich bleibt, was hat sich im Expeditionsbergsteigen dann verändert?
Was sich verändert, ist die Kultur der Sherpas. Die wollen mehr, was nachvollziehbar ist. Sie kommen hierher, sehen, dass es uns gut geht, dass es sauber ist, und dann kommen sie wieder in diesen Kathmandu-Dreck, mit Korruption bis zum geht nicht mehr. Klar, dass sie gerne was anderes hätten. Schwache Charaktere gehen eben den einfachen Weg und klauen ein paar Sauerstoff­flaschen. Da ist unsere Aufgabe, das so fair wie möglich zu verhindern: Ich sage, Jungs, hier sind 150 Sauerstoffflaschen, für die seid ihr verantwortlich. Wenn ihnen eine ausrutscht und wegsaust, dann ist das kein Thema. Wenn sie aber eine aus Faulheit liegenlassen, dann ist das ihr Bier. Nicht meins. 

Sind das auch die Geister, die man selber gerufen hat?
Ja klar, aber jetzt rumzujammern, ist weder das Ziel noch die Lösung. Wir müssen schauen, wie wir das in den Griff bekommen. 

Wie?
Mit Bildung. Man muss ihnen eine Chance geben. Ein Sherpa kommt auch nach Argentinien mit. Sie brauchen Möglichkeiten, ihr Leben zu verändern. Sie wären ja dumm, wenn sie mich beklauen würden. Und sie schützen mich schon. Ein Sherpa sagte mir: «You know Charly, when you get very old, we will watch for you.» Ich meine – sowas Süsses! 

Und dass im Khumbu-Tal im April links und rechts die Flachbildfernseher von den Yaks baumeln, die auf dem Weg ins Everest-Basecamp sind, gehört dazu?
Du läufst ja auch nicht mehr mit deinem blöden Nokia rum, sondern mit einem iPhone. Wobei ich da sagen muss: Ich habe zehn Gebote. Ein neues Gebot 10a wird werden: Während dem Frühstück, Mittag- und Nachtessen bitte kein Smartphone. Wenn du zwei Monate zusammen bist, gibt es auch andere Sachen. Jedenfalls: Unsere Anspruchshaltung mit der Everest-Region ist, dass es dort so sein muss wie früher. Vergiss es. Die wollen auch Strassen! Die wollen auch mal fernsehen! Und sie haben das Gefühl: Die Westler haben das zu Hause, also müssen wir ihnen das geben. Lass sie ihre Fehler machen. Die machen ja nichts Böses. Und zum Schluss noch: Mir ist lieber, die Menschen gehen zum Bergsteigen, als dass sie sich die Köpfe einschlagen. Ob jemand etwas mehr oder weniger Komfort in den Bergen haben will, kann sich sicher jeder selbst aussuchen.