Zu Besuch beim Wildnis-Philosophen Martin Epp
LOGISCH DENKEN!
Bergführer, Erstbesteiger, Survival-Instruktor – mit 60 Jahren ist Martin Epp aus dem Urner Land ins Yukon Territory im Norden Kanadas ausgewandert. Auch jetzt, im reifen Alter von 80, fühlt er sich nirgends mehr zu Hause als im Busch. Ein Nachmittag bei einem bemerkenswerten Wildnis-Lehrer.
Martin Epp klickt sich durch die Fotoalben auf seinem Computer. An einem Bild bleibt er hängen: Ein Zelt aus hellem Segeltuch in weisser Winterlandschaft. «Drüben im Yukon Territory haben wir bis zu minus 30, minus 40 Grad im Winter», erzählt er. Früher sei er im Winter immer zurück in die Schweiz. Doch seit ein paar Jahren finden er und seine Frau Pia das Wintercamping in der kanadischen Wildnis «eigentlich noch viel schöner als im Sommer oder Herbst». Wenn die Kälte knackt, sorgt drinnen im Zelt ein spartanischer Holzofen für ein bisschen Wärme.
Nächstes Foto: Sommer. Martin posiert in Gummistiefeln mit einem kapitalen Lachs, fast so lang wie die Beine des Outdoor-Enthusiasten. Fischen im Yukon, das bedeutet für Martin nicht ein paar Stunden Würmerbaden, sondern mehrtägige Abenteuer mit dem Kanu in der Wildnis. «An den Ufern gibt es herrliche Sandbänke zum Campieren. Mal bin ich alleine unterwegs, mal mit Gästen. Wenn jemand Angst hat wegen der Bären, schlage ich das Lager auf einer Insel auf.» Und schelmisch grinsend flüstert er: «Die Bären können auch rüberschwimmen, aber die Leute haben dann halt weniger Angst.» Dann werden seine Gesichtszüge wieder ernster, und er rät: «Man sollte nicht mit kleinen Zelten in die Wildnis gehen. Die Bären machen einen kaputt dort drin. Vor grossen Zelten haben sie Respekt.»
Klick, nächstes Bild: eine Elchkuh. Klick! Ein Elchbulle. «Bis zu 800 Kilo wiegen die. Wenn ich einen schiesse, habe ich ganz schön zu tragen.» Beim folgenden Bild erklärt Martin, wie er das Tier zerlegt und das Fleisch im sechs Grad kühlen Erdkeller seines Blockhauses eine Woche lang abhängt, dann portioniert und schliesslich einfriert. Klick! Ein Weisskopfseeadler. Klick! Ein junger Bär. Klick! Ein ausgewachsener Grizzly. Klick! Eine alte Trapper-Hütte, Gewehre, ein Lagerfeuer, darauf ein verbeulter Topf, verrusst, wie aus einem Westernfilm.
Die Bilder, die Martin Epp zeigt, die Unternehmungen, von denen er erzählt, sein federnder Gang, mit dem er gerade zuvor den Weg hinter seinem Holzhaus heruntergekommen ist, liessen leicht auf einen Typ vom Schlage eines Bear Grylls schliessen. Wettergegerbtes Gesicht, durchtrainiert, um die 40. Doch Martin könnte gut und gerne der Vater von Abenteurern der Generation Grylls sein. Er ist doppelt so alt. Die markanten Falten in seinem Gesicht erzählen Geschichten, die nur ein langes, erfülltes Leben schreibt. Martin ist 80!
Nächstes Foto: Sommer. Martin posiert in Gummistiefeln mit einem kapitalen Lachs, fast so lang wie die Beine des Outdoor-Enthusiasten. Fischen im Yukon, das bedeutet für Martin nicht ein paar Stunden Würmerbaden, sondern mehrtägige Abenteuer mit dem Kanu in der Wildnis. «An den Ufern gibt es herrliche Sandbänke zum Campieren. Mal bin ich alleine unterwegs, mal mit Gästen. Wenn jemand Angst hat wegen der Bären, schlage ich das Lager auf einer Insel auf.» Und schelmisch grinsend flüstert er: «Die Bären können auch rüberschwimmen, aber die Leute haben dann halt weniger Angst.» Dann werden seine Gesichtszüge wieder ernster, und er rät: «Man sollte nicht mit kleinen Zelten in die Wildnis gehen. Die Bären machen einen kaputt dort drin. Vor grossen Zelten haben sie Respekt.»
Klick, nächstes Bild: eine Elchkuh. Klick! Ein Elchbulle. «Bis zu 800 Kilo wiegen die. Wenn ich einen schiesse, habe ich ganz schön zu tragen.» Beim folgenden Bild erklärt Martin, wie er das Tier zerlegt und das Fleisch im sechs Grad kühlen Erdkeller seines Blockhauses eine Woche lang abhängt, dann portioniert und schliesslich einfriert. Klick! Ein Weisskopfseeadler. Klick! Ein junger Bär. Klick! Ein ausgewachsener Grizzly. Klick! Eine alte Trapper-Hütte, Gewehre, ein Lagerfeuer, darauf ein verbeulter Topf, verrusst, wie aus einem Westernfilm.
Die Bilder, die Martin Epp zeigt, die Unternehmungen, von denen er erzählt, sein federnder Gang, mit dem er gerade zuvor den Weg hinter seinem Holzhaus heruntergekommen ist, liessen leicht auf einen Typ vom Schlage eines Bear Grylls schliessen. Wettergegerbtes Gesicht, durchtrainiert, um die 40. Doch Martin könnte gut und gerne der Vater von Abenteurern der Generation Grylls sein. Er ist doppelt so alt. Die markanten Falten in seinem Gesicht erzählen Geschichten, die nur ein langes, erfülltes Leben schreibt. Martin ist 80!
«Wenn du es zu gut hast, wird es gefährlich.»
Vor 20 Jahren ist der Bergführer ausgewandert – aus dem Urner Land ins Yukon Territory, elf Mal grösser als die Schweiz, aber nur 30’000 Einwohner. 95 Prozent davon leben in der Hauptstadt Whitehorse. Im Rest der endlosen Wildnis «ist praktisch niemand», sagt Martin. Jetzt ist er gerade auf Heimatbesuch in der Schweiz. Auch um mit seinen Kindern und Enkeln Geburtstag zu feiern. Aber wenn er ehrlich ist, wäre er lieber schon wieder in der Wildnis. Ein Geburtstag ist immer auch eine Gelegenheit für einen Blick zurück: Als junger Mann zählt Martin zu den besten und engagiertesten Bergführern und Kletterern in der Schweiz. Er sammelt Erstbegehungen und schwierige Routen, macht darum aber kein Aufheben. In der Eiger-Nordwand gelingt ihm 1962 die 30. Besteigung – in Rekordzeit. Und unter gefährlichsten Bedingungen. Während er mit seinem Kletterpartner durch die Wand steigt, kommen sechs weitere Bergsteiger anderer Seilschaften im Hagel des Steinschlags ums Leben. Über 20 Jahre später wird auch Martin um ein Haar erschlagen. Nicht von einem Felsen, sondern beim Baumfällen, als der gelernte Schreiner das alte Holzhaus hoch über der Gotthardstrasse bei Intschi renoviert, in dem er jetzt sitzt und erzählt. Er hat Glück, doch seine linke Hand bleibt zerschmettert. «Bis heute habe ich da kaum Kraft.» Der Unfall markiert den Punkt, an dem sein Leben eine neue Richtung nimmt. «Schwere Bergtouren waren nun nicht mehr möglich», sagt Martin. «Aber mein Drang raus in die Natur war unverändert gross. Nun zog es mich in die Wildnis. Je wil-der und unberührter, desto besser.»
1970 gründet Martin Epp die Alpinschule Andermatt und baut als Basis dafür die Sidelenhütte im Furkagebiet. Zuvor arbeitet er als Bergführer und technischer Berater in der Schweizer Armee, absolviert einen Sprachkurs in England und macht den Pilotenschein für Privatflugzeuge. Mit diesen Erfahrungen reist er nach Amerika. In Wyoming will er ebenfalls eine Bergsteigerschule gründen. Doch das Terrain ist zu wild, zu unerschlossen. «Ich musste die Leute erst unterrichten, wie man sich in der Wildnis verhält.» Zusammen mit der US-Alpinisten- und Umweltschützer-Legende Paul Petzoldt baut er die National Outdoor Leadership School auf, die erste grosse Outdoor- und Survival-Schule Amerikas. Im Winter führt er Tiefschneekurse und Skitouren in St. Moritz, Pontresina, Klosters und in den Dolomiten. Dabei knüpft er Kontakte zu den Reichen und Mächtigen der Welt. Für die griechische Reederfamilie Onassis soll er als Privatskilehrer arbeiten, mit Jahresvertrag und fürstlichem Salär. Er überlegt drei Wochen. Dann sagt er ab. «Das war nicht, was ich wollte. Ich fragte einen anderen Freund. Der schlug ein. Heute besitzt der riesige Immobilien in St. Moritz, ist Multimillionär, aber sauft wie ein Loch, seine Familie ist weg.» Martin schüttelt den Kopf. «Wenn du es zu gut hast, wird es gefährlich.»
1970 gründet Martin Epp die Alpinschule Andermatt und baut als Basis dafür die Sidelenhütte im Furkagebiet. Zuvor arbeitet er als Bergführer und technischer Berater in der Schweizer Armee, absolviert einen Sprachkurs in England und macht den Pilotenschein für Privatflugzeuge. Mit diesen Erfahrungen reist er nach Amerika. In Wyoming will er ebenfalls eine Bergsteigerschule gründen. Doch das Terrain ist zu wild, zu unerschlossen. «Ich musste die Leute erst unterrichten, wie man sich in der Wildnis verhält.» Zusammen mit der US-Alpinisten- und Umweltschützer-Legende Paul Petzoldt baut er die National Outdoor Leadership School auf, die erste grosse Outdoor- und Survival-Schule Amerikas. Im Winter führt er Tiefschneekurse und Skitouren in St. Moritz, Pontresina, Klosters und in den Dolomiten. Dabei knüpft er Kontakte zu den Reichen und Mächtigen der Welt. Für die griechische Reederfamilie Onassis soll er als Privatskilehrer arbeiten, mit Jahresvertrag und fürstlichem Salär. Er überlegt drei Wochen. Dann sagt er ab. «Das war nicht, was ich wollte. Ich fragte einen anderen Freund. Der schlug ein. Heute besitzt der riesige Immobilien in St. Moritz, ist Multimillionär, aber sauft wie ein Loch, seine Familie ist weg.» Martin schüttelt den Kopf. «Wenn du es zu gut hast, wird es gefährlich.»
Tipps vom Survival-Instruktor
Martin Epp war Bergführer, hat schwierige Bergflanken in den Alpen und Nordamerika erstbestiegen, leitete mehrere Survival-Schulen. Seine fünf wichtigsten Tipps für angehende Abenteurer, die sich in die grosse Wildnis wagen wollen:
1. Wieso will ich in die Wildnis?
«Diese Frage sollte sich jeder beantworten, ehe er loszieht. Wenn du die Wildnis nicht kennst, fängt sie schon hinter deinem Haus an. Du musst dich erst mal hineintasten. Das ist das Allerwichtigste. Du kannst erst wandern gehen und dich dann immer weiter steigern. Es wäre total falsch, einfach ins kalte Wasser zu springen. Dann lebst du nicht lange. Naja, vielleicht hast du Glück und es geht gut.»
2. Suche dir einen Lehrer
«Einen guten Guide oder Lehrer zu haben, beschleunigt die Möglichkeiten. Man sollte von tüchtigen, erfahrenen Leuten lernen, wie ich von meinem Vater gelernt habe. Es gibt Leute, die haben wenig Wissen und gehen weniger weit hinaus. Es gibt Leute, die haben viel Wissen, die gehen weiter hinaus. Das heisst aber noch nicht, dass Letztere sicherer sind, denn sie sind dann auch an der Grenze dessen, was sie wissen. Erfahrung ist enorm wichtig. Aber ein Unfall kann auch für Erfahrene verheerend sein.»
3. Die richtige Ausrüstung
«Kleine Dinge, grosse Wirkung: Wenn du die falschen Schuhe hast, oder keine Sonnenbrille, kein Zündholz, bringt dich das womöglich schnell in Schwierigkeiten – auch ich brauche diese Sachen, die Ausrüstung ist enorm wichtig. Worauf es ankommt, lernst du am besten von erfahrenen Abenteurern.»
4. Passe dich an
«Die wichtigste Überlebensgrundlage ist die Anpassungsfähigkeit: das Grundgesetz im Leben – egal, ob du heiratest, Kinder hast, wandern gehst oder eine Expedition am Ende der Welt unternimmst. Passe dich an die Gegend an, in der du unterwegs bist, an die Menschen, mit denen du auf Tour bist. Und du solltest auf deinen Körper hören und dich an ihn anpassen. Wenn du total auf Sparflamme läufst, merkst du, dass jeder Bissen Essbares, jeder Tropfen Wasser dir Energie gibt.»
5. Stärke dein Selbstvertrauen
«Selbstvertrauen kommt durch das, was du machst. Es wächst mit jeder gelungenen Unternehmung. Ich finde es unheimlich schade, dass die Jugend heute nicht erzogen wird, sondern verzogen – in dem Sinne, dass sie alles haben kann. An seinem Selbstvertrauen zu arbeiten, erfordert auch Disziplin.»
1. Wieso will ich in die Wildnis?
«Diese Frage sollte sich jeder beantworten, ehe er loszieht. Wenn du die Wildnis nicht kennst, fängt sie schon hinter deinem Haus an. Du musst dich erst mal hineintasten. Das ist das Allerwichtigste. Du kannst erst wandern gehen und dich dann immer weiter steigern. Es wäre total falsch, einfach ins kalte Wasser zu springen. Dann lebst du nicht lange. Naja, vielleicht hast du Glück und es geht gut.»
2. Suche dir einen Lehrer
«Einen guten Guide oder Lehrer zu haben, beschleunigt die Möglichkeiten. Man sollte von tüchtigen, erfahrenen Leuten lernen, wie ich von meinem Vater gelernt habe. Es gibt Leute, die haben wenig Wissen und gehen weniger weit hinaus. Es gibt Leute, die haben viel Wissen, die gehen weiter hinaus. Das heisst aber noch nicht, dass Letztere sicherer sind, denn sie sind dann auch an der Grenze dessen, was sie wissen. Erfahrung ist enorm wichtig. Aber ein Unfall kann auch für Erfahrene verheerend sein.»
3. Die richtige Ausrüstung
«Kleine Dinge, grosse Wirkung: Wenn du die falschen Schuhe hast, oder keine Sonnenbrille, kein Zündholz, bringt dich das womöglich schnell in Schwierigkeiten – auch ich brauche diese Sachen, die Ausrüstung ist enorm wichtig. Worauf es ankommt, lernst du am besten von erfahrenen Abenteurern.»
4. Passe dich an
«Die wichtigste Überlebensgrundlage ist die Anpassungsfähigkeit: das Grundgesetz im Leben – egal, ob du heiratest, Kinder hast, wandern gehst oder eine Expedition am Ende der Welt unternimmst. Passe dich an die Gegend an, in der du unterwegs bist, an die Menschen, mit denen du auf Tour bist. Und du solltest auf deinen Körper hören und dich an ihn anpassen. Wenn du total auf Sparflamme läufst, merkst du, dass jeder Bissen Essbares, jeder Tropfen Wasser dir Energie gibt.»
5. Stärke dein Selbstvertrauen
«Selbstvertrauen kommt durch das, was du machst. Es wächst mit jeder gelungenen Unternehmung. Ich finde es unheimlich schade, dass die Jugend heute nicht erzogen wird, sondern verzogen – in dem Sinne, dass sie alles haben kann. An seinem Selbstvertrauen zu arbeiten, erfordert auch Disziplin.»
Bald erreicht Martin das Angebot, Robert F. Kennedy auf Klettertouren zu führen. Doch es kommt nicht dazu. «Kennedy wurde kurz zuvor ermordet.» Stattdessen führt er den damaligen amerikanischen Verteidigungsminister Robert McNamara. «Das war ein Spinner, hatte Streit mit ihm, sagte, wir könnten nicht weiter. Das Wetter war zu schlecht. Doch er wollte unbedingt weiter. Schliesslich sagte ich: <Geh, aber ich kann die Verantwortung nicht übernehmen.>» Später schickt McNamara trotzdem seine Kinder zu Martin Epp in die Survival-Schule.
Auch in Schweden hat er hochrangige Kontakte. Der schwedische Verteidigungsminister stellt Helikopter zur Verfügung, um ein geeignetes, möglichst abgelegenes Gebiet für SurvivalCamps zu finden. Mit dem Ergebnis, dass Epp 1973 in Schwedisch Lappland, in der nordskandinavischen Wildnis, eine weitere Survival-Schule eröffnet. 15 Jahre lang führt er dort im Sommer Kurse durch.
Survival ist für Martin Epp ein Lebensthema. Als er 19 ist, rettet er in letzter Sekunde Pia, ein 17-jähriges Mädchen, als es in einem steilen Firnfeld ausrutscht. Beide stürzen in einen eiskalten Gebirgsbach. Martin riskiert sein Leben. Kurz vor einem Wasserfall zieht ein Freund erst das Mädchen, dann Martin aus den Fluten. Acht Jahre später heiratet Martin Pia. Doch Survival ist für ihn viel mehr als wildes Abenteuer und die Fähigkeit, sich selbst oder andere aus akuter Not zu retten. Als Survival-Instruktor hat er daraus eine Lebensphilosophie entwickelt mit ausgeprägten edukativen Qualitäten.
«Ich wünschte mir, dass es viel mehr solche Survival-Schulen gäbe», sagt Martin nachdenklich und ergänzt: «Der heutige Mensch geht in die Schule, lernt und lernt. Er paukt Stoff aus Lehrbüchern. Aber wenn er in die Welt hinaus muss, weiss er immer noch nicht, wie Leben sich anfühlt und funktioniert. Das totale Selbstständigsein und selbstständig zu entscheiden, das lernen wir in unseren modernen Bildungssystemen nicht. Die Zivilisation ist wie eine Glasglocke, die die Leute scheinbar schützt.» Auf eigenen Beinen zu stehen, könne man nirgends besser lernen als in der Wildnis. «Es ist unglaublich wichtig, das zu erfahren und aufs Alltagsleben zu übertragen. Wenn du weisst, wie man mit einem gebrochenen Bein aus dem Busch kommt, kommst du auch sonst im Leben zurecht.»
Ist das wirklich nötig? In einer Zivilisation mit fast perfekter medizinischer Rundumversorgung? Um in der Stadt rein physisch zu überleben, sicher nicht. Doch Martin nennt ganz andere Gründe: «Ich will den Leuten beibringen, dass sie logisch denken. Das ist das Allerwichtigste.» Was er damit meint? «Der Mensch ist oft nicht mehr in der Lage, so zu denken und sich so zu verhalten, dass er sich selbst nicht in Gefahr bringt.» Unsere Gesellschaft unterliege der Illusion, durch Regulierungen, Vorschriften und Versicherungen ein Leben in völliger Sicherheit zu ermöglichen. «Dadurch verlieren wir den Sinn, zwischen vermeintlichen Gefährdungen und echten Gefahren zu unterscheiden.» Das Bestreben, den Menschen hundertprozentig zu schützen, sei ein Irrweg. «In der Wildnis gibt es an einer senkrechten Felswand keine Warntafel. ... Es ist doch nicht normal, dass man einen Menschen so sehr schützen muss, dass ihm gar nichts mehr passieren kann.» Der Überprotektionismus mache die Menschen bequem, unselbstständig, unachtsam. «Das ganz natürliche, logische Denken geht verloren.» Er ist noch anders aufgewachsen als die Menschen im Zeitalter der Spezialisierung. «Mit vier habe ich meinem Vater zugeschaut, als er ein Haus gebaut hat. Er hat immer gesagt, du musst dich so entwickeln, dass du alles kannst.» Emil Epp hatte studiert, war Lehrer, aber von den Bergen so beeindruckt, dass er lieber Bergführer wurde. Sein Rat an Martin: Betrachte das Leben mit dem Fischauge, schau dir alles an. «Ich habe mich an alles gewagt», blickt er zurück. «Sogar an den Computer!» Er lacht. Als Bergführer sei ihm immer wieder aufgefallen: «Sogar die Professoren unter meinen Gästen waren von einem auffällig einseitigen Denken geprägt. Nicht zu glauben, die wären draussen in der Natur alleine in kurzer Zeit verloren.»
Auch in Schweden hat er hochrangige Kontakte. Der schwedische Verteidigungsminister stellt Helikopter zur Verfügung, um ein geeignetes, möglichst abgelegenes Gebiet für SurvivalCamps zu finden. Mit dem Ergebnis, dass Epp 1973 in Schwedisch Lappland, in der nordskandinavischen Wildnis, eine weitere Survival-Schule eröffnet. 15 Jahre lang führt er dort im Sommer Kurse durch.
Survival ist für Martin Epp ein Lebensthema. Als er 19 ist, rettet er in letzter Sekunde Pia, ein 17-jähriges Mädchen, als es in einem steilen Firnfeld ausrutscht. Beide stürzen in einen eiskalten Gebirgsbach. Martin riskiert sein Leben. Kurz vor einem Wasserfall zieht ein Freund erst das Mädchen, dann Martin aus den Fluten. Acht Jahre später heiratet Martin Pia. Doch Survival ist für ihn viel mehr als wildes Abenteuer und die Fähigkeit, sich selbst oder andere aus akuter Not zu retten. Als Survival-Instruktor hat er daraus eine Lebensphilosophie entwickelt mit ausgeprägten edukativen Qualitäten.
«Ich wünschte mir, dass es viel mehr solche Survival-Schulen gäbe», sagt Martin nachdenklich und ergänzt: «Der heutige Mensch geht in die Schule, lernt und lernt. Er paukt Stoff aus Lehrbüchern. Aber wenn er in die Welt hinaus muss, weiss er immer noch nicht, wie Leben sich anfühlt und funktioniert. Das totale Selbstständigsein und selbstständig zu entscheiden, das lernen wir in unseren modernen Bildungssystemen nicht. Die Zivilisation ist wie eine Glasglocke, die die Leute scheinbar schützt.» Auf eigenen Beinen zu stehen, könne man nirgends besser lernen als in der Wildnis. «Es ist unglaublich wichtig, das zu erfahren und aufs Alltagsleben zu übertragen. Wenn du weisst, wie man mit einem gebrochenen Bein aus dem Busch kommt, kommst du auch sonst im Leben zurecht.»
Ist das wirklich nötig? In einer Zivilisation mit fast perfekter medizinischer Rundumversorgung? Um in der Stadt rein physisch zu überleben, sicher nicht. Doch Martin nennt ganz andere Gründe: «Ich will den Leuten beibringen, dass sie logisch denken. Das ist das Allerwichtigste.» Was er damit meint? «Der Mensch ist oft nicht mehr in der Lage, so zu denken und sich so zu verhalten, dass er sich selbst nicht in Gefahr bringt.» Unsere Gesellschaft unterliege der Illusion, durch Regulierungen, Vorschriften und Versicherungen ein Leben in völliger Sicherheit zu ermöglichen. «Dadurch verlieren wir den Sinn, zwischen vermeintlichen Gefährdungen und echten Gefahren zu unterscheiden.» Das Bestreben, den Menschen hundertprozentig zu schützen, sei ein Irrweg. «In der Wildnis gibt es an einer senkrechten Felswand keine Warntafel. ... Es ist doch nicht normal, dass man einen Menschen so sehr schützen muss, dass ihm gar nichts mehr passieren kann.» Der Überprotektionismus mache die Menschen bequem, unselbstständig, unachtsam. «Das ganz natürliche, logische Denken geht verloren.» Er ist noch anders aufgewachsen als die Menschen im Zeitalter der Spezialisierung. «Mit vier habe ich meinem Vater zugeschaut, als er ein Haus gebaut hat. Er hat immer gesagt, du musst dich so entwickeln, dass du alles kannst.» Emil Epp hatte studiert, war Lehrer, aber von den Bergen so beeindruckt, dass er lieber Bergführer wurde. Sein Rat an Martin: Betrachte das Leben mit dem Fischauge, schau dir alles an. «Ich habe mich an alles gewagt», blickt er zurück. «Sogar an den Computer!» Er lacht. Als Bergführer sei ihm immer wieder aufgefallen: «Sogar die Professoren unter meinen Gästen waren von einem auffällig einseitigen Denken geprägt. Nicht zu glauben, die wären draussen in der Natur alleine in kurzer Zeit verloren.»
«Ich will den Leuten beibringen, dass sie logisch denken. Das ist das Allerwichtigste.»
Selbst die meisten Indianer in Nordamerika hätten das «natürliche Denken» verlernt und die Beziehung zur Natur verloren. «Sie ernähren sich von Fastfood, sind kugelrund. Sehr traurig. Die moderne Zivilisation hat diese Leute kaputt gemacht.» Gerne hält der Mann aus der Wildnis der Gesellschaft, aus der er selbst kommt, den Spiegel vor. Er ist nicht gegen sie. Aber er hat sich oft genug für eine Weile aus ihr verabschiedet, um mit dem nötigen Abstand zu erkennen, wie widersprüchlich sie ist.
Und dann erzählt Martin ein Beispiel, wie man draussen in der Wildnis lernt, klar und vernetzt zu denken. «Wir hatten einen kranken Teilnehmer, mit Verdacht auf Blinddarmentzündung. Wir waren sieben Tagesmärsche vom nächsten Ort entfernt. Ich habe die ganze Gruppe zusammengenommen, ihnen das Problem erklärt. Sagte, wenn einer eine gute Idee habe, solle er sich melden. Da waren auch angehende Astronauten darunter. Die waren wirklich super. Um 9 Uhr morgens habe ich entschieden: Eine Gruppe lief mit einer Bahre auf einer festgelegten Route hinaus. Eine andere Gruppe, Instruktoren von mir, fing wilde Pferde ein. Mit denen ritten sie zur nächsten Siedlung, um die Rettung zu alarmieren. Ich selbst zündete eine kleine Baumgruppe an, daneben schrieb ich mit farbigen Kleidern <Help> in den Sumpf.
Nach einer guten Stunde kam ein Flugzeug, drehte um und war wieder weg. Eine weitere Stunde später kam ein Helikopter, nahm den Kranken auf und flog ihn ins Krankenhaus. Ein Linienflugzeug hatte das Feuer aus grosser Höhe erspäht, die hatten ein Suchflugzeug alarmiert, das uns sah und den Helikopter verständigte. Innerhalb von Stunden war der Kranke auf dem OP-Tisch, abends um sechs war er schon operiert. Und am nächsten Morgen kamen auch die beiden Reiter in der Siedlung an. Hätten wir nicht zusammen logisch und klar nachgedacht, hätte unser Mann die Blinddarmentzündung wahrscheinlich nicht überlebt.»
Und dann erzählt Martin ein Beispiel, wie man draussen in der Wildnis lernt, klar und vernetzt zu denken. «Wir hatten einen kranken Teilnehmer, mit Verdacht auf Blinddarmentzündung. Wir waren sieben Tagesmärsche vom nächsten Ort entfernt. Ich habe die ganze Gruppe zusammengenommen, ihnen das Problem erklärt. Sagte, wenn einer eine gute Idee habe, solle er sich melden. Da waren auch angehende Astronauten darunter. Die waren wirklich super. Um 9 Uhr morgens habe ich entschieden: Eine Gruppe lief mit einer Bahre auf einer festgelegten Route hinaus. Eine andere Gruppe, Instruktoren von mir, fing wilde Pferde ein. Mit denen ritten sie zur nächsten Siedlung, um die Rettung zu alarmieren. Ich selbst zündete eine kleine Baumgruppe an, daneben schrieb ich mit farbigen Kleidern <Help> in den Sumpf.
Nach einer guten Stunde kam ein Flugzeug, drehte um und war wieder weg. Eine weitere Stunde später kam ein Helikopter, nahm den Kranken auf und flog ihn ins Krankenhaus. Ein Linienflugzeug hatte das Feuer aus grosser Höhe erspäht, die hatten ein Suchflugzeug alarmiert, das uns sah und den Helikopter verständigte. Innerhalb von Stunden war der Kranke auf dem OP-Tisch, abends um sechs war er schon operiert. Und am nächsten Morgen kamen auch die beiden Reiter in der Siedlung an. Hätten wir nicht zusammen logisch und klar nachgedacht, hätte unser Mann die Blinddarmentzündung wahrscheinlich nicht überlebt.»
So gebe es für fast alle Probleme Lösungen. Nur fehlten oft Ausdauer, Orientierung, Wachsamkeit und Weitblick, diese gedanklichen Wege auch zu beschreiten. Fähigkeiten, die man in der Wildnis beinahe zwangsläufig lerne. Möglichkeiten, seine Gedanken zu schärfen, gebe es dort genug. Martin erzählt weiter: «Ich hatte eine sehr schwierige Bergtour gemacht. Eine Erstbegehung am Gannet Peak, Nordwestwand, schwieriger als die Eigernordwand. Über drei Monate hatte ich nur von der Wildnis gelebt. Ich hatte sehr lange nichts mehr gegessen ausser Steinflechten. Der Körper kann sie kaum in Energie verwandeln. Beim Rückmarsch habe ich weiter unten Wasser getrunken, konnte es aber nicht behalten. Ich hatte zu lange nichts mehr gegessen. Beim Abstieg dachte ich: <Verdammt nochmal, ich verrecke.> Dann war da ein alleinstehender Baum mit einem Eichhörnchen. Ich schoss es mit einem Stein ab, schnitt es auf, nahm es aus. Im Magen des Eichhörnchens waren Verdauungsstoffe. Ich nahm eine Tasse, gab laues Wasser dazu. Ich habe das Zeug getrunken, grausig! Aber mein Körper konnte die Flüssigkeit behalten. Das hat mir nie jemand gesagt, das kam mir in den Kopf, als ich das Eichhörnchen gesehen habe. Schliesslich grillte ich das Tier auf einem Stock, schnitt das Fleisch, kochte es im Wasser, trank zuerst die Brühe, ass dann das Fleisch. Am Ende hatte ich wieder Kraft genug für den Weitermarsch.» Kreativ zu sein, zu improvisieren – auch das lehre die Wildnis.
Solche Einsichten wundern nicht. Schliesslich war die Natur zeitlebens ein Lehrmeister für Martin Epp. Vom Haus seines Vaters am Ritteli bis in die Schule musste er zweieinhalb Stunden laufen – runter ins Tal. Zur Kröntenhütte, die seine Eltern als Hüttenwarte betrieben, waren es zwei Stunden – bergauf. Heute ist Martin längst eins mit der kanadischen Wildnis. Den Lebensabend in der Schweiz verbringen? «Ich würde verzweifeln!» sagt er. Er zeigt noch ein paar Bilder: Schwarze und Rote Johannisbeeren, Erdbeeren, Himbeeren, Anemonen, Alpenrosen, Akeleien, Lilien, ... Martins Garten ist die Wildnis, endlos und in Schritten nicht zu messen. «Ich fühle mich nirgends wohler.» Dass ein solches Leben zu hart sein könnte für einen alten Mann, auf diesen Gedanken kommt er gar nicht. «Wenn ich aus dem Busch zurückkomme, geniesse ich auch die Zivilisation. Aber dann zieht es mich wieder raus. Ich muss dann wieder gehen. Das ist keine Sucht, sondern ein Wohlfühlen.»
Solche Einsichten wundern nicht. Schliesslich war die Natur zeitlebens ein Lehrmeister für Martin Epp. Vom Haus seines Vaters am Ritteli bis in die Schule musste er zweieinhalb Stunden laufen – runter ins Tal. Zur Kröntenhütte, die seine Eltern als Hüttenwarte betrieben, waren es zwei Stunden – bergauf. Heute ist Martin längst eins mit der kanadischen Wildnis. Den Lebensabend in der Schweiz verbringen? «Ich würde verzweifeln!» sagt er. Er zeigt noch ein paar Bilder: Schwarze und Rote Johannisbeeren, Erdbeeren, Himbeeren, Anemonen, Alpenrosen, Akeleien, Lilien, ... Martins Garten ist die Wildnis, endlos und in Schritten nicht zu messen. «Ich fühle mich nirgends wohler.» Dass ein solches Leben zu hart sein könnte für einen alten Mann, auf diesen Gedanken kommt er gar nicht. «Wenn ich aus dem Busch zurückkomme, geniesse ich auch die Zivilisation. Aber dann zieht es mich wieder raus. Ich muss dann wieder gehen. Das ist keine Sucht, sondern ein Wohlfühlen.»
«Wenn du weisst, wie man mit einem gebrochenen Bein aus dem Busch kommt, kommst du auch sonst im Leben zurecht.»
Ein Wohlfühlen, das er auch gerne teilt: mit seiner Frau, mit seinen Enkelinnen, mit Freunden. «Zusammen draussen zu sein in der Wildnis, schafft eine tiefe innere Verbundenheit. Die weiss man heute oft gar nicht mehr zu schätzen. In Europa sind die Menschen fast immer von anderen Menschen umgeben. Aber viele sind trotzdem mehr allein als ich am Yukon.» Was für Stadtmenschen nach einem Leben weit ab der Komfortzone klingt, ist für Martin ein Lebensentwurf, den er noch lange aufrechterhalten möchte. Sein Anti-AgingProgramm: fischen, jagen, Kanu fahren, Brennholz machen, am Haus arbeiten, malen. «Ich mache einfach weiter, was ich immer gemacht habe.» Und wenn das mal nicht mehr geht? Wenn Körper und Geist schwach werden? «Dann können wir immer noch nach Whitehorse ins Altersheim.» Das Hauptstädtchen liegt eine halbe Autostunde von seinem Haus entfernt. Martin stutzt kurz, als könne er sich nicht vorstellen, dass ein solcher Fall jemals eintreffen könnte. Und dann ergänzt er halb mit Trauermiene, halb lachend: «Aber da kann ich wahrscheinlich den Skidoo nicht mitnehmen.» – Und wenn es doch gar nicht mehr ginge? Dann kann sich Martin vorstellen, es zu machen wie die Indianer. «Da gehst du in den Busch und schläfst ein.»
Nein, das Älterwerden macht Martin genauso wenig Angst wie die Bären oder die Stromschnellen am Yukon. Es komme einfach nur darauf an, sich anzupassen, genau wie an das Leben in der Natur. Martin Epps Augen ruhen eine Weile auf dem Bild mit dem Kanu am Fluss. Dann sagt er: «Ich könnte nicht mehr ohne die wilde Natur als Begleiter leben. Das Leben in der Zivilisation finde ich viel zu hektisch und total unnatürlich. Die grosse verwöhnte Menschenmenge macht mir Angst.»
Nein, das Älterwerden macht Martin genauso wenig Angst wie die Bären oder die Stromschnellen am Yukon. Es komme einfach nur darauf an, sich anzupassen, genau wie an das Leben in der Natur. Martin Epps Augen ruhen eine Weile auf dem Bild mit dem Kanu am Fluss. Dann sagt er: «Ich könnte nicht mehr ohne die wilde Natur als Begleiter leben. Das Leben in der Zivilisation finde ich viel zu hektisch und total unnatürlich. Die grosse verwöhnte Menschenmenge macht mir Angst.»