Scarpa stellt sich vor
Montebelluna in Italien ist das Mekka der Bergschuh-Hersteller: Weil das Know-how der dortigen Arbeiter einzigartig ist, produzieren viele Firmen lieber hier, als im billigen Asien. Bei der Traditionsmarke Scarpa verlässt man sich zudem auf eine weitere Stärke: Familienbande.
Der «Presidente» ist ein nachdenklicher Typ, kein Marktschreier, kein Hansdampf. Dazu lastet die Verantwortung zu schwer auf seinen Schultern. Sandro Parisotto, Jeans und Kaschmirpulli, die Brille etwas schief, hat viel erreicht. Er hat das Erbe der Familie weitergeführt, den Erfolg der alten Herren noch übertroffen. Unter seiner Leitung wandelte sich eine kleine Firma, die für ihre Qualität geschätzt wurde, in eine, die geliebt wird. Weil ihre Schuhe so viel aushalten, dass sie einen länger begleiten als manch treuer Kamerad. Weil sie so bequem sind, dass man mit ihnen bis zum Horizont laufen möchte und noch weiter. Und weil sie auch noch schön anzuschauen sind, denn Herkunft verpflichtet, - «bella figura» lässt sich auch in Bergschuhen machen.
Dass das so bleibt, ist der Presidente seinem Vater schuldig. Und den Onkeln, mit denen Papa die Firma aufbaute, den Cousins und Cousinen, mit denen Sandro Parisotto sie heute gemeinsam leitet. Nicht zuletzt auch den Familien aus der Stadt, die teilweise schon in der dritten Generation für die Firma arbeiten – Scarpa, Spezialist für alle erdenklichen Arten von Schuhen, mit denen sich Berge besteigen lassen. Ansässig seit 1938 im norditalienischen Asolo. Das Städtchen ruht auf einem Hügel an der Südseite der Alpen, hinter ihm schwingen sich sanft die ersten Berge auf. Aus ihnen kamen früher die Dörfler, um in Asolo die wenigen Waren zu verkaufen, die sie anzubieten hatten. Leder zum Beispiel. Im Gegenzug nahmen sie mit, was es in den Bergen nicht gab: Werkzeuge, Kleider und Schuhe, die hier meisterhaft gefertigt wurden.
Tradition - die Firma Scrarpa, eine Familienbande
Prominente Marketing-Unterstützung
Später kamen die ersten Touristen. Einige blieben länger, zum Beispiel Rupert Edward Cecil Lee Guinness, der zweite Earl von Iveagh. Ein umtriebiger Mann – in seiner Heimat Irland war er Politiker und Wissenschaftler, gab das berühmte Buch der Rekorde heraus, um seine bald ebenso berühmte Brauerei zu bewerben. Für den Grosskapitalisten Guinness war es unbegreiflich, dass die Schuster Asolos so geniale Handwerker sein konnten und gleichzeitig so schlechte Geschäftsmänner. Also gründete er eine Firma, um ihre Expertise zu bündeln. Der Earl, ein echter Marketingprofi, gab ihr den Namen SCARPA. Das stand für «Società Calzaturieri Asolani Riuniti Pedemontana Anonima», übersetzt etwa «Gesellschaft der vereinten Schuhmacher der Bergregion Asolo». Oder eben für «scarpa», das italienische Wort für Schuh.
Wenn der Presidente heute durch die moderne Fertigungsstätte führt, die 1996 zu Füssen der Stadt gebaut wurde, erinnert nichts mehr an die alten Zeiten, in denen die Mitarbeiter unter Guinness` Leitung 20 Paar Schuhe am Tag herstellten. In drei Reihen wird heute produziert, «rechts Berg- und Trekking-Schuhe, in der Mitte Kletterschuhe, links Telemark- und Skitouren-Schuhe», wie Parisotto erläutert. Es riecht nach Leder und Kleber, Nähmaschinen rattern, lasergestützte Systeme stechen Einzelteile so aus grossen Häuten aus, dass möglichst wenig vom wertvollen Rohstoff übrig bleibt. Schwere Maschinen pressen Kletterschuhe auf Ambosse, um lang haltende Verbindungen aus Leder und Gummisohle zu erhalten. Und ein paar Hausnummern die Strasse hinunter schiesst im alten Firmengebäude heisser Pebax-Kunststoff aus Spritzdüsen, um in den Metallformen zu Skischuhschalen auszuhärten.
Starke Schweizer Bande
Dass der Name Scarpa heute quasi ein Synonym für hochwertige und komfortable Skitourenschuhe ist, daran hat auch ein Schweizer grossen Anteil. Romolo Nottaris, inzwischen 68 Jahre alt, hatte schon ein bewegtes Leben hinter sich, als er 1986 den Vertrieb der damals in der Schweiz kaum bekannten Marke übernahm. Als Jugendlicher hatte er seine ersten Franken als Zigarettenschmuggler verdient, später lebte er in Genf vom Pokerspiel, bis er das Bergsteigen wiederentdeckte. Als Bergführer und Profialpinist stieg er mit Schuhen von Scarpa unter anderem auf den 8485 Meter hohen Makalu – und wer das wie er im Winter tut, muss von der Qualität seiner Schuhe überzeugt sein.
Doch als Nottaris mit seinem Vertreterkoffer das erste Mal die Schweizer Sportgeschäfte abklapperte, waren die Bestellungen so übersichtlich, dass sein Sohn Daniele besorgt fragte: «Papa, wie sollen wir denn von dieser Arbeit leben?» Der Schweizer Markt wurde damals von Raichle dominiert, daneben wuchs Lowa rasant. Auch bei Heinz und Margit Bächli musste Nottaris mehrfach Überzeugungsarbeit leisten, bis sie Anfang der Neunziger die ersten Schuhe aus Asolo orderten. Doch Nottaris hatte eine Idee, wie er den Absatz ankurbeln könnte. Das Gleitschirmfliegen kam gerade in Mode, also erfand er dafür spezielles Schuhwerk. Und weil eben stärker auffällt, was auffällig ist, gab ihnen Nottaris ein sehr eigenes Design: «Ich ging zu Scarpa. Sie hielten mich für verrückt, machten aber mit. Diese Schuhe waren vor allem sehr farbig – der erste, der «Paratrek», war pink, gelb und grün!»
Doch die papageienbunten Schuhe für fliegende Bergsteiger verkauften sich und Scarpa konnte endlich im Schweizer Markt Fuss fassen. «Nach diesem ersten Erfolg wurde ich technischer Berater von Scarpa für den Bergsportbereich und begann, auch direkt in Asolo zu arbeiten», erzählt Romolo. Er half, den legendären Schuh «Bergell» zu kreieren, darauf folgten weitere exklusive Modelle für die Schweiz mit eidgenössischen Namen wie «Weisshorn», «Weissmies» oder «Matterhorn».
Doch die papageienbunten Schuhe für fliegende Bergsteiger verkauften sich und Scarpa konnte endlich im Schweizer Markt Fuss fassen. «Nach diesem ersten Erfolg wurde ich technischer Berater von Scarpa für den Bergsportbereich und begann, auch direkt in Asolo zu arbeiten», erzählt Romolo. Er half, den legendären Schuh «Bergell» zu kreieren, darauf folgten weitere exklusive Modelle für die Schweiz mit eidgenössischen Namen wie «Weisshorn», «Weissmies» oder «Matterhorn».
Vielfalt - Bei Schuhen von Scarpa ist für Jeden etwas dabei
1993 brachte Nottaris mit dem Entwicklerteam den «Denali» auf den Weg – Scarpas ersten Skitourenschuh, der den Markt im Sturm eroberte. In der Fertigungshalle produzieren die Mitarbeiter heute fast 30 verschiedene Modelle, unter ihnen der futuristische «Alien», der gerade mal 700 Gramm wiegt. Auch heute ist Romolo Nottaris noch dabei, wenn man in Asolo an neuen Designs tüftelt, Materialien ausprobiert, Formen entwickelt und wieder verwirft – ein Prozess, der pro Modell eineinhalb bis zwei Jahre dauern und schnell mal eine Million Franken verschlingen kann. Beeindruckt von all diesen Innovationen und Hightech-Maschinen übersieht man schnell, was Scarpa seit Guinness` Zeiten ausmacht: die Mitarbeiter, die in Handarbeit Lederteile vernähen, die millimetergenau Gummilappen kleben, die bis zu 120 Einzelteile zu einem Schuh zusammenfügen. Präzisionsarbeit, jeden Tag tausendfach ausgeführt, denn mittlerweile verlassen jährlich 500.000 Paar das Werk. «Berg-, Kletter- und Skischuhe müssen besonderen Belastungen widerstehen, diese Qualität kann man nicht in Fernost produzieren lassen», sagt Sandro Parisotto, «wir sind auf die Expertise unserer 180 Leute hier in Asolo angewiesen.» Und selbst, wenn man in den Fabriken Chinas den Qualitätsansprüchen von Scarpa genügen könnte – den Parisottos ist noch etwas anderes wichtig: die Passform.
Der Presidente führt an grossen Drahtkörben vorbei, in denen unzählige knallbunte Plastikteile lagern. Es sind die Leisten, die Fussmodelle, um die herum ein Schuh gefertigt wird. Ein Firmen- und Erfolgsgeheimnis, das die Norditaliener nie freiwillig nach Asien transferieren würden, denn sie sind immer noch so genial geformt wie die alten aus Holz, die Parisotto gerade aus einer Kiste kramt. «Bonatti, Walter», steht in krakeliger Schrift auf dem Paar, das der Presidente gefunden hat. «Eine Spezialanfertigung aus der Zeit nach seiner aktiven Karriere, da hatte er grosse Schmerzen beim Gehen», lacht Parisotto, «Bonatti hätte besser schon früher zu Scarpa kommen sollen».
Einen Mitarbeiter, der Bonattis Leisten sicher auch schon in der Hand hatte, möchte der Presidente noch persönlich vorstellen. Ein alter Mann, blauer Kittel, Glatze – Parisottos Vater Francesco, 87 Jahre alt. «Wenn ich daheim sitze, macht mich meine Frau verrückt», scherzt der, «jetzt kommt er hierher und macht uns verrückt», spielt der Junior den Ball zurück. Parisotto senior kaufte die Firma 1956 mit seinen Brüdern Luigi und Antonio von Earl Guinness, die ersten Schuhe fuhr er mit dem Fahrrad aus, bis das Geld für ein Auto reichte. Schliesslich orderten Firmen aus dem europäischen Ausland, dann welche aus Übersee.
Dass die Zahl der Modelle und der Ausstoss unaufhörlich wachsen konnten, ohne dass die Qualität litt, lag vor allem an Francescos drei Jahre jüngerem Bruder Luigi, der gerade ein paar Meter weiter ein Schwätzchen hält. Luigi hat als Elfjähriger bei Scarpa das Schustern zu lernen begonnen und wurde ein genialer Tüftler: Auf ihn gehen die legendären Plastikbergschuhe «Vega» zurück und die weltweit ersten Telemark-Schuhe mit Hartschalen. Auch dank diesen Innovationen ist Scarpa heute einer der Marktführer in der Schweiz. «Kein Fachgeschäft, das die Marke nicht kennt», meint Romolo Nottaris stolz. Und um noch mehr Menschen zu überzeugen, betreibt Scarpa in Lugano und bei St. Moritz Testcenter, in denen sich Interessierte kostenlos Schuhe zur Probe leihen können.
Der Presidente führt an grossen Drahtkörben vorbei, in denen unzählige knallbunte Plastikteile lagern. Es sind die Leisten, die Fussmodelle, um die herum ein Schuh gefertigt wird. Ein Firmen- und Erfolgsgeheimnis, das die Norditaliener nie freiwillig nach Asien transferieren würden, denn sie sind immer noch so genial geformt wie die alten aus Holz, die Parisotto gerade aus einer Kiste kramt. «Bonatti, Walter», steht in krakeliger Schrift auf dem Paar, das der Presidente gefunden hat. «Eine Spezialanfertigung aus der Zeit nach seiner aktiven Karriere, da hatte er grosse Schmerzen beim Gehen», lacht Parisotto, «Bonatti hätte besser schon früher zu Scarpa kommen sollen».
Einen Mitarbeiter, der Bonattis Leisten sicher auch schon in der Hand hatte, möchte der Presidente noch persönlich vorstellen. Ein alter Mann, blauer Kittel, Glatze – Parisottos Vater Francesco, 87 Jahre alt. «Wenn ich daheim sitze, macht mich meine Frau verrückt», scherzt der, «jetzt kommt er hierher und macht uns verrückt», spielt der Junior den Ball zurück. Parisotto senior kaufte die Firma 1956 mit seinen Brüdern Luigi und Antonio von Earl Guinness, die ersten Schuhe fuhr er mit dem Fahrrad aus, bis das Geld für ein Auto reichte. Schliesslich orderten Firmen aus dem europäischen Ausland, dann welche aus Übersee.
Dass die Zahl der Modelle und der Ausstoss unaufhörlich wachsen konnten, ohne dass die Qualität litt, lag vor allem an Francescos drei Jahre jüngerem Bruder Luigi, der gerade ein paar Meter weiter ein Schwätzchen hält. Luigi hat als Elfjähriger bei Scarpa das Schustern zu lernen begonnen und wurde ein genialer Tüftler: Auf ihn gehen die legendären Plastikbergschuhe «Vega» zurück und die weltweit ersten Telemark-Schuhe mit Hartschalen. Auch dank diesen Innovationen ist Scarpa heute einer der Marktführer in der Schweiz. «Kein Fachgeschäft, das die Marke nicht kennt», meint Romolo Nottaris stolz. Und um noch mehr Menschen zu überzeugen, betreibt Scarpa in Lugano und bei St. Moritz Testcenter, in denen sich Interessierte kostenlos Schuhe zur Probe leihen können.
Entwicklung - auch die ersten Skitourenschuhe eroberten den Markt im Sturm
Im Familienbetrieb Scarpa trifft der Presidente aber nicht nur Vater und Onkel. «Es gibt hier noch viel mehr Verwandte», seufzt er gespielt und verdreht die Augen. «Aber weil jeder seinen eigenen Bereich hat, funktioniert das wunderbar». Dann zählt er auf: Cousin Davide ist seinem Vater Luigi gefolgt und leitet jetzt Produktion und Entwicklung. Piero kümmert sich um die Buchhaltung, Cousin Andrea um die Niederlassung in den USA und Cristina verantwortet das Lifestyle-Segment. Sie ist die einzige Dame im familiären Führungsteam und zeigt ihren Cousins, dass Scarpa nicht nur in den Bergen, sondern auch auf dem Grossstadtasphalt Erfolg haben kann: Sie entwarf einen Strassenschuh in Kletterschuh-Optik, «einen, mit dem man abends einen Mojito trinken gehen kann», erklärte sie ihre Idee damals – heute heisst der Schuh Mojito und ist in Zürich, Paris und Berlin für viele Kletterer obligatorischer Ausweis der Szenezugehörigkeit.
Weiter will der Presidente die Produktpalette aber nicht ausdehnen, Kleidung, Ski- oder Kletterausrüstung zu fertigen, kommt nicht infrage. «Man muss sich auf das konzentrieren, was man kann», sagt Sandro Parisotto, «sonst klappt es nicht». Schuster, will er damit sagen, bleib` bei deinen Leisten! Und dann fügt der Presidente noch etwas an, was für seine Verhältnisse richtig unbescheiden klingt: «Wir können Schuhe herstellen wie kaum ein anderer Hersteller – weil wir die Passion dafür haben.»
Weiter will der Presidente die Produktpalette aber nicht ausdehnen, Kleidung, Ski- oder Kletterausrüstung zu fertigen, kommt nicht infrage. «Man muss sich auf das konzentrieren, was man kann», sagt Sandro Parisotto, «sonst klappt es nicht». Schuster, will er damit sagen, bleib` bei deinen Leisten! Und dann fügt der Presidente noch etwas an, was für seine Verhältnisse richtig unbescheiden klingt: «Wir können Schuhe herstellen wie kaum ein anderer Hersteller – weil wir die Passion dafür haben.»