Die wollen bloss laufen: Hundeschlitten Abenteuer in Lappland
Die wollen bloss laufen: Hundeschlitten Abenteuer in Lappland
 Datum: 15.11.2017  Text: Mirjam Milad  Fotos: Angelo Brack 

Die wollen bloss laufen! – Hundeschlitten Abenteuer in Lappland

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Die wollen bloss laufen! – Hundeschlitten Abenteuer in Lappland
Einmal Hundeschlitten fahren – der Traum vieler Outdoorer. Seine Erfüllung liegt weniger als vier Flugstunden von Zürich entfernt, im Norden Schwedens. Weisse Weiten, verschneite Wälder, gefrorene Flüsse und unter dem Schnee verborgene Seen: Rund um die Ortschaft Sorsele wartet eine wildschöne Winterlandschaft auf ihre Entdeckung. Und eine ganze Horde Schlittenhunde darauf, zu laufen!
Neununddreissig Schlittenhunde bellen und jaulen um die Wette, springen vor ihren Hütten auf und ab und kratzen ungeduldig mit den Pfoten im Schnee. Sie machen Rabatz wie Teenies auf einem Popkonzert – als erhöhe sich dadurch ihre Chance, augenblicklich auf die «Bühne» zu dürfen. Ihre Bühne ist das winterliche Lappland: verschneite Wälder und zugefrorene Flüsse. Die Auswahl ist natürlich längst getroffen: Namak, Yepa, Nova, Silas und Lui werden meinen Schlitten ziehen. Als ich Namak am Halsband vom Zwinger herüberführe, reisst er mich fast von den Füssen. Zügig lege ich ihm das Geschirr an und hole Yepa. Die Hunde toben vor dem Schlitten weiter, ziehen und zerren an den Leinen. Sie wollen nur eines: laufen. Ihre Aufregung erhöht meine eigene: Schon als Kind hatte ich sehnsüchtig Jack Londons «Wolfsblut» verschlungen und davon geträumt, einmal selbst einen Hundeschlitten zu fahren. Jetzt ist es endlich so weit! Wir verstauen die Anker – Stahlkrallen, die sich tief in den Schnee ziehen und verhindern, dass die Tiere mit dem Schlitten durchbrennen. Noch stehen wir mit unserem ganzen Gewicht auf der Bremsmatte zwischen den Kufen, dann geben wir sie langsam frei: Blitzartig jagen die Hunde den Hang hinab und in die erste Kurve. Matthias’ Worte klingen mir noch im Ohr: «Davor leicht bremsen.» Schon sind Yepa und Namak in der Kurve. «Bremse lösen, damit der Schlitten folgen kann.» Das Gefährt neigt sich zur Seite, ich halte unwillkürlich die Luft an und versuche, die Balance zu halten. «Bloss nicht umkippen», denke ich. Aber dann sind wir auch schon auf dem Vindelälven, dem breiten, zugefrorenen Fluss. Durchatmen! Und laufen lassen.
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Von der Schweiz nach Schweden

Matthias Schnyder ist unser Gastgeber und Herr der Hunde. Vor neun Jahren zogen er, seine Frau Barblina und die Kinder von der Schweiz in die nordschwedische Gemeinde Sorsele. Zweitausendfünfhundert Menschen leben hier – gerade mal 0,3 pro Quadratkilometer. Wäre es nach Matthias gegangen, wären sie nach Kanada ausgewandert, wo er für einige Jahre als Wildnisführer am Yukon arbeitete. Doch das war Barblina zu weit weg, zu einsam. Matthias begann daher bei Transa in der Schweiz, leitete erst die Filiale in Luzern und war dann für die Schulung der Mitarbeiter verantwortlich. Der Gedanke, sich mit Schlittenhunden selbstständig zu machen, liess ihn aber nicht mehr los. «Schweden lag eigentlich auf der Hand», sagt Matthias. Dafür konnte sich auch Barblina begeistern.

Entspannt, aber zügig, geht es auf der verschneiten Eisfläche voran. Matthias führt unsere fünfköpfige Gruppe an – ausser mir sind noch Gerald und Annett dabei, ein Paar aus Deutschland, das den Winter über bei den Schnyders mithilft, sowie Angelo und Carmen aus der Schweiz. Als wir vom Fluss abbiegen, wird das Gelände zunehmend steiler. Immer häufiger helfen wir mit, holen in der Fahrt mit einem Bein Schwung oder laufen zwischen den langen Schlittenkufen mit. Stück für Stück arbeiten wir uns so den Berg hinauf und geraten unter unseren dicken Parkas ordentlich ins Schwitzen. Doch die Mühe lohnt: Oben erwartet uns eine weite, einsame Hochebene, hier und da stehen schmale Fichten, mal vereinzelt, mal zu kleinen Wäldern zusammengeschlossen. Tief unter dem Schnee verborgen schlummern Seen. Schöner liesse es sich kaum erträumen. Obwohl die Sonne scheint, zwingt uns ein kalter Wind, die Kapuzen tief ins Gesicht zu ziehen. Plötzlich bremst Matthias und deutet auf frische, handgrosse Spuren im Schnee. «Ein Vielfrass», erklärt er. Die kleinen, kräftigen Raubtiere halten keine Winterruhe, sondern durchstreifen weiter ihr einige Hundert Quadratkilometer grosses Revier. Zu Gesicht bekommt man sie nur selten.

Rast in der Sonne

Später. Mein Zeitgefühl hat sich schon lange verabschiedet, doch der immer stärker knurrende Magen legt eine Rast ans Herz. Bevor wir unseren Hunger stillen, bedanken wir uns bei den Hunden mit ausgiebigen Streicheleinheiten. Auch wenn sie Wölfen ähneln: Huskys sind sehr sanftmütige, menschenfreundliche Hunde – und unglaublich verschmust. Schon schmiegt Yepa ihren Kopf an meine Jacke, schiebt ihre Schnauze am Kragen empor und schleckt mir einmal quer über das Gesicht. Während wir auf Rentierfellen in der Sonne sitzend unsere mitgebrachten Brote verzehren, rollen sich die Tiere zum Dösen im Schnee zusammen. Bloss Juri heult ohne Unterlass. «Juuuuri!», ruft Matthias beruhigend herüber. Doch der schwarz-weisse Rüde gibt keine Ruhe. Schliesslich steht Matthias auf, löst ihn vom Schlitten und führt ihn zu unserem Sitzplatz. Sofort lässt sich der Halunke fallen und dreht sich auffordernd auf den Rücken. Matthias krault ihn am Bauch – und Juri schweigt und geniesst. Nur ein seliges Brummen ist ab und zu von ihm zu hören.

Am Nachmittag geht es merklich bergab. Die Schlitten gleiten mühelos dahin, die Hunde preschen voran. Immer dichter stehen jetzt die Bäume, tief beastete Fichten säumen unsere Spur. Links, rechts, leicht bremsen, wieder laufen lassen: Hochkonzentriert manövrieren wir die Schlitten durch die engen Kehren. Dann lichtet sich der Wald: Silbrig-weisse Birken «mustern» uns aus dunklen «Augen», ausgeprägten Astnarben. Sonnenstrahlen fallen durch die winterkahlen Kronen und bringen die Schneekristalle am Boden zum Funkeln. Viel zu schnell ist die Fahrt durch diesen «Zauberwald» zu Ende: Vor uns liegt ein zugefrorener Fluss, der Laisälven. An seinem Ufer steht ein Tipi – unser Tagesziel.
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Schlittenhunde
Vermutlich wurden Hunde erstmals im nördlichen Sibirien von Nomadenvölkern als Zugtiere eingesetzt. Heute gibt es mehrere Schlittenhunderassen und -typen, wie die relativ kleinen Siberian Huskys, die grossen Alaskan Malamutes, die kräftigen Grönlandhunde oder die zähen Alaskan Huskys. Allen gemeinsam ist ihr freundliches Wesen und ein ausgeprägter Laufwille. Gut trainierte Schlittenhunde sind sehr leistungsstark, können unter extremen Klimabedingungen lange Strecken laufen – bis zu 200 km innerhalb eines Tages – und das Neunfache ihres Eigengewichts ziehen. 

Die Hunde sind optimal an Kälte angepasst. Die Pfoten sind klein und kompakt, wodurch der Wärmeverlust verringert wird. Ihr Fell setzt sich aus zwei Schichten zusammen: aus feiner Unterwolle, die bei Bewegung Wärme aufbaut, und aus robustem, wasserabweisendem Deckhaar, das verhindert, dass die Wärme verloren geht. Der buschige Schwanz des Huskys enthält dagegen (fast) keine Unterwolle. So bekommt der Hund auch dann ausreichend Luft, wenn er sich im Schnee zusammenrollt und seine Nase unter der Rute versteckt; Schneeflocken werden abgehalten, die Atemluft wird leicht vorgewärmt.
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Waffeln und Geschichten

Im Inneren des Zelts verbirgt sich nicht nur ein kleiner Holzofen, sondern auch eine Säge, mit der wir abgestorbenes Holz aus dem Wald zurechtkürzen. Es reicht auch noch für ein üppiges Lagerfeuer, über dem wir an Stecken Würstchen grillen. Unterdessen ruhen die Huskys in einiger Entfernung angeleint zwischen den Bäumen. Auf einmal schlagen sie Lärm: Über den Fluss nähert sich ein Mann auf Ski, gezogen von zwei Hunden. «Fredrik!», klärt uns Matthias auf. Fredrik ist ein Freund und der Eigentümer des Tipis. Er begrüsst uns herzlich. Gemeinsam mit seiner Frau lebt er rund anderthalb Kilometer flussabwärts. «Als wir von Südschweden herzogen, drückte mir meine nächste Nachbarin, eine alte Dame, vor Freude einen Kuss auf die Wange!», erzählt er. Weil sie seit 1930 die Ersten waren, die sich wieder hier niederliessen. Kurz darauf zaubert Fredrik ein Waffeleisen aus seinem Rucksack hervor – ein schweres, gusseisernes, das man ins Feuer stellt. Er rührt Teig an und startet einen Versuch. «Die erste geht immer schief», erklärt er mit einem resignierten Blick auf das unförmige Gebilde, das er aus dem Eisen kratzt. Erst der dritte Anlauf überzeugt ihn. Von da an sorgt er für stetigen Nachschub, bis kein Tropfen Teig mehr übrig ist. Bevor er sich verabschiedet, zeigt uns Fredrik sein wichtigstes Buch: einen Almanach, einen astronomischen Kalender. «Im Winter, wenn die Tage nur wenige Stunden dauern, sind die Mondzeiten besonders wichtig», sagt er. Bei Vollmond werde die Nacht zum zweiten Tag. Dann gehe er einfach im Mondlicht auf Skitour. Verschmitzt fügt er hinzu: «Und wenn man bei schlechtem Wetter einsam im Zelt liegt, findet man im Almanach auch noch mehr oder weniger unterhaltsame Statistiken zu Schweden und dem Königshaus.»

Eine kalte Nacht

Wir sitzen noch eine Weile vor dem Zelt und starren in die knisternden Flammen des Feuers. Erst als es ganz heruntergebrannt ist und uns die Kälte wie ein eisiges Tuch umgibt, verkriechen wir uns ins Tipi. Auf Rentierfellen und in dicke Schlafsäcke gepackt liegen wir um den kleinen Ofen, der eine luxuriöse Wärme ausstrahlt. Von den Wänden drückt die Kälte dennoch spürbar herein, in der Nacht fallen die Temperaturen auf 20 Grad unter den Gefrierpunkt. Irgendwann schlafen wir trotzdem ein. In meinen Träumen fahre ich weiter durch die weisse Weite, das Bellen der Hunde begleitet den Schlitten wie Glockengeläut ... Auch als ich aufwache, ist das Gebell immer noch zu hören. Ich träume nicht. Der Morgen ist da. Und die Huskys wollen ..., na was wohl? Laufen!
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