Auf ein Wort mit Kilian Jornet
Immer weiter
Der Bergsport hat eine Ikone: Kilian Jornet. Seit einem Jahrzehnt dominiert der Katalane die Weltcups im Trailrunning und Skibergsteigen. Doch während seine Verehrung religiöse Züge annimmt, sind die Rennen nur noch Training – für Speedrekorde an den höchsten Bergen der Welt. Für Jornet, mehr Spieler als Sieger und mehr Entdecker als Läufer, wird auch das nur eine Etappe sein. Vor allem geht es darum, niemals stehen zu bleiben.
Ein ebenso sonniger wie denkwürdiger Oktobertag im Wallis. Schnurgerade führ das alte Gleis die Weinberge bei Martigny hinauf, 1000 Höhenmeter auf 1920 Metern Strecke. Der «Vertical Kilometer» von Fully ist der kürzeste und schnellste im Rennkalender. Kilian Jornet hat das Rennen dreimal gewonnen, erstmals 2006, eine Woche nach seinem 18. Geburtstag. Damals war er ein Unbekannter, heute knattern pünktlich um 12:11:00 Uhr die Hubschrauber, surren die Drohnen, überschlägt sich die Stimme des Ansagers. Ein Kameramann wird im oberen Teil vergeblich versuchen, Jornet auf den Fersen zu bleiben.
An der 300-Höhenmeter-Marke. Dutzende Topathleten haben sich bereits vorbeigequält, schnaubend, stampfend, in den Stockschlaufen hängend wie angeknockte Boxer. Ein orangener Helm taucht auf, mit ihm das Lauffeuer der elektrisierten Zuschauer. «C’est Kilian?» Er muss es sein. Seine Arme fliessen, nur ganz leicht hebt er die Stöcke an. Die roten Laufsocken streicheln die Erde, oberkörperfrei tänzelt er den teils 60° steilen Hang hinauf wie der Götterbote Hermes persönlich. Urban Zemmer, der letzte Starter und mit 29:42 Minuten Rekordhalter in Fully, folgt drei Minuten später. Es wirkt wie das Duell eines Tankers mit einem Rennboot.
Doch Jornet, den seine Fans «unmenschlich» nennen und den Lauri van Houten, die Vorsitzende der International Skyrunning Federation als «Gott auf Erden» bezeichnet, den die New York Times einmal splitterfasernackt im Stile antiker Olympioniken fotografierte – dieser Jornet landet am Ende auf einem sehr irdischen vierten Platz. 30:33 Minuten, fünfzehn Sekunden Rückstand auf Platz 1. Zur Siegerehrung, die in einer Turnhalle stattfindet, muss er trotzdem. Hinterher Selfies, Hände, ein höchstens sechsjähriges Mädchen bittet um ein Autogramm. Jornet hält einem anderen Starter die Tür auf, der ihm völlig entgeistert hinterherstarrt. Jornets Lippen sind verbrannt, Backpapier-Haut spannt sich über seine Wangenknochen, an Handrücken und Unterarmen quellen die Adern hervor. Traurig wirkt er nicht.
Was war los?
Mit dem Beginn des Rennens bin ich glücklich, dann habe ich Krämpfe bekommen. Warum genau, weiss ich noch nicht, vielleicht war es zu heiss, oder ich war nicht gut vorbereitet. Mein Ziel war, unter einer halben Stunde zu bleiben. Aber ich bin in jedem Fall glücklich, denn es ist eine gute Zeit.
Laut Instagram warst du die ganze letzte Woche in Chamonix beim Klettern. Vielleicht nicht die beste Vorbereitung?
Ja, wahrscheinlich. Aber es waren gute Bedingungen, dann muss man einfach Klettern gehen.
Du gewinnst beim Trailrunning, im Skibergsteigen, brichst Rekorde an den Seven Summits, gehst Steilwandskifahren oder zweimal an einem Tag auf den Mont Blanc. Warum nicht auf eine Sache konzentrieren?
Ich mag es nicht, mich lange auf ein Projekt zu konzentrieren. Es motiviert mich mehr, überall Fortschritte zu machen. Ich will fähig sein, einen Vertical Kilometer zu machen, ein 100-Meilen-Rennen, zu klettern.
Gerade das ist für viele unbegreiflich: Wie kann man halbstündige Rennen gewinnen und solche, die zwei Tage dauern?
Die Langdistanz kann man, oder nicht. Man kann sie auch nicht wirklich trainieren. Im Grunde ist sie leichter als die kurzen Rennen, weil es nur ums Durchhalten geht. Das habe ich von klein auf oft gemacht. Vieles passiert im Kopf, nicht in den Beinen. Selbst wenn du nicht in Topform bist, kannst du ein 100-Meilen-Rennen gewinnen. Beim Skibergsteigen oder beim Vertical Kilometer musst du zwingend in guter Form sein.
An der 300-Höhenmeter-Marke. Dutzende Topathleten haben sich bereits vorbeigequält, schnaubend, stampfend, in den Stockschlaufen hängend wie angeknockte Boxer. Ein orangener Helm taucht auf, mit ihm das Lauffeuer der elektrisierten Zuschauer. «C’est Kilian?» Er muss es sein. Seine Arme fliessen, nur ganz leicht hebt er die Stöcke an. Die roten Laufsocken streicheln die Erde, oberkörperfrei tänzelt er den teils 60° steilen Hang hinauf wie der Götterbote Hermes persönlich. Urban Zemmer, der letzte Starter und mit 29:42 Minuten Rekordhalter in Fully, folgt drei Minuten später. Es wirkt wie das Duell eines Tankers mit einem Rennboot.
Doch Jornet, den seine Fans «unmenschlich» nennen und den Lauri van Houten, die Vorsitzende der International Skyrunning Federation als «Gott auf Erden» bezeichnet, den die New York Times einmal splitterfasernackt im Stile antiker Olympioniken fotografierte – dieser Jornet landet am Ende auf einem sehr irdischen vierten Platz. 30:33 Minuten, fünfzehn Sekunden Rückstand auf Platz 1. Zur Siegerehrung, die in einer Turnhalle stattfindet, muss er trotzdem. Hinterher Selfies, Hände, ein höchstens sechsjähriges Mädchen bittet um ein Autogramm. Jornet hält einem anderen Starter die Tür auf, der ihm völlig entgeistert hinterherstarrt. Jornets Lippen sind verbrannt, Backpapier-Haut spannt sich über seine Wangenknochen, an Handrücken und Unterarmen quellen die Adern hervor. Traurig wirkt er nicht.
Was war los?
Mit dem Beginn des Rennens bin ich glücklich, dann habe ich Krämpfe bekommen. Warum genau, weiss ich noch nicht, vielleicht war es zu heiss, oder ich war nicht gut vorbereitet. Mein Ziel war, unter einer halben Stunde zu bleiben. Aber ich bin in jedem Fall glücklich, denn es ist eine gute Zeit.
Laut Instagram warst du die ganze letzte Woche in Chamonix beim Klettern. Vielleicht nicht die beste Vorbereitung?
Ja, wahrscheinlich. Aber es waren gute Bedingungen, dann muss man einfach Klettern gehen.
Du gewinnst beim Trailrunning, im Skibergsteigen, brichst Rekorde an den Seven Summits, gehst Steilwandskifahren oder zweimal an einem Tag auf den Mont Blanc. Warum nicht auf eine Sache konzentrieren?
Ich mag es nicht, mich lange auf ein Projekt zu konzentrieren. Es motiviert mich mehr, überall Fortschritte zu machen. Ich will fähig sein, einen Vertical Kilometer zu machen, ein 100-Meilen-Rennen, zu klettern.
Gerade das ist für viele unbegreiflich: Wie kann man halbstündige Rennen gewinnen und solche, die zwei Tage dauern?
Die Langdistanz kann man, oder nicht. Man kann sie auch nicht wirklich trainieren. Im Grunde ist sie leichter als die kurzen Rennen, weil es nur ums Durchhalten geht. Das habe ich von klein auf oft gemacht. Vieles passiert im Kopf, nicht in den Beinen. Selbst wenn du nicht in Topform bist, kannst du ein 100-Meilen-Rennen gewinnen. Beim Skibergsteigen oder beim Vertical Kilometer musst du zwingend in guter Form sein.
Kilian Jornet
Geboren 27. Oktober 1987, Sabadell, Spanien
Gewicht 58 kg
Größe 1,71 m
Maximalpuls 205 bpm
Ruhepuls 34 bpm
Fettanteil 8 %
VO2max 89,5 ml/min/kg
Lungenvolumen 5,3 Liter
Soloklettern bis 6a
Schlaf 8 Stunden
Sprachen 5
Sponsoren Salomon, Suunto,
Mercedes, Petzl, Compex
Seine Kindheit verbringt Jornet, Sohn eines Bergführers und einer Lehrerin, in den spanischen Pyrenäen. Mit drei Jahren nimmt er an einem Langlauf-Wettbewerb über 12 Kilometer teil und erreicht das Ziel. Nach dem Eintritt ins Gymnasium schreibt er sich ins Hochleistungszentrum für Skibergsteigen in Font-Romeu ein, wo das Geld für die Stromrechnung schon mal in neue Karbonstöcke gesteckt wird. Eine gebrochene Kniescheibe (wegen übermässigem Bordsteinspringen) ist bis heute seine gravierendste Verletzung. Um sich ganz auf Training und Wettkämpfe konzentrieren zu können, gründet er 2013 die Kommunikationsagentur Lymbus. 2014 wird er zum National Geographic Adventurer of the Year gewählt. Mit seiner Freundin Emelie Tina Forsberg, die dreimal den Gesamtweltcup im Ultrarunning gewann, zieht er 2016 von Montroc bei Chamonix nach Måndalen in Norwegen.
Gewicht 58 kg
Größe 1,71 m
Maximalpuls 205 bpm
Ruhepuls 34 bpm
Fettanteil 8 %
VO2max 89,5 ml/min/kg
Lungenvolumen 5,3 Liter
Soloklettern bis 6a
Schlaf 8 Stunden
Sprachen 5
Sponsoren Salomon, Suunto,
Mercedes, Petzl, Compex
Seine Kindheit verbringt Jornet, Sohn eines Bergführers und einer Lehrerin, in den spanischen Pyrenäen. Mit drei Jahren nimmt er an einem Langlauf-Wettbewerb über 12 Kilometer teil und erreicht das Ziel. Nach dem Eintritt ins Gymnasium schreibt er sich ins Hochleistungszentrum für Skibergsteigen in Font-Romeu ein, wo das Geld für die Stromrechnung schon mal in neue Karbonstöcke gesteckt wird. Eine gebrochene Kniescheibe (wegen übermässigem Bordsteinspringen) ist bis heute seine gravierendste Verletzung. Um sich ganz auf Training und Wettkämpfe konzentrieren zu können, gründet er 2013 die Kommunikationsagentur Lymbus. 2014 wird er zum National Geographic Adventurer of the Year gewählt. Mit seiner Freundin Emelie Tina Forsberg, die dreimal den Gesamtweltcup im Ultrarunning gewann, zieht er 2016 von Montroc bei Chamonix nach Måndalen in Norwegen.
Ist es dein Lebensprinzip, in Bewegung zu bleiben? Wie in der Physik, wo Bewegung keine Aktivität, sondern ein Zustand ist?
Ja, ich probiere gern neue Dinge aus. Der Kletterer Steve House hat gesagt: «Reden minus tun ist gleich Null.» Das gefällt mir. Auf die Tat kommt es an. Für mich ist es komfortabel, immer in Bewegung zu sein, Erfahrung aufzubauen. Gerade knie ich mich in Fotografie und Film hinein. Ausserdem bin ich mit Emelie (Jornets Freundin Emelie Forsberg; Anm. d. Red.) nach Norwegen gezogen. Das ist auch eine Art von Entdecken: Man schaut nicht einfach wie in den Alpen aufs Topo und weiss, was einen erwartet. Man geht raus, schaut, wie die Bedingungen sind, kommt wieder mit anderer Ausrüstung zurück, und so weiter. Einfach super.
Eine dieser Erkundungsrunden waren die «Seven Summits» von Romsdalen (77 km, 9000 hm). Beim ersten Versuch, sie an einem Tag einzusammeln, «scheiterte» Jornet nach 13 Stunden, 6500 Höhenmetern und vier verzehrten Snickers. «Was ist jetzt der Plan», fragt das Videoteam, als er im Tal einläuft. Jornet: «Duschen ... essen ... und dann Pläne für morgen machen!»
Heute vor dem Rennen hast du im Bus geschlafen, gleich geht der Flieger nach Spanien – was ist die Kehrseite eines Lebens in Bewegung?
Die Kehrseite ist: Ein Familienleben ist nicht möglich. Meine Mutter kam heute her, um mich zu sehen, wir haben uns seit meinem Everest-Trip im September nicht gesehen. Es gibt auch nicht viele Partner, die das verstehen würden. Da habe ich Glück, weil Emelie dasselbe macht wie ich. Ich bin das einfach gewöhnt. Ich bin mit 16 von zu Hause ausgezogen und war nur noch unterwegs zu Wettkämpfen.
In deinem Buch schreibst du, dass du eine «normale Kindheit» hattest. Soll das ein Witz sein? Du bist auf einer Hütte auf 2000 Metern Höhe aufgewachsen und warst mit sechs Jahren auf deinem ersten Viertausender.
Als Kind weiss man nicht, was normal und was unnormal ist. Unsere Eltern haben meine Schwester und mich nie in die Berge geschleift. Wir haben gespielt: «Wer kann diese Pflanze als Erstes finden?» oder «Wer kann dieses Tier sehen?» Wir waren wie Forscher. Wenn man ein Kind nur hinter sich herzieht und es leidet, dann wird es die Berge nicht mögen. Wenn es ein Spiel ist, dann schon. Die Kindheit war normal, weil wir gespielt haben.
Heute trainierst du zwölf Stunden, isst ein Nutella-Brot und gehst ins Bett. Am nächsten Tag dasselbe. Es scheint, als würdest du immer noch spielen ...
Haha! Wenn du jung bist, kannst du essen, was du willst, du nimmst nicht zu. Mit dem Alter muss man besser essen. Emelie ernährt sich sehr gut und macht Yoga, da habe ich noch Nachholbedarf.
Du hast offenbar früh im Leben entdeckt, wo dein Talent liegt. Ein Segen?
Ich denke, es ist wichtig, als Teenager hin und wieder nachzudenken, was man machen will. Ich war sicher ein Einzelgänger und nie besonders gesellig. Ich wusste nur, dass mir die Berge liegen. Und ich war hyperaktiv. Da war das Skibergsteigen wie eine Entdeckung. Glücklich bin ich darüber, dass wir in jedes Land der Welt reisen und wählen können, ob wir unsere Energie für dies oder jenes einsetzen. Meine Mutter hat einen Flüchtling aus Syrien zu Hause aufgenommen. Der hatte keine Wahl, Dinge auszuprobieren.
«Kilian?! Kann ich bitte ein Autogramm haben?» Foto, grazie, ciao.
Kilian Jornet hat auf Facebook mehr Follower als die Ski-Stars Marcel Hirscher oder Lara Gut. Liest du all die Kommentare unter deinen Posts?
Nein, nicht alles. Es ist wichtig, eine Distanz zu bewahren. Manchmal steht da «Du bist der Beste», manchmal gibt es überzogene Kritik. Aber es ist nicht das echte Leben. Wenn du in den Bergen fällst, bist du tot. Da kommt es nicht darauf an, wer du bist und ob vielen Leuten deine Posts gefallen.
Wie fühlt es sich an, wenn jemand schreibt: «Kilian is not human»?
Schön zu hören, aber es ist nicht die Realität. Es ist dasselbe, wenn ich jemanden sehe, der im Mountainbiken sehr gut ist.
Postest du alles selbst?
Ja. Ich mag keine Orte mit vielen Leuten, aber in den Social Media geht das. Es geht nicht darum, sich gut aussehen zu lassen. Ich will die Leute animieren, in die Natur zu gehen.
Es sind fast alles Postkartenbilder. Bist du nie schlecht gelaunt?
Es stimmt, es ist nicht immer so schön, wie es auf den Bildern scheint. Ich bin aber eine sehr positive Person und versuche, auch aus den schlechten Tagen etwas zu ziehen.
Schreibst du noch?
Ja, ich schreibe sehr gerne. Vor allem Kurzgeschichten. Aber nur, wenn es die Geschichte auch wert ist.
Ja, ich probiere gern neue Dinge aus. Der Kletterer Steve House hat gesagt: «Reden minus tun ist gleich Null.» Das gefällt mir. Auf die Tat kommt es an. Für mich ist es komfortabel, immer in Bewegung zu sein, Erfahrung aufzubauen. Gerade knie ich mich in Fotografie und Film hinein. Ausserdem bin ich mit Emelie (Jornets Freundin Emelie Forsberg; Anm. d. Red.) nach Norwegen gezogen. Das ist auch eine Art von Entdecken: Man schaut nicht einfach wie in den Alpen aufs Topo und weiss, was einen erwartet. Man geht raus, schaut, wie die Bedingungen sind, kommt wieder mit anderer Ausrüstung zurück, und so weiter. Einfach super.
Eine dieser Erkundungsrunden waren die «Seven Summits» von Romsdalen (77 km, 9000 hm). Beim ersten Versuch, sie an einem Tag einzusammeln, «scheiterte» Jornet nach 13 Stunden, 6500 Höhenmetern und vier verzehrten Snickers. «Was ist jetzt der Plan», fragt das Videoteam, als er im Tal einläuft. Jornet: «Duschen ... essen ... und dann Pläne für morgen machen!»
Heute vor dem Rennen hast du im Bus geschlafen, gleich geht der Flieger nach Spanien – was ist die Kehrseite eines Lebens in Bewegung?
Die Kehrseite ist: Ein Familienleben ist nicht möglich. Meine Mutter kam heute her, um mich zu sehen, wir haben uns seit meinem Everest-Trip im September nicht gesehen. Es gibt auch nicht viele Partner, die das verstehen würden. Da habe ich Glück, weil Emelie dasselbe macht wie ich. Ich bin das einfach gewöhnt. Ich bin mit 16 von zu Hause ausgezogen und war nur noch unterwegs zu Wettkämpfen.
In deinem Buch schreibst du, dass du eine «normale Kindheit» hattest. Soll das ein Witz sein? Du bist auf einer Hütte auf 2000 Metern Höhe aufgewachsen und warst mit sechs Jahren auf deinem ersten Viertausender.
Als Kind weiss man nicht, was normal und was unnormal ist. Unsere Eltern haben meine Schwester und mich nie in die Berge geschleift. Wir haben gespielt: «Wer kann diese Pflanze als Erstes finden?» oder «Wer kann dieses Tier sehen?» Wir waren wie Forscher. Wenn man ein Kind nur hinter sich herzieht und es leidet, dann wird es die Berge nicht mögen. Wenn es ein Spiel ist, dann schon. Die Kindheit war normal, weil wir gespielt haben.
Heute trainierst du zwölf Stunden, isst ein Nutella-Brot und gehst ins Bett. Am nächsten Tag dasselbe. Es scheint, als würdest du immer noch spielen ...
Haha! Wenn du jung bist, kannst du essen, was du willst, du nimmst nicht zu. Mit dem Alter muss man besser essen. Emelie ernährt sich sehr gut und macht Yoga, da habe ich noch Nachholbedarf.
Du hast offenbar früh im Leben entdeckt, wo dein Talent liegt. Ein Segen?
Ich denke, es ist wichtig, als Teenager hin und wieder nachzudenken, was man machen will. Ich war sicher ein Einzelgänger und nie besonders gesellig. Ich wusste nur, dass mir die Berge liegen. Und ich war hyperaktiv. Da war das Skibergsteigen wie eine Entdeckung. Glücklich bin ich darüber, dass wir in jedes Land der Welt reisen und wählen können, ob wir unsere Energie für dies oder jenes einsetzen. Meine Mutter hat einen Flüchtling aus Syrien zu Hause aufgenommen. Der hatte keine Wahl, Dinge auszuprobieren.
«Kilian?! Kann ich bitte ein Autogramm haben?» Foto, grazie, ciao.
Kilian Jornet hat auf Facebook mehr Follower als die Ski-Stars Marcel Hirscher oder Lara Gut. Liest du all die Kommentare unter deinen Posts?
Nein, nicht alles. Es ist wichtig, eine Distanz zu bewahren. Manchmal steht da «Du bist der Beste», manchmal gibt es überzogene Kritik. Aber es ist nicht das echte Leben. Wenn du in den Bergen fällst, bist du tot. Da kommt es nicht darauf an, wer du bist und ob vielen Leuten deine Posts gefallen.
Wie fühlt es sich an, wenn jemand schreibt: «Kilian is not human»?
Schön zu hören, aber es ist nicht die Realität. Es ist dasselbe, wenn ich jemanden sehe, der im Mountainbiken sehr gut ist.
Postest du alles selbst?
Ja. Ich mag keine Orte mit vielen Leuten, aber in den Social Media geht das. Es geht nicht darum, sich gut aussehen zu lassen. Ich will die Leute animieren, in die Natur zu gehen.
Es sind fast alles Postkartenbilder. Bist du nie schlecht gelaunt?
Es stimmt, es ist nicht immer so schön, wie es auf den Bildern scheint. Ich bin aber eine sehr positive Person und versuche, auch aus den schlechten Tagen etwas zu ziehen.
Schreibst du noch?
Ja, ich schreibe sehr gerne. Vor allem Kurzgeschichten. Aber nur, wenn es die Geschichte auch wert ist.
Wirst du mal was veröffentlichen?
Jetzt noch nicht. Ich habe Material, aber ich muss es strukturieren. Vielleicht in einem Jahr.
Gibt es Vorbilder? Welche Autoren magst du?
Klar, ich lese viel mehr, als ich schreibe. Spanische, englische, französische, amerikanische Bücher ...
Jetzt sag schon einen Favoriten!
Ich mag Alessandro Baricco sehr gerne. Sein Stil ist grossartig. «Ohne Blut» habe ich sehr gemocht. Jetzt gerade habe ich «Saturday Night, Sunday Morning» von Alan Sillitoe gelesen.
In Sillitoes bekanntester Erzählung, «Die Einsamkeit des Langstreckenläufers», verliert ein Heimjunge absichtlich ein Rennen, um sich nicht den Wünschen des Direktors der Anstalt zu beugen. Bei seinem ersten Ultra Trail du Mont Blanc im Jahr 2008 wurde Jornet, weit in Führung liegend, stündlich kontrolliert und zu einer 20-minütigen Pause gezwungen, weil ihm Zuschauer gefolgt waren. Frustriert überlegte Jornet kurz, einfach zum Auto zu laufen, gewann letztlich aber mit über einer Stunde Vorsprung. Der Sieg des damals 20-Jährigen wurde erst einen Tag später anerkannt.
Von Jornet ist auch bekannt, dass er bei 100-Meilen-Rennen gelegentlich auf Gesellschaft wartet – beim letztjährigen «Hardrock 100» etwa auf Jason Schlarb, mit dem er einen Grossteil des Rennens verbrachte. Hand in Hand liefen sie als Erste ins Ziel ein. «Es ist fast beleidigend», sagte der Weltklasseläufer Anton Krupicka der New York Times, «aber er ist einfach nur er selbst. Er reibt es keinem unter die Nase. Er liebt es einfach, draussen zu sein.»
Paavo Nurmi, der finnische Ausnahmeläufer, errang mehrere Olympiasiege und Weltrekorde. Gegen Ende seines Lebens wurde er depressiv. Er sagte: «Um ehrlich zu sein, habe ich in meinem Leben absolut nichts erreicht.» Fühlst du dich gegen so etwas gewappnet?
Es passiert oft, dass Athleten nach der Karriere depressiv werden. Weil einem die Leute einreden, man sei Gott. Wenn man dann von der Bühne abtritt, gibt es niemanden mehr, der auf einen wartet. Wir sind überbehütet. Man hat einen Coach, einen Psychologen, jemanden, der einem die Flugtickets bucht; man muss sich nur noch aufs Gewinnen konzentrieren. Klar, wenn man gute Leistungen bringen will, braucht man ein Team. Aber ich mag es wirklich, selbst zu Rennen zu fahren, im Auto zu schlafen, die Logistik zu machen, die Trainingspläne selbst zu schreiben. Ich will diese Dinge selber tun, weil sie Zeit und Energie fordern. Man darf nicht nur an sich und seine Resultate denken. Es ist schwer, den Bezug zur Realität zu behalten, wenn dir jeder erzählt, dass du der Beste bist. Das ist eine riesige Aufgabe für alle Sportler.
Dein Buch heisst «Lauf oder stirb». Du schreibst darin von der Geburt an der Startlinie und dem Tod an der Ziellinie – ist es wirklich so dramatisch?
Oh, ich finde das nicht dramatisch. Es ist nur eine Metapher dafür, dass ein Rennen in sich geschlossen ist. Wenn es nicht gut lief, kannst du am nächsten Tag noch so viel grübeln – das Rennen ist gelaufen. Du kannst aber auch anfangen zu trainieren und es besser machen. Umgekehrt ist ein gutes Rennen nichts, worüber man drei Wochen lang jeden Tag nachdenken müsste. Es ist eben vorbei.
Sport wird heute oft mit Religion verglichen. Stadien sind die neuen Kathedralen, Teams und Sportler werden vergöttert.
Die Menschen lenken sich ab. Unsere Generation ist in Demokratien aufgewachsen, ohne grosse Kriege. Wir müssen nicht hungern. Es gibt Armut, aber auch Sozialsysteme. Wir müssen also woanders unsere Heldengeschichten suchen. Im alten Rom stellten sich die Menschen vor, sie wären die Gladiatoren. So ist es in jedem Sport. Es nimmt nur etwas überhand, weil Sport eigentlich ein Spiel ist – und das Spielen fehlt heutigen Gesellschaften vielleicht am meisten.
Und bei dir selbst? Hast du religiöse Gefühle beim Sport?
Nein. Ich praktiziere keine Religion und bin, denke ich, ein sehr pragmatischer Mensch. Sport kann wirklich etwas Besonderes, etwas Erhebendes sein, aber keine Religion. Laufe ich schlecht, weil ich etwas Falsches getan habe? Das ist ein gefährlicher Gedanke, und nicht wahr.
Stattdessen verwandelst du dich beim Laufen gedanklich in ein anderes Wesen – einen Steinbock, eine Wolke, einen Sioux-Indianer, einen Ganoven auf der Flucht. Manche würden dich als verrückt bezeichnen.
Ja, gut möglich! Aber das ist einfach Taktik. Bei langen Rennen ist die Langeweile dein grösster Feind. Die drei, vier Stunden nach dem Start sind einfach: Man unterhält sich. Dann betrachtet man die Landschaft. Und dann sind immer noch 20 Stunden übrig. Es ist wie eine lange Autofahrt, du machst das Radio an und denkst über Dinge nach, die zu Hause zu erledigen sind. Musik kann dich ablenken, dich pushen, aber nicht über 20 Stunden. Ich habe es mal mit Hörbüchern probiert, aber das ist auch riskant.
Warum das?
Bei einer traurigen Geschichte passiert es schon mal, dass man gleichzeitig rennen und heulen muss!
Der dänische Radprofi Rasmus Quaade geht so weit, keine Bücher mehr zu lesen, damit er weniger nachdenkt und seine Instinkte aktiv bleiben. Auch du hast beschrieben, in Wettkämpfen nur in kurzsilbigen Wörtern zu denken. Wie wichtig ist Instinkt?
Bei langen Rennen will man nicht in einer Blase sein, sondern offen für Ablenkung. Bei kurzen Rennen ist es genau umgekehrt. Du willst den Instinkt direkt fühlen. Wenn in zehn Metern Entfernung eine Bombe hochgeht, darfst du es nicht merken. Gleichzeitig musst du das Rennen lesen, zuhören, wie es den anderen geht, wie es deinem Körper geht, Strategie und Taktik anpassen. Man muss hellwach sein.
Jetzt noch nicht. Ich habe Material, aber ich muss es strukturieren. Vielleicht in einem Jahr.
Gibt es Vorbilder? Welche Autoren magst du?
Klar, ich lese viel mehr, als ich schreibe. Spanische, englische, französische, amerikanische Bücher ...
Jetzt sag schon einen Favoriten!
Ich mag Alessandro Baricco sehr gerne. Sein Stil ist grossartig. «Ohne Blut» habe ich sehr gemocht. Jetzt gerade habe ich «Saturday Night, Sunday Morning» von Alan Sillitoe gelesen.
In Sillitoes bekanntester Erzählung, «Die Einsamkeit des Langstreckenläufers», verliert ein Heimjunge absichtlich ein Rennen, um sich nicht den Wünschen des Direktors der Anstalt zu beugen. Bei seinem ersten Ultra Trail du Mont Blanc im Jahr 2008 wurde Jornet, weit in Führung liegend, stündlich kontrolliert und zu einer 20-minütigen Pause gezwungen, weil ihm Zuschauer gefolgt waren. Frustriert überlegte Jornet kurz, einfach zum Auto zu laufen, gewann letztlich aber mit über einer Stunde Vorsprung. Der Sieg des damals 20-Jährigen wurde erst einen Tag später anerkannt.
Von Jornet ist auch bekannt, dass er bei 100-Meilen-Rennen gelegentlich auf Gesellschaft wartet – beim letztjährigen «Hardrock 100» etwa auf Jason Schlarb, mit dem er einen Grossteil des Rennens verbrachte. Hand in Hand liefen sie als Erste ins Ziel ein. «Es ist fast beleidigend», sagte der Weltklasseläufer Anton Krupicka der New York Times, «aber er ist einfach nur er selbst. Er reibt es keinem unter die Nase. Er liebt es einfach, draussen zu sein.»
Paavo Nurmi, der finnische Ausnahmeläufer, errang mehrere Olympiasiege und Weltrekorde. Gegen Ende seines Lebens wurde er depressiv. Er sagte: «Um ehrlich zu sein, habe ich in meinem Leben absolut nichts erreicht.» Fühlst du dich gegen so etwas gewappnet?
Es passiert oft, dass Athleten nach der Karriere depressiv werden. Weil einem die Leute einreden, man sei Gott. Wenn man dann von der Bühne abtritt, gibt es niemanden mehr, der auf einen wartet. Wir sind überbehütet. Man hat einen Coach, einen Psychologen, jemanden, der einem die Flugtickets bucht; man muss sich nur noch aufs Gewinnen konzentrieren. Klar, wenn man gute Leistungen bringen will, braucht man ein Team. Aber ich mag es wirklich, selbst zu Rennen zu fahren, im Auto zu schlafen, die Logistik zu machen, die Trainingspläne selbst zu schreiben. Ich will diese Dinge selber tun, weil sie Zeit und Energie fordern. Man darf nicht nur an sich und seine Resultate denken. Es ist schwer, den Bezug zur Realität zu behalten, wenn dir jeder erzählt, dass du der Beste bist. Das ist eine riesige Aufgabe für alle Sportler.
Dein Buch heisst «Lauf oder stirb». Du schreibst darin von der Geburt an der Startlinie und dem Tod an der Ziellinie – ist es wirklich so dramatisch?
Oh, ich finde das nicht dramatisch. Es ist nur eine Metapher dafür, dass ein Rennen in sich geschlossen ist. Wenn es nicht gut lief, kannst du am nächsten Tag noch so viel grübeln – das Rennen ist gelaufen. Du kannst aber auch anfangen zu trainieren und es besser machen. Umgekehrt ist ein gutes Rennen nichts, worüber man drei Wochen lang jeden Tag nachdenken müsste. Es ist eben vorbei.
Sport wird heute oft mit Religion verglichen. Stadien sind die neuen Kathedralen, Teams und Sportler werden vergöttert.
Die Menschen lenken sich ab. Unsere Generation ist in Demokratien aufgewachsen, ohne grosse Kriege. Wir müssen nicht hungern. Es gibt Armut, aber auch Sozialsysteme. Wir müssen also woanders unsere Heldengeschichten suchen. Im alten Rom stellten sich die Menschen vor, sie wären die Gladiatoren. So ist es in jedem Sport. Es nimmt nur etwas überhand, weil Sport eigentlich ein Spiel ist – und das Spielen fehlt heutigen Gesellschaften vielleicht am meisten.
Und bei dir selbst? Hast du religiöse Gefühle beim Sport?
Nein. Ich praktiziere keine Religion und bin, denke ich, ein sehr pragmatischer Mensch. Sport kann wirklich etwas Besonderes, etwas Erhebendes sein, aber keine Religion. Laufe ich schlecht, weil ich etwas Falsches getan habe? Das ist ein gefährlicher Gedanke, und nicht wahr.
Stattdessen verwandelst du dich beim Laufen gedanklich in ein anderes Wesen – einen Steinbock, eine Wolke, einen Sioux-Indianer, einen Ganoven auf der Flucht. Manche würden dich als verrückt bezeichnen.
Ja, gut möglich! Aber das ist einfach Taktik. Bei langen Rennen ist die Langeweile dein grösster Feind. Die drei, vier Stunden nach dem Start sind einfach: Man unterhält sich. Dann betrachtet man die Landschaft. Und dann sind immer noch 20 Stunden übrig. Es ist wie eine lange Autofahrt, du machst das Radio an und denkst über Dinge nach, die zu Hause zu erledigen sind. Musik kann dich ablenken, dich pushen, aber nicht über 20 Stunden. Ich habe es mal mit Hörbüchern probiert, aber das ist auch riskant.
Warum das?
Bei einer traurigen Geschichte passiert es schon mal, dass man gleichzeitig rennen und heulen muss!
Der dänische Radprofi Rasmus Quaade geht so weit, keine Bücher mehr zu lesen, damit er weniger nachdenkt und seine Instinkte aktiv bleiben. Auch du hast beschrieben, in Wettkämpfen nur in kurzsilbigen Wörtern zu denken. Wie wichtig ist Instinkt?
Bei langen Rennen will man nicht in einer Blase sein, sondern offen für Ablenkung. Bei kurzen Rennen ist es genau umgekehrt. Du willst den Instinkt direkt fühlen. Wenn in zehn Metern Entfernung eine Bombe hochgeht, darfst du es nicht merken. Gleichzeitig musst du das Rennen lesen, zuhören, wie es den anderen geht, wie es deinem Körper geht, Strategie und Taktik anpassen. Man muss hellwach sein.
Palmarès (Auszüge)
Beim «Summits of my Life»-Projekt stellte
Jornet Speedrekorde, sogenannte FKT für den
Auf- und Abstieg an prominenten Bergen auf.
Im August 2016 kam Jornet an der Nordseite
des Everest bis auf 8000 Meter. 2017 startet er
einen neuen Versuch, abermals ausserhalb
der Hauptsaison. Am Aconcagua und am
Kilimandscharo wurde er inzwischen vom
Schweizer Karl Egloff unterboten.
FKT (Fastest known times)
Aconcagua, 12h 49m (2014), von Horcones
Denali, 11h 48m (2014), vom Kahiltna Glacier
Matterhorn, 2h 52m (2013), von Breuil-Cervinia
Mont Blanc, 4h 57m (2013), von Chamonix
Kilimandscharo, 7h 14m (2010), vom Umbwe Gate
Siege im Skibergsteigen u.a. Pierra Menta, Trofeo Mezzalama,
Patrouille des Glaciers
Weltmeister:
2010, 2011, 2013, 2015, 2017 (Vertical),
2011, 2015 (Individual)
Weltcupgesamtsieger:
2010, 2011, 2012, 2016 (Individual),
2016 (Vertical)
Siege im Trailrunning
u.a. Hardrock 100, Sierre-Zinal,
Ultra Trail du Mont Blanc,
Zegama-Aizkorri,Ultra Pirineu
Weltcupgesamtsieger:
2007, 2008, 2009, 2012, 2013, 2014 (Skyrunning), 2012, 2013, 2014 (Ultrarunning),
2014 (Vertical Kilometer)
«Kilian?!» Serge Garnier, Sieger des Vertical Kilometer in Fully von 2009, nähert sich mit seiner Frau. «Wir wollten etwas fragen. Stimmt es, dass du zweimal hintereinander auf dem Mont Blanc an einem Tag warst?» – Jornet, verschämt: «Ja, stimmt schon.» – «Wie das?» – «Ich bin von Chamonix auf den Gipfel, runter ins Val Veny ...» – «Mit Laufschuhen?» – «Ja, mit Laufschuhen und an diesem Tag sogar ohne Steigeisen, aber ...» – «Ohne Steigeisen?» Garniers Frau saugt die Luft ein. – «Ja, mit Eispickel ging es sehr gut.» – «Du allein?» – «Ja.» – «Hast du keine Angst, in eine Spalte zu fallen?» – «Äh, naja ... beim Wiederaufstieg nimmt man den Felsgrat. Da sind keine Spalten.» – «Und der Everest? Ist er möglich?» – «Ja.» – «Bis auf welche Höhe bist du gekommen?» – «Bis auf 8000.» – «Und danach ging es nicht mehr?» – «Nein, zu viel Schnee, zu viele Lawinen.» – «Naja. Jedenfalls, bravo! Pass auf dich auf!»
Was ist für dich Abenteuer, und was ist Sport?
Ich persönlich unterscheide zwischen Training und Projekten. So etwas wie heute, ein kurzes, hartes Rennen, ist Training. Klettern in Chamonix ist Training. Ein Projekt ist, wenn man an einen Ort kommt, wo man die Antwort noch nicht kennt. Wo man Zweifel hat, wo man noch etwas dazulernt. Wo man etwas riskieren muss – vor allem psychisch –, um weiterzukommen. Das ist für jeden Menschen anders. Die Eiger-Nordwand ist für viele ein Projekt. Für Ueli Steck ist sie Training, wie ein Morgenlauf.
Du bist 2013 am Frendopfeiler im Mont-Blanc-Gebiet – einer Tour, die früher mal als Eintrittskarte zum Extrembergsteigen galt – mit Emelie von der Bergrettung herausgeholt worden. In Laufschuhen. War das Training?
Das war Training. Ich habe den Frendo oft in diesem Stil gemacht, auch mit Laufschuhen. An dem Tag habe ich den Fehler gemacht, Emelies Zeit nicht einzurechnen. Sie klettert gut und schnell, aber das Wetterfenster war nicht gross genug. Das Wetter kam, und dann reagiert eben jeder anders. Wenn man sich in der Kälte nicht komfortabel fühlt, stresst man sich schnell. Es wäre möglich gewesen, auszusteigen, aber ich dachte, es wäre sicherer, die Rettung zu verständigen. Emelie hatte auch Probleme mit dem Fuss. Also war es wohl die bessere Lösung.
Lektion gelernt?
Auf jeden Fall. Im Endeffekt bin ich fast froh, dass es einen Shitstorm gab. So merken die Leute, dass Bergsteigen gefährlich ist. Man kann dabei sterben. Das müssen die Leute auch mal kapieren. Sonst denken alle, sie können das auch.
Sicherheit oder Freiheit?
Es ist immer ein Kompromiss. Natürlich kann man rechnen: Was kann ich, und was sind die Bedingungen am Berg? Aber der Körper stimmt dem Kopf eben nicht immer zu. Mal fühlst dich flüssig und gut; und manchmal merkst du schon nach zwei Metern, dass da ein Knoten in dir ist, dass etwas in dir sagt: Ich will das nicht tun. Dann ist es sehr wichtig, umzudrehen. Genauso beim Steilwandfahren: gleicher Hang, gleiche Bedingungen; trotzdem wirst du an manchen Tagen fahren und an anderen nicht. Oder beim Laufen: Wer aus dem Feld ausbricht oder zuvor eine Nieder-lage einstecken musste, wird mehr riskieren. Risiko ist ein bisschen Mathematik, aber der Rest ist der Moment.
Du hast deine Idole, die als Poster im Jugendzimmer hingen, besiegt. Was hat dich dann noch motiviert?
Ich bin nicht der Typ, der das gleiche Ziel immer und immer wieder erreichen will. Klar, das Gewinnen macht Spass. Aber mittlerweile sehe ich Wettkämpfe eher als ideales Training für jede Aktivität in den Bergen.
Anton Palzer, einer deiner härtesten Konkurrenten im Skibergsteigen, glaubt, dass du ein T-Shirt besitzt mit der Aufschrift «Who the fuck is rest day».
Toni trainiert auch sehr viel! Generell mag ich es nicht sehr, mich auszuruhen. Ich will nicht pausieren, wenn das für ein Rennen sinnvoller wäre. Das hat sich geändert. Ich habe all meine Ziele, die ich im Rennsport hatte, erreicht. Ich habe keinen Druck mehr, bin weniger gestresst und kann im Endeffekt sogar mehr draussen unternehmen. Ich mag es einfach, zu trainieren. Viel zu trainieren.
Die 1200 Trainingsstunden pro Jahr stimmen?
Ja. Zwischen 1100 und 1300 Stunden. Ich liebe es. Wenn gutes Wetter ist, kann ich nicht anders. Und wenn schlechtes Wetter ist, meistens auch nicht.
Was ist für dich Abenteuer, und was ist Sport?
Ich persönlich unterscheide zwischen Training und Projekten. So etwas wie heute, ein kurzes, hartes Rennen, ist Training. Klettern in Chamonix ist Training. Ein Projekt ist, wenn man an einen Ort kommt, wo man die Antwort noch nicht kennt. Wo man Zweifel hat, wo man noch etwas dazulernt. Wo man etwas riskieren muss – vor allem psychisch –, um weiterzukommen. Das ist für jeden Menschen anders. Die Eiger-Nordwand ist für viele ein Projekt. Für Ueli Steck ist sie Training, wie ein Morgenlauf.
Du bist 2013 am Frendopfeiler im Mont-Blanc-Gebiet – einer Tour, die früher mal als Eintrittskarte zum Extrembergsteigen galt – mit Emelie von der Bergrettung herausgeholt worden. In Laufschuhen. War das Training?
Das war Training. Ich habe den Frendo oft in diesem Stil gemacht, auch mit Laufschuhen. An dem Tag habe ich den Fehler gemacht, Emelies Zeit nicht einzurechnen. Sie klettert gut und schnell, aber das Wetterfenster war nicht gross genug. Das Wetter kam, und dann reagiert eben jeder anders. Wenn man sich in der Kälte nicht komfortabel fühlt, stresst man sich schnell. Es wäre möglich gewesen, auszusteigen, aber ich dachte, es wäre sicherer, die Rettung zu verständigen. Emelie hatte auch Probleme mit dem Fuss. Also war es wohl die bessere Lösung.
Lektion gelernt?
Auf jeden Fall. Im Endeffekt bin ich fast froh, dass es einen Shitstorm gab. So merken die Leute, dass Bergsteigen gefährlich ist. Man kann dabei sterben. Das müssen die Leute auch mal kapieren. Sonst denken alle, sie können das auch.
Sicherheit oder Freiheit?
Es ist immer ein Kompromiss. Natürlich kann man rechnen: Was kann ich, und was sind die Bedingungen am Berg? Aber der Körper stimmt dem Kopf eben nicht immer zu. Mal fühlst dich flüssig und gut; und manchmal merkst du schon nach zwei Metern, dass da ein Knoten in dir ist, dass etwas in dir sagt: Ich will das nicht tun. Dann ist es sehr wichtig, umzudrehen. Genauso beim Steilwandfahren: gleicher Hang, gleiche Bedingungen; trotzdem wirst du an manchen Tagen fahren und an anderen nicht. Oder beim Laufen: Wer aus dem Feld ausbricht oder zuvor eine Nieder-lage einstecken musste, wird mehr riskieren. Risiko ist ein bisschen Mathematik, aber der Rest ist der Moment.
Du hast deine Idole, die als Poster im Jugendzimmer hingen, besiegt. Was hat dich dann noch motiviert?
Ich bin nicht der Typ, der das gleiche Ziel immer und immer wieder erreichen will. Klar, das Gewinnen macht Spass. Aber mittlerweile sehe ich Wettkämpfe eher als ideales Training für jede Aktivität in den Bergen.
Anton Palzer, einer deiner härtesten Konkurrenten im Skibergsteigen, glaubt, dass du ein T-Shirt besitzt mit der Aufschrift «Who the fuck is rest day».
Toni trainiert auch sehr viel! Generell mag ich es nicht sehr, mich auszuruhen. Ich will nicht pausieren, wenn das für ein Rennen sinnvoller wäre. Das hat sich geändert. Ich habe all meine Ziele, die ich im Rennsport hatte, erreicht. Ich habe keinen Druck mehr, bin weniger gestresst und kann im Endeffekt sogar mehr draussen unternehmen. Ich mag es einfach, zu trainieren. Viel zu trainieren.
Die 1200 Trainingsstunden pro Jahr stimmen?
Ja. Zwischen 1100 und 1300 Stunden. Ich liebe es. Wenn gutes Wetter ist, kann ich nicht anders. Und wenn schlechtes Wetter ist, meistens auch nicht.
Doping
Beim Skibergsteigen wird Jornet von der WADA mehrmals jährlich kontrolliert.
Dass im Trailrunning kein solches Kontrollsystem existiert, kritisiert Jornet öffentlich.
Trotz der aktuellen Doping-Fälle im Trailrunning glaubt Jornet, der auch Ibuprofen für Doping hält,
«dass wir einen ziemlich sauberen Sport haben, auch wenn die Einzelfälle natürlich sehr traurig sind.»
Dass im Trailrunning kein solches Kontrollsystem existiert, kritisiert Jornet öffentlich.
Trotz der aktuellen Doping-Fälle im Trailrunning glaubt Jornet, der auch Ibuprofen für Doping hält,
«dass wir einen ziemlich sauberen Sport haben, auch wenn die Einzelfälle natürlich sehr traurig sind.»