Die Gretchenfrage beim Kauf eines neuen Velos heisst längst nicht mehr nur Biobike oder E-MTB? Wenn die Wahl auf ein E-MTB fällt, stellt sich gleich die nächste Frage: Light-Antrieb mit reduziertem Schub oder Turbo-Power und hohe Reichweite? Keine leichte Wahl – denn beide Konzepte funktionieren vorzüglich.
Alle Details werden genauestens unter die Lupe genommen
Die Welt wird komplexer. Auch für E-Biker. Noch vor fünf Jahren war das Gros der E-MTBs mit Bosch- oder Shimano-Antrieben ausgestattet – die Unterschiede in Leistung und Abstimmung war eher marginal. Inzwischen versuchen immer mehr Antriebsanbieter, sich ein grosses Stück vom E-Bike-Kuchen abzuschneiden: BH, Fazua, TQ, Maxon suchen mit Light-Antrieben den Erfolg, also in einer Nische, die längst keine Nische mehr ist. Das Angebot an E-MTBs mit kompakten, leichten Motoren wächst, und damit auch die Nachfrage. Auch wenn die Light-Antriebe weniger kräftig anschieben, spielt das deutlich geringere Gesamtgewicht von Antriebseinheit und Akku für viele E-Biker eine wichtige Rolle. Das spiegelt nicht zuletzt auch die jüngste Neuheitenpräsentation von Bosch wider. Im Frühsommer haben die Schwaben mit dem Bosch Performance Line SX ebenfalls einen Light-Antrieb gelauncht.
Fette Unterschiede beim Gewicht
8,5 Kilogramm – so gross ist der Gewichtsunterschied zwischen dem leichtesten E-MTB im BORN-Test, namentlich dem BMC Fourstroke AMP LT LTD, und dem Simplon Rapcon Pmax CX als schwerstem Vertreter seiner Gattung. Sicher ist dies ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen. Denn den Unterschied von zwei E-MTB-Klassen allein auf das Gewicht zu reduzieren, wird den Fahreigenschaften beider Systeme nicht gerecht. Dennoch: Die Zahl 8,5 ist ein Pfund, und kann als ein gewichtiges Argument für oder gegen die eine oder andere E-MTB-Klasse herhalten. Für jedes dieser Konzepte finden sich überzeugte Befürworter und Gegner. Gerade kleinere und leichtgewichtige Fahrer und vor allem Fahrerinnen sympathisieren gerne mit Light-Antrieben. Denn die Rechnung ist einfach: Weniger Gewicht bedeutet müheloseres Handling. Fahrtechnisch weniger Versierte haben oft mehr Vertrauen in leichtere Bikes, da sie sich mit weniger Kraftaufwand beherrschen lassen. Das Bike lässt sich leichter lenken, die Linie leichter korrigieren als mit einem 25-Kilo-Boliden – ganz zu schweigen vom Verladen, von Tragepassagen oder Weidegattern, über die das motorisierte Velo gehievt werden will. Zudem kann man Light-E-MTBs auch gut mal ohne Motor treten – in Flachpassagen zum Energiesparen oder wenn der Akku doch mal leer ist.
Andererseits kann Gewicht auch ein Vorteil sein. Versierte und kräftige Fahrer loben den «Moped-Effekt». Durch das hohe Gewicht liegen E-MTBs mit herkömmlichen Antrieben sehr satt auf dem Trail. Gepaart mit einem gut abgestimmten Fahrwerk mit viel Federweg – wie zum Beispiel beim Simplon Rapcon oder dem Ibis Oso – fühlt sich ein Ritt auf herausfordernden Trails beinahe an, als sei man mit einem Enduro-Motorrad unterwegs. Der Test auf den deftigen Pisten der Dolomiti Paganella Bike Region hat wieder einmal gezeigt, dass Enduro-E-MTBs mit mehr Antriebs-Power auch deutlich potentere Fahrwerke bieten – und damit einen Fahrspass ermöglichen, der mit Light-E-MTBs bislang kaum zu erreichen ist. Für Bikeparks und beim Ausloten der Grenzen haben elektrische «Full Power» Enduros gewichtige Argumente auf ihrer Seite.
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Antriebs-Power und Reichweite
Neben dem Gewicht dokumentieren die Motor-Power und die Akku-Leistung den Klassenunterschied am eindrucksvollsten. In Sachen Unterstützung und Reichweite sind herkömmliche E-MTB-Antriebe klar im Vorteil. Die mit Bosch Performance CX und Shimano EP 801 Motoren ausgerüsteten Bikes im Test, also das Ibis Oso, das Simplon Rapcon, das Trek Rail und das BH iLynx+ Enduro Pro 9.9, verfügen jeweils über ein maximales Drehmoment von 85 Nm. Die mit Abstand kräftigste Beschleunigung bietet das mit dem Bosch CX Race Motor ausgerüstete Simplon Rapcon. Allerdings erfordert ein Ritt im Race-Modus auf verwinkelten Trails auch einen sensiblen, reaktionsschnellen Umgang mit Pedalen, Lenker und Bremsen. Dem gegenüber unterstützt in den Downcountry- und Trail-Modellen BMC Fourstroke AMP LT LTD und Scott Lumen eRide 900 jeweils ein TQ HPR 50 Motor den Vortrieb – mit maximal 50 Newtonmetern Drehmoment. Statt sich selbst bequem im Turbo-Modus nach oben zu shuttlen, heisst es da: mehr treten, mehr schwitzen. Als Belohnung dafür gibt es ein Bike-Handling, das sich fast so mühelos anfühlt wie das eines Bio-Bikes.
In puncto Akku-Kapazität bieten die Light-E-MTBs mit TQ Antrieb (360 Wattstunden) nur rund die Hälfte dessen, was die Bikes mit Bosch- (750 Wh) und Shimano-Motor (720 Wh) liefern. Doch davon sollte man sich nicht schocken lassen. Die Reichweite dieser Bikes ist somit zwar geringer als mit Bikes, die grosse Akkus bereithalten. Im Gegenzug benötigen die schwächeren Motoren aber auch weniger Energie, was den Nachteil reduziert. Zudem lässt sich bei diesem Bike-Konzept die Reichweite dank optionaler Range-Extender fühlbar vergrössern. Dieses Konzept hält nun auch bei «Full Power» E-MTBs Einzug: So liefert der Hauptakku des BH iLynx+ Enduro Pro 9.9 oftmals völlig ausreichende 540 Wh, bei Bedarf fügt der serienmässig mitgelieferte Extender dem weitere 180 Wh hinzu. Macht unterm Strich 20,4 Kilogramm ohne Extender und 21,4 mit. Damit liegt das iLynx+ auch gewichtsmässig in der goldenen Mitte – für ein E-Enduro mit Stahlfederdämpfer ist das mehr als respektabel. Auch das Enduro Simplon Rapcon lässt sich – zumindest theoretisch – mit einem zusätzlichen externen Akku in einen Langstreckenbomber mit satten 1000 Wh Akku-Kapazität verwandeln. Allerdings liegt das Gewicht dann auch weit über der 25-Kilo-Schallmauer, und dann jenseits des Praktikablen.
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Was geht beim Klettern?
Wenn es um die Kletterfähigkeiten von Light-E-MTBs und E-MTBs mit herkömmlichen Antrieben geht, finden sich bei beiden Konzepten Licht und Schatten. Ordentlich Pluspunkte sammeln die Standard-Antriebe von Shimano und Bosch, wobei der noch recht neue Bosch CX Race nochmals eine Extraportion Schub liefert. Gerade auf sehr steilen und ruppigen Uphill-Passagen gibt es kaum Alternativen zu der kräftigen und gut dosierbaren Unterstützung der «ausgewachsenen» Motoren. Das mühelosere Handling der mit Light-Antrieben ausgestatteten Bikes erkauft man sich nach heutigem Stand der Technik mit deutlich mehr Mühe im Uphill. Noch also muss man sich entscheiden, welchen Tod man sterben will.
Akustik – leise Töne mit light-Motor
Ganz klar die Nase vorn hat der Light-Antrieb von TQ bei den Fahrgeräuschen. Einleuchtend, schliesslich röhrt ein fetter V8-Motor in einem Muscle Car auch lauter als der Antrieb einer kompakten Familienkutsche. Was TQ mit dem im Motor verbauten Harmonic Pin Ring Getriebe geschafft hat, ist trotzdem imponierend. Der Motor summt beinahe unmerklich. Dessen Betriebsgeräusche gehen im Knirschen des Schotters und dem Holpern der Reifen über Wurzelteppiche so gut wie unter. So geht ein TQ-Bike nicht nur optisch, sondern auch akustisch leicht als Bio-Bike durch. Lässt man das Gewicht beiseite, sind Enduro-E-MTBs im Vergleich zu Light-E-MTBs sicher die besseren Allrounder. Damit lassen sich bergauf wie bergab herausforderndere Strecken bewältigen. Gleichzeitig funktionieren diese Power-Bikes aber auch bestens auf entspannten Bike-Touren. Der optimale Einsatzbereich von Light-E-MTBs dagegen liegt eher bei flowigen Trails, leicht welligem Terrain und sportiven Einsätzen mit höherem Eigenanteil am Vortrieb.
Suche nach dem perfekten Allrounder
Deutlich geringer als bei den E-MTBs fallen die Gewichtsunterschiede der getesteten Bio-Bikes ohne E-Antrieb aus. Im Testfeld: Trail- und Enduro-Bikes. Wie sehr die beiden Kategorien inzwischen miteinander verschmelzen, demonstriert eindrucksvoll das Rocky Mountain Instinct Carbon 50. Das Trail-Bike der Schmiede von der kanadischen Westküste basiert auf dem gleichen Rahmen wie das Enduro-Modell Altitude aus gleichem Hause, welches aber 20 Millimeter mehr an Federweg mitbringt als unser Testbike. Entsprechend nähern sich die Kategorien nicht nur beim Gewicht an. Auch bei den Fahreigenschaften ist der Übergang fliessend. Hier ist ein klarer Trend erkennbar, nämlich die Suche nach einem optimalen Kompromiss aus guten Uphill-Qualitäten und starker Downhill-Performance. Der Schlüssel sind effiziente Fahrwerke, die die Kraft aus den Beinen gut in Vortrieb umsetzen und bergab den Federweg gut ausnutzen. Einen ähnlichen Weg wie Rocky Mountain geht Orbea mit dem Occam M10 LT, das den gleichen Rahmen nutzt wie das herkömmliche Occam mit 150 Millimetern Federweg aber 10 Millimeter mehr an Reserven bietet. Gleichzeitig beeindruckt die LT-Version mit immer noch sehr ordentlichem Vortrieb bergauf. Deutlich mehr Ausdauer und Kraft bergauf erfordern stark abfahrtsorientierte Enduros wie das Yeti SB 165. Zwar kosten solche Bikes mittlerweile auch bergauf weniger Schweiss als früher. Doch mit 15,8 Kilogramm ist das SB 165 schon fast so schwer wie die Light-E-MTBs im Test. Allerdings bietet das Yeti mit 180 Millimetern Federweg an der Gabel und 165 am Heck auch massig Heizreserven für wilde Ritte in rauem Terrain.
Testablauf
Das Testteam bestand aus unterschiedlichen Fahrertypen (Enduro- und Tourenfahrer). Vor jeder Fahrt wurden die Fahrwerke individuell auf jeden Fahrer abgestimmt. Nach jeder der ausgedehnten Runden hielt jeder Tester seine Eindrücke in einem Testbogen schriftlich fest. Nach den Testfahrten wurden die Ergebnisse im Plenum diskutiert und analysiert. Im Mittelpunkt stand weniger der Vergleich der Modelle untereinander. Ziel ist vielmehr, eine möglichst treffende, individuelle Analyse der Fahreigenschaften jedes Bikes herauszuarbeiten.
Die getesteten Bikes
Die getesteten E-Bikes