Beim Clean oder Trad Climbing stehen nicht nur die körperlichen Fähigkeiten, sondern auch die mentale Stärke und der Respekt vor der Natur im Fokus. Gesichert wird ausschliesslich mit mobilen Sicherungsmitteln – Friends, Keile oder Schlingen. Keine Bohrhaken, kein permanenter Eingriff in die Felsstruktur – nur die Route, die Natur und die Verantwortung des Kletternden. Doch wie steht die Schweizer Kletterszene zu diesem puristischen Ansatz? Wir haben mit den Petzl-Athleten Nicole Grange Berthod, Roger Schäli und Silvan Schüpbach über das Für und Wider des Clean Climbing gesprochen.
Ein ehrlicher Kletterstil
Clean Climbing wird oft als die ehrlichste Form des Kletterns beschrieben. Es geht nicht nur um körperliche Leistung, sondern auch um mentale Stärke, technische Fähigkeiten und die Fähigkeit, sich auf die natürliche Struktur des Felsens einzulassen. „Man erlebt beim Clean Climbing eine besondere Freiheit“, sagt Silvan Schüpbach, der diesen Stil als eine Art „Narrenfreiheit“ beschreibt, die ohne die Diskussionen über die Platzierung von Bohrhaken auskommt.
Doch nicht alle sehen das Trad Climbing als den „Heiligen Gral“ des Klettersports. Roger Schäli plädiert für eine ausgewogene Herangehensweise: „Trad-Routen mit gut durchdacht gesetzten Bohrhaken – das ist für mich der richtige Ansatz. So bewahrt man das Abenteuer, ohne unnötige Risiken einzugehen.“
Warum ist Trad Climbing in der Schweiz so selten?
Während in Ländern wie Grossbritannien oder den USA Trad Climbing tief in der Kletterkultur verwurzelt ist, bleibt die Schweiz in diesem Bereich eher zurückhaltend. Ein Grund dafür liegt in der Geologie. Regionen wie das Yosemite Valley in den USA bieten durch ihre markanten Risse ideale Bedingungen für mobile Sicherungen. Schweizer Felsen hingegen sind oft kompakter, was das Anbringen von Friends und Keilen erschwert.
Hinzu kommt die historische Entwicklung: In der Schweiz etablierte sich das Sportklettern früh als eigenständige Disziplin, wodurch das Setzen von Bohrhaken zur Norm wurde. Nicole Grange Berthod erklärt: „In der Schweiz wird oft gebohrt, um Routen zugänglicher zu machen. Es geht weniger um Sicherheitsbedenken, sondern vielmehr um die Frage, wie viele Menschen eine Route klettern können. Trad Climbing ist nicht zwangsläufig gefährlicher, aber es erfordert mehr Eigenverantwortung.“
Abenteuer und Vielfalt bewahren
Ein zentraler Reiz des Clean Climbings liegt in der kreativen Routenwahl. Während Sportkletterrouten oft streng vorgegeben sind, fordert das Trad Climbing die Kletternden dazu auf, Schwachstellen im Fels zu finden und zu nutzen. „Clean Climbing ist wie Kunst“, sagt Silvan Schüpbach. „Wenn auf einer Leinwand die Pinselstriche nur gerade nach oben verlaufen, ist das langweilig. Schön wird es, wenn der ganze Raum genutzt wird.“
Doch gerade in der Schweiz sind viele Klettergebiete bereits vollständig mit Bohrhaken ausgestattet. Das nimmt nicht nur die Herausforderung, sondern schränkt auch die Vielfalt des Sports ein. „Die spannendsten Möglichkeiten sind endlich“, gibt Silvan zu bedenken. „Ein übermässiges Bohren nimmt nicht nur die Vielfalt, sondern auch die Tiefe der Erfahrung.“
Trad Climbing: Ein Stil für die Zukunft?
Die Diskussion über Clean Climbing ist auch eine über die Zukunft des Klettersports. Nicole hebt hervor, wie wichtig es ist, eine gemeinsame Vision zu entwickeln: „Wie sollen Routen erschlossen und saniert werden? Was möchten wir den nächsten Generationen überlassen?“ Eine Antwort darauf könnte in der Mischung aus Trad- und Sportklettern liegen. Roger Schäli spricht sich für den gezielten Rückbau von Bohrhaken aus, wo mobile Sicherungen möglich sind: „Es braucht keine radikalen Schritte, aber eine bewusste Entscheidung, welche Routen wir schützen und wie wir sie gestalten.“
Trad Climbing fordert Geduld, Erfahrung und den Mut, sich auf das Unbekannte einzulassen. Doch genau diese Aspekte machen diesen Stil so faszinierend. Es ist nicht nur eine sportliche Herausforderung, sondern auch eine Rückkehr zu den Ursprüngen des Kletterns – eine bewusste Entscheidung für ein authentisches Erlebnis in der Natur. „Es ist diese Mischung aus Abenteuer und Verantwortung, die Trad Climbing so besonders macht“, fasst Nicole Grange Berthod zusammen. „Am Ende bleibt das befriedigende Gefühl, etwas wirklich selbst geschafft zu haben – ohne Kompromisse, ohne Abkürzungen.“
Die Petzl-Athleten sind sich einig: Trad Climbing hat in der Schweiz noch grosses Potenzial, sowohl für die Weiterentwicklung des Klettersports als auch für den Erhalt seiner Vielfalt. Es ist ein Stil, der fordert, aber auch inspiriert – und vielleicht genau deshalb eine Zukunft hat.